Taurus-Abhörskandal: Die Gedankenspiele der Bundeswehr

taurus-abhörskandal: die gedankenspiele der bundeswehr

Ingo Gerhartz, Generalinspekteur der Luftwaffe, spricht mit dem Befehlshaber der lettischen Luftstreitkräfte, Viesturs Masulis, während der Zeremonie zur Übernahme der Nato Air Policing Mission durch die Bundeswehr am 2. März in Lettland.

Der Mitschnitt des Gesprächs zwischen Luftwaffeninspekteur Ingo Gerhartz und zweien seiner Fachleute über eine mögliche Lieferung des Waffensystems Taurus an die Ukraine dauert knapp 40 Minuten. Es ist inzwischen auf Youtube veröffentlicht, auch als transkribierter Text. Gerhartz geht es darum, seine Leute auf einen Termin bei Bundesminsiter Boris Pistorius (SPD) vorzubereiten, der sich über Taurusinformieren wolle.

In dem abgehörten Gespräch der drei Militärs zur Vorbereitung auf das Treffen mit dem Minister wird gleich zu Anfang klar, dass das nicht eine konkrete Einsatzplanung bedeute, dass auch nichts dafür spreche, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wolle von seiner Linie abweichen, Taurus nicht zu liefern. Gerhartz sagt, es sei nicht so, dass der Kanzler dem Verteidigungsminister sage: „Hey, mach dich da nochmal schlau, und dann lass uns mal morgen entscheiden.“

Es gehe bei dem Gespräch mit dem Minister auch um die technischen Einzelheiten, vor allem aber darum, was geschähe, wenn politisch doch irgendwann entschieden würde, der Ukraine Taurus zur Verfügung zu stellen. Der Termin beim Minister sei auf eine halbe Stunde angesetzt. Es solle berücksichtigt werden, dass Pistorius nicht so tief in der Materie steckt. Man solle ihn nicht „zuballern mit ´ner Slideshow mit 30 Slides“.

Taurus-Marschflugkörper könnten Krimbrücke beschädigen

Die drei Militärs gehen ausführlich auf die Funktionsweise des Taurus ein. Dabei wird klar, dass das Hauptziel, für das die Ukraine ihn derzeit haben will, die Zerstörung der Krimbrücke ist. Damit könnten sie den Zugang zu der seit 2014 von Russland besetzten Halbinsel für die Russen zu blockieren. Es wird deutlich, dass Taurus geeignet dafür ist, die Pfeiler der Brücke zu treffen, dabei aber „zehn bis 20“ Geschosse erforderlich sein könnten.

Die Zerstörung der Brücke, die die Größe eines Flugplatzes habe, wird als nicht einfach dargestellt. Einer der Gesprächsteilnehmer sagt: „Ja, der Pfeiler, da machen wir unter Umständen nur ein Loch rein. Und dann stehen wir da…“

Auch wenn die Soldaten über die technische Funktionsweise des Waffensystems sprechen, ist ihnen dabei offenbar bewusst, dass das Hauptargument des Kanzlers gegen die Lieferung an Kiew die Beteiligung deutscher Soldaten, vor allem bei der Zielführung des Marschflugkörpers ist. Ein großer Teil der Besprechung dreht sich darum, welche Daten die Deutschen liefern müssten, um die Marschflugkörper ins Ziel zu bringen.

Die drei Soldaten sprechen darüber, wie man eine deutsche Beteiligung verschleiern oder weniger direkt erscheinen lassen könnte. Gerhartz macht den Vorschlag, der Datensatz für die Zielführung könnte beim Hersteller der Waffe erstellt werden mit Hilfe von Fachleuten der Bundeswehr. Der Luftwaffeninspekteur sagt dann: „Ist zwar totaler Schwachsinn, aber jetzt mal so gesehen, aber politisch jetzt halt vielleicht was anderes, wenn der Datenfile von der Industrie kommt, wird er… der kommt ja bei uns nicht aus dem Verband.“

Auch mögliche Verschleierung einer deutschen Beteiligung war Thema

Einer der anderen Teilnehmer macht einen weiteren Vorschlag: „Oder, was natürlich auch geht, dass man unter Umständen das Datenfile nach Polen schickt und man hat den Handover, Takeover in Polen irgendwo, und es fährt jemand mit dem Auto hin. Und ich denke, da muss man im Detail reingucken, und da wird es auch Lösungsmöglichkeiten geben.“ Im „schlimmsten Fall“ müsse man „mit dem Auto sogar hin- und herpendeln“. Das würde allerdings dazu führen, dass man nicht innerhalb von Stunden reagieren könnte, sondern länger brauchte.

Die Militärs sprechen über weitere Voraussetzungen, etwa, unter welches Flugzeug die Taurus-Marschflugkörper montiert werden könnten. Das wird nicht als Ausschlusskriterium dargestellt. Es müsste dann „irgendein Bastler aus der Ukraine mit der Firma“ zusammenarbeiten. Möglicherweise könnte man sich von den Briten helfen lassen.

Thema ist ebenso die Ausbildung ukrainischer Soldaten an dem Waffensystem. In dem abgehörten Gespräch wird deutlich, dass die Bundeswehrsoldaten eine hohe Meinung von ihren ukrainischen Kameraden haben, was den Umgang mit Waffensystemen und die Kriegführung angeht. Dennoch ist davon die Rede, dass dafür mindestens drei bis vier Monate erforderlich wären. Schließlich wird deutlich, dass die Bundeswehr nicht mehr als höchstens zweimal 50 Flugkörper abgeben könne, wenn sie selbst genug behalten wolle.

Insgesamt vermittelt die Unterredung der Drei den Eindruck, dass Deutschland Taurus an die Ukraine liefern könnte, wenn der politische Wille da wäre. Eine Bedienung ohne die Bundeswehr scheint nicht restlos ausgeschlossen. Doch wäre der Weg bis dahin vor allem wegen der Daten zur Zielprogrammierung lang.

Mit der politischen Bewertung durch den Bundeskanzler und die SPD haben diese technischen Details wenig zu tun. Selbst wenn die Ukraine sofort völlig alleine mit Taurus umgehen könnte, würde Scholz die Waffe, die bis zu 500 Kilometer tief nach Russland fliegen kann, derzeit nicht liefern. Dabei geht es nicht um technische Machbarkeit, sondern um die Sorge, dass Deutschland in den Krieg hineingezogen werden könnte.

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