Sanktionen: Die letzten Hebel gegen Putin

sanktionen: die letzten hebel gegen putin

Protest gegen Putins blutigen Krieg in der Ukraine in Berlin

Aus Sicht Wladimir Putins laufen die Dinge derzeit an mehreren Fronten bestens. In der Ukraine haben seine Truppen kürzlich die lange umkämpfte Stadt Awdijiwka eingenommen, und die russische Wirtschaft wächst, obwohl sie seit zwei Jahren unter „beispiellosen“ Sanktionen des Westens steht. Nun ist auch noch Putins wichtigster Widersacher, der Antikorruptionskämpfer Alexej Nawalnyj, unter ungeklärten Umständen und nach langen Qualen in der Haft gestorben, also keine Gefahr mehr.

Die EU hat deshalb am Freitag, genau wie die Vereinigten Staaten, wieder einmal neue Sanktionen verhängt. In dem mittlerweile 13. Sanktionspaket schränkt Brüssel die Ausfuhr von Drohnentechnologie nach Russland ein, setzt weitere Personen und Unternehmen auf schwarze Listen. Doch dass die Maßnahmen Russlands Wirtschaft tatsächlich treffen, glaubt längst keiner mehr. Gehen Europa die Mittel aus, jenseits von Waffenlieferungen noch auf Russlands Aggressionen und Rechtsbrüche zu reagieren?

Nawalnyj selbst, der mit seinem Fonds zum Kampf gegen die Korruption viele Fälle schamloser Bereicherung in der russischen Elite aufdeckte, war immer für eine Ausweitung der personellen Sanktionen eingetreten. In diese Richtung gingen auch Forderungen, die seine Witwe, Julija Nawalnaja, am Montag beim Treffen der EU-Außenminister in Brüssel nannte. Es solle nicht nur der Besitz von Personen konfisziert werden, die auf Sanktionslisten stehen, sondern auch der von Verwandten, auf die das Vermögen überschrieben werde, sagte Nawalnaja. Als Beispiel nannte sie die Villa der früheren Ehefrau Putins in Biarritz, die „mit korruptem Geld“ gekauft worden, aber noch immer nicht beschlagnahmt sei.

Kein Unmut in der Elite

Für die russische Wirtschaft haben Sanktionen gegen Oligarchen und Putins Mitstreiter allerdings kaum Folgen. Die Hoffnung, dass sich dadurch Unmut in der Elite bilden würde, was wiederum Druck auf den Präsidenten ausüben könnte, hat sich nicht erfüllt. Das könnte zumindest in manchen Fällen daran liegen, dass die Sanktionen keinen Ausweg aufzeigten für die, die sich offen gegen das Regime stellen. Ihnen jetzt noch diese Wahl zu geben, wie manche fordern, sei zu spät, sagt Ruben Enikolopow, russischer Ökonom, der an der Universität von Barcelona lehrt: Die Oligarchen hätten ihre Entscheidung bereits im Februar 2022 getroffen, und zwar für das Regime. Die Elite habe sich dadurch sogar noch loyaler um den Kreml geschart. Einige Geschäftsleute haben erfolgreich gegen die Sanktionen geklagt, aber das sind Ausnahmen.

Auch was Sanktionen gegen Russlands wichtigste Wirtschaftssektoren angeht, ist der Spielraum der EU mittlerweile eng begrenzt. Vieles ist längst mit Einfuhrverboten belegt: allen voran Rohöl, aber auch Kohle, Stahl, Gold, Holz, Kosmetika, Kaviar und Wodka; die Gasexporte nach Europa stellte Russland selbst weitgehend ein. Insgesamt ging das Handelsvolumen von rund 250 Milliarden Euro 2021 auf nur 89 Milliarden Euro im vergangenen Jahr zurück.

