Eldest Daughter Syndrome: Warum es so toxisch sein kann, die älteste Tochter in einer Familie zu sein

04/05/2024

Das ist das Eldest Daughter Syndrome, das musst du darüber wissen und so stellst du fest, ob du auch davon betroffen bist

“Ich bin eine älteste Tochter. Ich bin ein Überflieger, ein People Pleaser, unabhängig, selbständig, chronisch gestresst, ich muss bei allem, was ich tue, die Beste sein. Wie viel von meiner Persönlichkeit sind nur Symptome des Älteste-Tochter-Syndroms? Ich erinnere mich nicht an meine Kindheit, ich bin zu schnell erwachsen geworden, ich habe sie nie erlebt. Man nannte mich das begabte Kind, lobte mich, weil ich zu reif für mein Alter war.“

So beschreibt Content-Creatorin Kori Jane das Eldest Daughter Syndrome auf TikTok. Sie ist die älteste Tochter ihrer Familie. Und das ist etwas, was ihr Leben und ihre Persönlichkeit langfristig beeinflusst hat, glaubt sie. Damit ist sie nicht allein – Millionen von Frauen sprechen auf Social Media über ihre Rolle als Erstgeborene. Auch wenn der Begriff keine offizielle Diagnose für ein psychisches Symptom ist, so findet er immer mehr Einzug in die Popkultur.

Toxische Vorbildfunktion statt sorgenfreier Kindheit

Frauen beschreiben auf Social-Media-Plattformen den Stress und Druck, denen sie als älteste Tochter ausgesetzt waren, sowie das Gefühl, sich für das Glück ihrer Familie verantwortlich fühlen zu müssen. Sie waren ziemlich unfreiwillig Vorbilder. Sie waren die Älteren, also mussten sie auch die Klügeren sein. Sie mussten nachgeben und anpacken und übersprangen dadurch Teile ihrer eigenen Kindheit. Und während sie ihr Bestes versuchten, um ihre jüngeren Geschwister Kind sein zu lassen und vor Dingen innerhalb der Familie zu schützen, verpassten sie selbst diese Phase. Sie mussten funktionieren.

Die Frauen berichten davon, dass sie als älteste Tochter schlechte Nachrichten mit dem Hinweis mitgeteilt bekommen, ihre Geschwister damit nicht zu belasten oder in Beziehungsprobleme der Eltern mit reingezogen werden. Sie erzählen davon, jung Verantwortung übernehmen zu müssen und diese in gewisser Weise bis ins Alter zu tragen – sei es in Bezug auf gemeinsame Weihnachtsgeschenke oder die spätere Pflege der Eltern.

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Ältesten Töchtern fehlt es oft an Unterstützung

Und während sie die Menschen sind, die andere Personen in ihrem Leben brauchen, wünschen sich viele nichts sehnlicher, als auch so eine Person zu haben. Viele berichten auf TikTok von Einsamkeit und dem Gefühl, niemand zu haben, bei dem sie schwach sein können oder von dem sie Hilfe bekommen.

Sie müssen die Helfenden sein – nicht die, die Hilfe brauchen. Sie wünschen sich eine große Schwester wie die, die sie selber sind. Manche der ältesten Töchter, die auf Social Media darüber sprechen, sind noch Jugendliche, die in dem gemeinsamen Haushalt mit den Eltern Verantwortung für die Geschwister übernehmen müssen. Andere sind erwachsen und von zu Hause ausgezogen, fühlen sich aber immer noch zu stark eingebunden und überlastet. Aber warum sind es gerade die Töchter, die sich nun zusammentun und von ihrem universellen Problem berichten?

Selbstverständliche Fürsorglichkeit als Grundstein des “Älteste-Tochter-Syndroms”

Die Quintessenz des Problems lässt sich einfach beschreiben: Von Frauen wird erwartet, dass sie fürsorglich sind. Von Erstgeborenen wird außerdem erwartet, dass sie Vorbilder sind. Beides zu sein ist anstrengend und genau das berichten die Frauen, die sich selbst als Menschen beschreiben, die schwer abschalten können und immer einen Plan haben müssen.

Häufig würden die Eltern zum großen Ärger der ältesten Tochter das übrigens nicht so sehen – und können sich nicht daran erinnern, dass sie der Tochter mehr Druck oder Verantwortung übergeben hätten.

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Forschung zum unterschwelligen Stress-Symptom des Eldest Daughter Syndrome

Nachdem das Thema nun seit über einem Jahr das Internet eingenommen hat, haben auch Wissenschaftler:innen angefangen, sich damit zu beschäftigen und geben den vielen Frauen recht: Sie bilden sich nicht ein, dass ihre Rolle in der Familie zu einem gewissen Punkt ihre Persönlichkeit ausmacht.

