Eli-Lilly-Chef Dave Ricks: Der Diäthelfer
Dave Ricks
Als Dave Ricks vor wenigen Wochen in Deutschland war, gab er sich alle Mühe, einen guten Eindruck zu hinterlassen. Der Vorstandschef des amerikanischen Pharmakonzerns Eli Lilly kam ins rheinland-pfälzische Alzey, zum symbolischen Spatenstich für ein neues Arzneimittelwerk. Bundeskanzler Olaf Scholz und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (beide SPD) waren vor Ort, und Ricks begann seine Rede mit einigen Sätzen auf Deutsch.
„Heute ist ein ganz besonderer Tag für Eli Lilly“, sagte er, bevor er ins Englische wechselte und von Rheinland-Pfalz mit Hinweis auf dort beheimatete Unternehmen wie Boehringer Ingelheim und Biontech als „Wiege der pharmazeutischen Innovation“ schwärmte. Er lobte, dass von der ersten Begehung des Standorts bis zum Spatenstich nicht einmal ein Jahr vergangen sei, was gewiss von den Regierungsvertretern als wohltuend empfunden wurde, die sich sonst oft Beschwerden über die hiesige Bürokratie anhören müssen. Die Schlusspointe setzte Ricks wieder auf Deutsch. In Anlehnung an ein berühmtes Zitat des früheren US-Präsidenten John F. Kennedy und zur Freude des einheimischen Publikums sagte er: „Ich bin ein Alzeyer.“
Das neue Werk von Eli Lilly ist ein Megaprojekt und kommt in einer Zeit, in der viel über die Zukunftsfähigkeit von Deutschland als Wirtschaftsstandort diskutiert wird, wie gerufen. Insgesamt 2,3 Milliarden Euro wollen sich die Amerikaner die neue Produktionsstätte kosten lassen, Kanzler Scholz sprach von „einer der größten, wenn nicht sogar der größten Investition in den Pharmastandort Deutschland“. Und anders als etwa bei manchen Halbleiterfabriken, die hierzulande gebaut werden, verlangen die Amerikaner keine finanzielle Unterstützung vom Staat. „Wir bitten normalerweise nicht um Subventionen“, sagte Ricks in Alzey im Gespräch mit der F.A.Z.
„Unsere Patienten essen fast 800 Kalorien weniger am Tag“
Der 56 Jahre als Chef von Eli Lilly ist so etwas wie der Mann der Stunde in der Pharmaindustrie. Sein Unternehmen ist im vergangenen Jahr an der Börse zum wertvollsten Arzneimittelhersteller der Welt aufgestiegen, derzeit liegt die Marktkapitalisierung bei mehr als 700 Milliarden Dollar. Zu verdanken ist das der Position in einer noch jungen Kategorie von Medikamenten, die einst als Diabetesmittel entwickelt wurden, sich dann aber zudem als äußerst wirksame Appetitzügler erwiesen haben und nun auch zur Behandlung von Übergewicht eingesetzt werden. Das Medikament von Eli Lilly heißt Mounjaro, und Ricks sagt: „Unsere Patienten essen fast 800 Kalorien weniger am Tag.“
Die Umsätze mit diesen Diabetes- und Diätspritzen wachsen rasant, wie Eli Lilly bei der Vorlage seiner Geschäftsergebnisse am Dienstag unterstrich. Im ersten Quartal stieg der Konzernumsatz um 26 Prozent, und die Umsatzprognose für das Gesamtjahr wurde deutlich erhöht. Die Börse zeigte sich erfreut, der Aktienkurs stieg im vorbörslichen Handel um mehr als 6 Prozent. Manche Analysten meinen, diese Präparate könnten einmal das größte Marktsegment aller Zeiten in der Pharmaindustrie werden. Bislang wird das Geschäft von Eli Lilly und dem dänischen Wettbewerber Novo Nordisk beherrscht. Beide Unternehmen kommen derzeit nicht mit der Belieferung nach, weshalb sie versuchen, schnellstmöglich ihre Produktionskapazitäten auszuweiten. Auch in Alzey sollen diese Medikamente gefertigt werden.
Lange Forschungsarbeit zahlt sich aus
Eli Lilly zählt zu den traditionsreichsten Vertretern der amerikanischen Pharmaindustrie und wurde schon vor fast 150 Jahren gegründet. Das Unternehmen ist seit Langem in der ersten Branchenliga, aber der Erfolg der Diabetes- und Diätspritzen hat es noch einmal in eine ganz neue Dimension katapultiert. Von außen gesehen kam dieser Aufstieg recht plötzlich, aber Ricks sieht ihn als das Ergebnis langer Arbeit und spricht von einem „Übernachterfolg, der zwanzig Jahre gedauert hat“. Schon 2005 habe Eli Lilly das erste und noch nicht sonderlich gute Medikament aus dieser Klasse herausgebracht, nach und nach habe die Forschungsarbeit Fortschritte und schließlich den großen Durchbruch gebracht. Diese Arbeit geht auch nach der Einführung von Mounjaro weiter, das Unternehmen verfolgt mehr als ein halbes Dutzend Forschungsprojekte auf dem Gebiet, darunter Diätmedikamente in Tablettenform, die erheblich leichter und billiger zu produzieren wären als Spritzen.
Eli Lilly hat auch jenseits von Diabetes und Übergewicht aussichtsreiche Projekte und arbeitet an einem Mittel zur Behandlung der Alzheimer-Krankheit. Auch das ist ein Markt mit riesigem Potential, aber ein besonders schwieriges Feld, auf dem die Pharmaindustrie viele Rückschläge erlebt hat, und das gilt auch für Eli Lilly. Ricks sagt: „Wir arbeiten seit 38 Jahren auf diesem Gebiet und haben 8 Milliarden Dollar investiert, und bis heute stehen wir mit leeren Händen da.“ Die Wende soll nun Donanemab bringen, ein Präparat, das in klinischen Tests den kognitiven Verfall von Patienten in einem frühen Stadium der Erkrankung gebremst hat. Ricks hofft, dass es in diesem Jahr die Zulassung von Gesundheitsbehörden bekommt.
Ricks führt Eli Lilly seit 2017, und er hat hier fast seine gesamte berufliche Karriere verbracht. Er stieg 1996 ein, führte im Laufe der Zeit diverse Landesgesellschaften, zum Beispiel in Kanada, China und auf dem amerikanischen Heimatmarkt, bis er schließlich ganz an die Spitze rückte.
Den großen Rummel um Diätspritzen beobachtet Ricks mit gemischten Gefühlen. Einerseits profitiert er mit Eli Lilly derzeit gewaltig davon, auf der anderen Seite will er diese Medikamente auch nicht zu sehr als Lifestyleprodukte verstanden wissen. In Deutschland werden Medikamente wie Mounjaro zur Behandlung von Übergewicht nicht von der gesetzlichen Krankenkasse erstattet, weil sie als Lifestylemittel eingestuft werden. Eli Lilly hofft, dass sich das ändert, und versucht, Überzeugungsarbeit zu leisten, dass das Mittel eine Waffe gegen eine ernsthafte Erkrankung ist. In den USA schaltete Eli Lilly jüngst vor der Oscarverleihung sogar einen ungewöhnlichen Werbespot, in dem suggeriert wurde, Menschen sollten das Präparat nicht nehmen, nur um in eine etwas engere Abendgarderobe zu passen. Ricks sagt: „Es ist nicht üblich, dass Unternehmen Kunden wegschicken.“ Im Moment ist freilich die Nachfrage so groß, dass er sich das leisten kann.