Abhängigkeit von russischem Uran

Was übrig bleibt, sind Bereiche, in denen ein Boykott auch europäische Länder hart treffen würde. Das gilt für Produkte wie Nickel, Palladium, Titan, Aluminium oder Düngemittel, die dem russischen Staatshaushalt Milliarden einbringen. Auch angereichtes Uran gehört dazu. Zwar hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wiederholt Sanktionen gegen Russlands staatlichen Atomkonzern Rosatom gefordert. Doch nicht nur Ungarn, dessen Atomkraftwerk Paks von Rosatom betrieben wird, war strikt dagegen. Auch Frankreich sperrte sich, weil viele seiner Kernkraftwerke auf das angereicherte Uran aus Russland angewiesen sind: Russland besitzt fast die Hälfte der weltweiten Kapazitäten zur Urananreicherung. Die EU legte das Thema deshalb schon vor Monaten zu den Akten.

Statt neuer, großer Würfe geht es nun vor allem um das Nachbessern, Lücken füllen, Fehler korrigieren. Wie schwierig das sein kann, zeigt das Beispiel des Ölpreisdeckels, den die G-7-Staaten Ende 2022 als Ergänzung zum EU-Embargo beschlossen hatten. Da Russland bis zum Überfall auf die Ukraine auf Öl-Frachter und Dienstleistungen aus dem Westen angewiesen war, glaubte man, ein Druckmittel in der Hand zu haben. Zu Beginn schien der Mechanismus zu wirken, denn russisches Öl wurde mit starken Rabatten gehandelt. Doch bald begann Russland die Preisgrenze zu umgehen – unter anderem mithilfe seiner Schattenflotte aus alten Tankern, die ohne westliche Versicherungen auskommen. Viele der Schiffe stammen von griechischen Reedern. Solche Verkäufe an Russland hat die EU immerhin inzwischen verboten, damit die Schattenflotte nicht noch wachsen kann. Etliche Fachleute fordern, den Preisdeckel von derzeit 60 Dollar auf 50 Dollar oder sogar noch weiter zu senken und die Einhaltung besser zu überprüfen.

Wie vorgehen gegen die Schattenflotte?

Doch wer sollte das tun? In Brüssel wurde ernsthaft der Vorschlag diskutiert, die EU könne nur solchen Tankern die Durchfahrt durch ihre Gewässer erlauben, die bestimmte Umweltstandards erfüllten – die rostigen Schiffe der Schattenflotte würden diesen nicht entsprechen. Dänemark sollte die Kontrollen durchführen. Am Ende setzte sich aber die Erkenntnis durch, dass das kleine Land damit in einen heiklen, direkten Konflikt mit Russland geraten würde.

Die Vereinigten Staaten gehen seit dem vergangenen Oktober einen anderen Weg: Sie belegen Schiffe der Schattenflotte mit Sanktionen, was dazu führt, dass zumindest einige von ihnen derzeit offenbar nicht neu beladen werden. Vermutlich deshalb hat sich der Abschlag auf russisches Urals-Rohöl im Vergleich zur Marke Brent wieder leicht auf 18 Dollar erhöht. Er war von 40 Dollar im Januar 2023 – kurz nach Einführung der Preisobergrenze – auf nur noch 11 Dollar im Herbst gesunken.

Manche Fachleute bezweifeln aber, dass das Vorgehen den Durchbruch bringt: etwa Sergej Wakulenko, der bis Februar 2022 bei Gazprom Neft, der Ölsparte von Russlands staatlichem Gaskonzern, war und mittlerweile als Energieexperte bei der Denkfabrik Carnegie in Berlin arbeitet. „Wenn solche Sanktionen gegen Schiffe bekannt- gegeben werden, will erst einmal niemand mehr etwas mit ihnen zu tun haben“, sagt Wakulenko. Aber dann fingen die Besitzer an, Möglichkeiten zu suchen, wie sie die Tanker noch benutzen können. Meistens würden dann doch wieder Umwege gefunden.

Die Banken im Visier

Washington versucht seit Dezember noch auf andere Weise, die Umgehung von Sanktionen zu verhindern – indem Banken mit der Drohung von Sekundärsanktionen davon abgebracht werden, für Russland Geschäfte abzuwickeln. Die Sanktionsexpertin Marija Schagina von der Denkfabrik International Institute for Strategic Studies hält das für effektiv: Banken aus China, der Türkei und den Vereinigten Arabischen Emiraten würden jetzt schon Transaktionen mit Russland stoppen, wenn es dabei um Geschäfte mit sanktionierten Gütern gehe.

