Ursula von der Leyen wollte mit dem Mittelstandsbeauftragten Markus Pieper punkten. Pieper hat nun nach scharfen Wahlkampf-Attacken hingeworfen – was der CDU in Deutschland schadet.
Es sollte ein Zeichen an all ihre Kritiker sein, vor allem in den eigenen Reihen: „Ich habe verstanden“, sendete Ursula von der Leyen Ende Januar in die Parteizentralen der europäischen Konservativen, als die EU-Kommissionspräsidentin erstmals die Position eines Mittelstandsbeauftragten der Europäischen Union besetzen wollte, mit dem erfahrenen Europapolitiker Markus Pieper.
Von einem „Paukenschlag“ sprachen die deutschen EU-Parlamentarier am Montagabend. Pieper hatte frustriert hingeworfen. Und das wenige Tage, bevor er das Amt antreten sollte. Zuvor hatten SPD, Liberale und Grüne im Europäischen Parlament ein neues Auswahlverfahren gefordert. Zudem hatten vier Kommissare protestiert, darunter Binnenmarktkommissar Thierry Breton, dem Pieper als Mittelstandsbeauftragter berichten sollte, sowie Arbeitskommissar Nicolas Schmit.
Im Brüsseler Ränkespiel geht es nicht nur um Pieper oder um eine mögliche Bevorteilung beim Auswahlverfahren, wie es die politischen Gegner von der Leyen vorwarfen. Die Parteien und ihre Kandidaten positionieren sich im Rennen um das Amt der EU-Kommissionspräsidentin. Es geht um das Gesicht Deutschlands in Europa.
Der 60-jährige Pieper sollte sich um die kleinen und mittleren Unternehmen kümmern, die ausufernde Bürokratie bekämpfen und Wachstum und Wohlstand im Blick behalten – ohne all dies ist bekanntlich aus Sicht der Konservativen alles nichts. Auch wegen dieser Entscheidung war die Zustimmung für eine zweite Amtszeit von der Leyens gewachsen.
Sie hatte seit Monaten Parteiveranstaltungen bereist, für sich geworben und überall die Botschaft mitgenommen: Ein europäisches Lieferkettengesetz, Vorschriften zum Schutz von Urwäldern und das Klimapaket „Fit for 55“ mögen gut und wichtig sein – aber entscheidend ist die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft. Sie ging darauf ein, Anfang März dann wählten sie die Europäischen Konservativen zu ihrer Spitzenkandidatin für das Amt der Kommissionspräsidentin.
Pieper kritisiert Breton
Nun hat Pieper abgesagt, und kaum einer erreichte ihn am Abend seiner Entscheidung. Allein dem Handelsblatt sagte er: „So, wie Breton meinen Amtsantritt schon im Vorfeld innerhalb der Kommission boykottiert, sehe ich zurzeit keine Möglichkeit, die mit dem Amt verbundenen berechtigten Erwartungen zu erfüllen.“
Dass ausgerechnet der für Mittelstand und Bürokratieabbau verantwortliche Franzose Breton das Verfahren infrage stelle, sei „schlechter Stil und ausschließlich parteipolitisch motiviert“. In der Europäischen Volkspartei (EVP) hieß es, Breton habe die französische Industriepolitik schützen wollen.
In der CDU-Bundeszentrale mussten sich die Strategen erst einmal erkundigen, was da in Brüssel los war. Besonders groß war der Frust in der CDU-Zentrale in Nordrhein-Westfalen. Schließlich verliert der Landesverband nun einen seiner erfahrensten Europapolitiker. Der Münsterländer Pieper wird zur Europawahl nicht antreten.
Im Januar, wenige Tage bevor von der Leyen die Entscheidung für Pieper verkündet hatte, soll sie sich final mit Hendrik Wüst, CDU-Landeschef, abgestimmt haben – der Ministerpräsident ist wie Pieper Münsterländer. Die Staatskanzlei in Düsseldorf hatte dies seinerzeit nicht bestätigen wollen.