In der Fachzeitschrift Psychoneuroendocrinology veröffentlichten Forscher:innen der Universität von Kalifornien eine Studie, die den Zusammenhang zwischen Stress während der Schwangerschaft und der frühen Reifung von erstgeborenen Töchtern untersucht. Die Forscher:innen verfolgten Familien 15 Jahre lang, von der Schwangerschaft bis zu den Teenagerjahren der Kinder. In der ersten Studie ihrer Art stellten Forscher:innen fest, dass vor allem erstgeborene Töchter von pränatalem Stress auf ganz besondere Weise betroffen sein können.

Biologische Ursache: Entwicklung der Nebennieren

Pränataler Stress der Mütter beschleunigt dabei die Entwicklung der Nebennieren in der Pubertät der Töchter, weshalb sie schneller erwachsen werden. Dieses Signal bekommt der Körper noch im Mutterleib – die Mama wird Hilfe brauchen, wir müssen uns schneller entwickeln.

Die Folgen dieser Nebennieren-Entwicklung sind genau die, von denen Frauen aller Altersstufen berichteten: Sie legen kindliche Bedürfnisse schneller ab, sind in der Lage, bei der Kindererziehung zu helfen und Verantwortung zu übernehmen. Interessanterweise setzt diese pränatale Programmierung schon ein, bevor die Mädchen selbst ihre Periode bekommen – und zeigen sich nur bei den ältesten Töchtern.

Im Mutterleib bereits als Vorbild auserkoren

Molly M. Fox ist Co-Studienautorin und Professorin des Fachbereichs Anthropologie an der Universität von Kalifornien, Los Angeles. Sie weist darauf hin, dass es in der ganzen Welt und im Laufe der Geschichte üblich war, dass die ältesten Töchter in der Familie mit anpackten. Es ist für die Mutter hilfreich, wenn die älteste Tochter sich schneller entwickelt und in stressigen Situationen eine tragende Rolle übernehmen kann.

Wissenschaftlich sind diese Ergebnisse faszinierend, findet Molly Fox: “Unsere Theorie sagt, dass man als Fötus im Mutterleib Hinweise darauf erhält, wie die Welt sein wird, und dass der Körper die Form des Lebenszyklus flexibel anpassen kann, um optimal an die zu erwartenden Bedingungen angepasst zu sein.“

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Ältere Töchter sind erfolgreicher – aber auch mehr Stress ausgesetzt

Und während die Welt für ältere Schwestern häufig mit viel Verantwortung und Druck verbunden sein wird, hat die frühe Entwicklung auch seine Vorteile: Eine Studie von Feifei Bu von der University of Essex, Großbritannien, aus dem Jahr 2014 fand heraus, dass aus allen möglichen Konstellationen älteste Töchter die Familienmitglieder sind, die am ehesten erfolgreich werden.

Alan E. Stewart von der University of Georgia bestätigt in einer Studie aus 2012, dass Erstgeborene einen größeren Anteil an Führungsrollen in Unternehmen einnehmen als jüngere Geschwister. Sie bringen Führungsfähigkeiten mit, haben ein großes Maß an Unabhängigkeit und Empathie für ihre Mitmenschen. Gleichzeitig haben viele ältere Töchter aber auch Probleme damit, Grenzen zu setzen und Emotionen zu zeigen. “Wenn wir etwas gelernt haben, dann unsere Gefühle zu unterdrücken“, so eine TikTok-Userin. Und auch Psychologin Stephanie Hernandez sagt: ”Ältere Töchter können ihre Gefühle und Bedürfnisse zum Wohl der Anderen unterdrücken, was dazu führt, dass sie Schwierigkeiten haben, sich auszudrücken oder im Bedarfsfall Hilfe zu suchen.“

Eldest Daughter Syndrome: So wirst du die toxische Rolle los

Für viele ältere Töchter führt die Kombination dieser Eigenschaften zu einem hohen Level an Stress und Anxiety, Perfektionismus, großem innerlichen Erfolgsdruck und Schwierigkeiten in Beziehung. Viele von ihnen übernehmen auch in Freundschaften und Partnerschaften eine Caretaker-Rolle und stellen ihre eigenen Bedürfnisse hinten an. Online findet man diverse Websiten von Psycholog:innen oder Life Coaches, die Tipps für älteste Töchter veröffentlichen und genau auf diese Schwierigkeiten eingehen.

Fast alle führen als wichtigsten Tipp an: Lerne dich selbst zu priorisieren. Lerne auf deine Bedürfnisse zu hören, diese zu verstehen und dich zuerst selbst glücklich zu machen. Lerne nein zu sagen. Kommuniziere deutlich und selbstbewusst – auch wenn dein Gegenüber dir erst einmal nicht recht gibt. Tipps, die für viele Frauen wichtig sind. Allen voran für die ältesten Töchter, von denen viele aufgrund ihrer Rolle all das nie gelernt haben (wenn man den Millionen von Videos auf Social Media zu dem Thema Glauben schenkt).

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