Dass das in Russland zum Problem wird, zeigte eine Veranstaltung des russischen Unternehmerverbands Anfang Februar, bei dem Vertreter großer Konzerne Hilfe des Staates bei der Abwicklung von Finanztransaktionen erbaten – unter anderem bei Geschäften mit „befreundeten“ Staaten, die also keine Sanktionen gegen Russland verhängt haben, aber deren Banken dennoch keine Geschäfte mit russischen Konzernen eingehen wollen. Das Handelsvolumen der türkischen Lira an der Moskauer Börse ging im Januar gegenüber Dezember jedenfalls um das Vierfache zurück.

Solche Maßnahmen, die russischen Unternehmen Zahlvorgänge erschwerten und die Kosten erhöhten, funktionierten gut, sagt Alexandra Prokopenko, die bis zum Februar 2022 die russische Zentralbank beriet und nun wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Carnegie in Berlin ist. Im Bereich der Finanzsanktionen gebe es großes Potential, denn viele Russen vertrauten dem Finanzsystem nicht. So würden viele, die den Krieg und Putin ablehnten, Wege suchen, Russland zu verlassen, und ihr Geld außer Landes zu bringen. Sollte die EU dies ermöglichen, wäre das für Russland nicht nur schmerzhaft, was die Außenwirkung angehe, sondern könne auch „bedeutende innerpolitische Risiken“ schaffen. Denn der Kreml müsse dann die Ausfuhr von Geld und die Ausreise seiner Bürger verbieten, während er eigentlich die Illusion eines „business as usual“ im Land zu bewahren versuche.

Florierende Kriegswirtschaft

Bisher gelingt dies dem Kreml, was auch an der florierenden Kriegswirtschaft liegt: Hohe Staatsausgaben für die Rüstungsindustrie, in diesem Jahr etwa 6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, sind der Hauptgrund für das Wachstum, das im vergangenen Jahr nach bisherigen Schätzungen bei gut 3,5 Prozent lag. Zugleich stellt der Kreml mit Zahlungen an seine wichtigste Basis – Rentner, Mitarbeiter der Sicherheitsorgane, arme Familien – sicher, dass der Unmut über die Inflation von derzeit 7,4 Prozent nicht steigt.

Doch all das ist teuer. Russland nutzt deshalb inzwischen schon Reserven aus dem Nationalen Wohlfahrtsfonds, in dem es seit Jahren die überschüssigen Einnahmen aus dem Ölverkauf für Krisenzeiten anlegt. In dem liquiden, also zugänglichen Teil des Fonds lägen derzeit 55 Milliarden Dollar, sagt Sergej Gurijew, Wirtschaftsprofessor an der Pariser Hochschule Sciences Po, der Alexej Nawalnyj zu dessen Lebzeiten unterstützte. Putin könne den Krieg damit problemlos noch ein Jahr finanzieren. Wenn das Geld aufgebraucht sei, werde der Krieg nicht enden, aber Putin müsse dann neue Geldquellen finden, etwa Steuern erheben oder sparen, wodurch die Unzufriedenheit wachsen werde. Ziel der Sanktionen müsse deshalb sein, dass Putin weniger Geld habe, das er in die Rüstung stecken könne.

Es braucht eine strukturiertere Umsetzung

In diesem Sinne wirkten die Sanktionen natürlich, sagt Ökonom Enikolopow: Ohne sie würde Russland noch deutlich mehr Geld verdienen. Nur könne der Effekt noch größer sein, wenn die Umsetzung strukturierter wäre. Brüssel und Washington müssten eine Infrastruktur aufbauen, Organe schaffen, die die Einhaltung der Sanktionen überwachen, sagt Enikolopow.