Doch löste sich mit der Entscheidung für Pieper auch ein Problem der NRW-CDU: Die Liste für die Europawahl konnte leichter paritätisch besetzt werden. Sind es bisher fünf Männer und eine Frau, so schienen sich mit Piepers Wechsel zur Kommission die Quotenprobleme in Luft aufzulösen.
NRW-CDU bekommt ein Problem
Pieper hat alles verloren. Und die NRW-CDU mit ihm einen wichtigen Vertreter. Entsprechend groß ist der Frust bei der NRW-CDU, aber auch bei der Mittelstandsunion (MIT) der CDU. „Markus Pieper war und ist der Beste für dieses Amt“, sagte die MIT-Vorsitzende Gitta Connemann. „Aber er wurde von Thierry Breton und Nicolas Schmit diskreditiert und massiv attackiert – unter der Gürtellinie“, sagte die CDU-Politikerin dem Handelsblatt.
Beide hätten im formalen Verfahren ein Veto einlegen können, sagte Connemann. Stattdessen hätten sie geschwiegen und gewartet. „Es geht also nicht um die Person Markus Pieper. Es geht um brutale Parteipolitik.“ Piepers Rückzug sei „ein Tiefschlag für den Mittelstand in Deutschland“.
Auch die konservativen Europaabgeordneten äußern Bedauern: „Markus Pieper wäre ein sehr guter KMU-Beauftragter der EU-Kommission gewesen“, sagte Daniel Caspary, Vorsitzender der CDU im EU-Parlament. „Sein jahrelanger Einsatz für kleine und mittlere Unternehmen hätte ihn für diese Aufgabe prädestiniert.“
Es sei höchst bedauernswert, dass diese wichtige Ernennung von vier Kommissaren am Ende ihres politischen Mandats in der Kommission allein aus parteitaktischen Gründen in einer Form sabotiert worden sei. Die Berufung des KMU-Beauftragten sei zum Wahlkampfthema geworden.
Insbesondere die Rolle von Breton sieht Caspary als zweifelhaft. „Als zuständiger Kommissar hat er die Anliegen des Mittelstands und des Bürokratieabbaus in seiner fünfjährigen Amtszeit bestenfalls ignoriert“, sagte auch Caspary. Bei seiner öffentlichkeitswirksam vorgebrachten Kritik gehe es erkennbar nicht um die beste Besetzung des Amtes oder ein ordentliches Verfahren.
Anders könnte das nach der Europawahl aussehen: Dann wird das Amt des Binnenmarktkommissars neu besetzt. Pieper jedenfalls gibt Anlass zu Spekulationen: Mit den absehbaren neuen Mehrheiten, sagte Pieper, werde es nach der Europawahl anders aussehen.
Europawahl: EVP in Umfragen stärkste Kraft
Nach den Umfragen dürfte die Europäische Volkspartei nach der Wahl im Juni stärkste Kraft im Europäischen Parlament werden. Womöglich wird sie angesichts der Vorfälle der vergangenen Tage die Reihen schließen und sich hinter von der Leyen versammeln. Schlagen die Konservativen die Niedersächsin für eine zweite Amtszeit als Kommissionspräsidentin vor, wird sie um eine Mehrheit buhlen müssen.
Sozialdemokraten, Grüne und Liberale im Parlament werden sie an das Hin und Her um den Mittelstandsbeauftragten erinnern. Unter den Staats- und Regierungschefs wird vor allem Frankreich entscheidend sein. Schließlich war es Staatspräsident Emmanuel Macron, der von der Leyen ins Amt hievte – und mit ihr allerdings auch Binnenmarktkommissar Breton.
Für den deutschen CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz könnte das Gezerre um den EU-Präsidentenposten auch noch unangenehm werden. Verlöre von der Leyen nach der Europawahl ihre Position, dann würde Deutschland einen Grünen als EU-Kommissar entsenden.
So haben es SPD, Grüne und FDP in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, „sofern die Kommissionspräsidentin nicht aus Deutschland stammt“. Es wäre ein denkbar schmerzhafter Verlust im Vorfeld der wichtigen Landtagswahlen in Ostdeutschland.
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