Das Stopfen der Schlupflöcher ist mühsam. So hat die EU etwa Firmen aus Hongkong, Indien, Serbien, Singapur, Sri Lanka, Thailand, der Türkei und auch China mit Sanktionen belegt, weil sie kriegsrelevante Technologie aus Europa an Russland geliefert haben. Das sei ein „Katz-und-Maus-Spiel“, sagt Benjamin Hilgenstock von der Kyiv School of Economics, lohne sich aber, „weil es Russland das Leben zumindest erschwert und die Beschaffung verteuert“. Hilgenstock fordert, die EU müsse auch die Einfuhr von Gas vollständig unterbinden – sowohl von verflüssigtem Gas (LNG) als auch von Pipelinegas.

Die Gaseinfuhr aus Russland ist zwar stark gesunken, und die Einnahmen sind verglichen mit den Öleinnahmen gering. Aber es fließt nach wie vor Gas über die Turkstream-Pipeline und sogar durch die Ukraine in die EU. Österreich etwa bezog noch im Dezember 98 Prozent seines Gases aus Russland. Auch einige Prozent des deutschen Verbrauchs werden durch russisches LNG abgedeckt. Das Europäische Parlament hatte sich im November in einer nicht bindenden Resolution ebenfalls für ein LNG-Embargo ausgesprochen. Die Brüsseler Denkfabrik Bruegel hat schon im Sommer in einer Analyse gezeigt, dass die EU das russische LNG nicht braucht. Die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten haben das aber nicht aufgegriffen. Die Folgen für die russischen Einnahmen wären begrenzt, argumentiert die Kommission. Russland werde das LNG einfach nach Asien verkaufen.

News Related

OTHER NEWS

Ukraine-Update am Morgen - Verhandlungen mit Moskau wären „Kapitulationsmonolog" für Kiew

US-Präsident Joe Biden empfängt Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus. Evan Vucci/AP/dpa Die US-Regierung hält Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland zum jetzigen Zeitpunkt für „sinnlos”. Bei einem Unwetter in Odessa ... Read more »

Deutschland im Wettbewerb: Subventionen schaden dem Standort

Bundeskanzler Olaf Scholz am 15. November 2023 im Bundestag Als Amerikas Präsident Donald Trump im Jahr 2017 mit Handelsschranken und Subventionen den Wirtschaftskrieg gegen China begann, schrien die Europäer auf ... Read more »

«Godfather of British Blues»: John Mayall wird 90

John Mayall hat Musikgeschichte geschrieben. Man nennt ihn den «Godfather of British Blues». Seit den 1960er Jahren hat John Mayall den Blues geprägt wie nur wenige andere britische Musiker. In ... Read more »

Bund und Bahn: Einigung auf günstigeres Deutschlandticket für Studenten

Mit dem vergünstigten Deutschlandticket will Bundesverkehrsminister Wissing eine junge Kundengruppe dauerhaft an den ÖPNV binden. Bei der Fahrkarte für den Nah- und Regionalverkehr vereinbaren Bund und Länder eine Lösung für ... Read more »

Die Ukraine soll der Nato beitreten - nach dem Krieg

Die Ukraine soll nach dem Krieg Nato-Mitglied werden. Die Ukraine wird – Reformen vorausgesetzt – nach dem Krieg Mitglied der Nato werden. Das hat der Generalsekretär des Militärbündnisses, Jens Stoltenberg, ... Read more »

Präsidentin droht Anklage wegen Tod von Demonstranten

Lima. In Peru wurde eine staatsrechtlichen Beschwerde gegen Präsidentin Dina Boluarte eingeleitet. Sie wird für den Tod von mehreren regierungskritischen Demonstranten verantwortlich gemacht. Was der Politikerin jetzt droht. Perus Präsidentin ... Read more »

Novartis will nach Sandoz-Abspaltung stärker wachsen

ARCHIV: Das Logo des Schweizer Arzneimittelherstellers Novartis im Werk des Unternehmens in der Nordschweizer Stadt Stein, Schweiz, 23. Oktober 2017. REUTERS/Arnd Wiegmann Zürich (Reuters) – Der Schweizer Pharmakonzern Novartis will ... Read more »
Top List in the World