Ob der „Papa“ wisse, dass sein Sohn die CDU zerstören wolle? „Das weiß er“, sagt Krah lächelnd

Mehr als sechs Stunden ist Maximilian Krah beim YouTuber Tilo Jung zu Gast. Der versucht, die extrem rechten Ideen des AfD-Europaspitzenkandidaten offenzulegen. Doch er kommt dem Politiker nur schwer bei – etwa als es um Kampfbegriffe wie „Remigration“ oder „Umvolkung“ geht.

ob der „papa“ wisse, dass sein sohn die cdu zerstören wolle? „das weiß er“, sagt krah lächelnd

Maximilian Krah (l.), AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl; „Jung & Naiv“-Moderator Tilo Jung Jung & Naiv: Folge 701/YouTube

Viereinhalb Stunden lang hat der YouTuber Tilo Jung den AfD-Spitzenkandidaten bei der Europawahl, Maximilian Krah, am Freitag live interviewt – zwei weitere Stunden hat er sich Community-Fragen gestellt. „Maximilian, was machst du“, ist Jungs erste Frage an Krah. Er mimt den „naiven“ Fragesteller, sein Markenzeichen in seinem Format „Jung & Naiv“. Haufenweise Notizzettel liegen vor ihm, in einer Ausgabe von Krahs Buch „Politik von rechts“ sind zig Post-it-Zettel zu sehen.

In dem Buch umreißt Krah unter anderem sein Konzept der „Remigration“, seine Vision also eines ideologisch und ethnisch homogenen Volks und wie es sich schaffen ließe. Jung will ungefähr ab Stunde vier diesen Kern von Krahs extrem rechten Ideen offenlegen, scheitert aber immer wieder an Ablenkungsmanövern. Mit seinen unpräzisen NS-Vergleichen kommt der Interviewer Krah nicht bei, der oft das letzte Wort behält und Deutungshoheit zu erringen scheint, etwa wenn es um „Umvolkung“ oder Carl-Schmitt-artige Fantasien von Völkern in „angestammten“ Räumen geht.

Ist Jungs Publikum wirklich so unbedarft, wie Jung durch seine „naiven“ Fragen suggeriert, ist nicht ausgeschlossen, dass Krahs Thesen manchen Zuschauern als legitime, nicht-extreme Anliegen erscheinen. Über weite Strecken, etwa als um staatlichen vs. marktgesteuerten Wohnungsbau und Überregulierung geht, kann er als ganz normaler Politiker auftreten. Wirklich unsouverän, ohne Grinsen, anscheinend erbost wirkt der AfD-Politiker nur einmal in den vielen Stunden: Als Jung Krahs Großvater, ein NSDAP-Mitglied, dementsprechend einen Nazi nennt, fast am Ende des Gesprächs.

Als der Moderator fragt, ob Krahs „Papa“, CDU-Mitglied, wisse, dass sein Sohn dessen Partei zerstören wolle, antwortet der AfD-Mann lächelnd: „Das weiß er.“ Krah verweist auf andere europäische Länder, in denen christdemokratische Parteien hätten weichen müssen, damit neue, rechtere Parteien an die Regierung gelangen konnten. Die CDU „neutralisiere“ Wähler, die rechte Politik wollten, weil sie vor Wahlen „rechts blinke“ und dann mit den Grünen koaliere, behauptet Krah, der lange Jahre CDU-Mitglied und auch Vorsitzender der CDU-Studentenvereinigung RCDS war.

In einer Debatte zu seinen Studentenzeiten mit dem Publizisten und Rechtswissenschaftler Christoph Möllers habe der ihm gesagt: „Ich würde nie CDU wählen, aber wissen Sie, wofür ich die CDU liebe? Dass sie Leute wie Sie neutralisiert.“ Krah habe es als junger Mann „extrem empörend“ gefunden, dass Möllers gedacht habe, er lasse sich „neutralisieren“. Heute denke er: „Ich befürchte, er hatte recht.“

„Maximilian, kein Scheiß …“

Jung will Krah in dem Gespräch auch entlocken, wer und wie viele Menschen aus dessen Sicht „remigrieren“ sollten; der Europawahl-Kandidat beharrt stoisch, dass es sich um eine „Teilmenge“ der 25 Millionen Menschen in Deutschland mit Migrationshintergrund handele, die er als „nicht integrationswillig“ bezeichnet. Wie definiert sich diese Gruppe?

Krah wird erst konkreter, als er später eine Antwort aus dem Publikum beantwortet. Das treffe auf Straffällige und solche, die „nach fünf Jahren partout“ kein Deutsch können, zu. Im Gespräch mit Jung selbst betont der AfD-Mann, vor allem ökonomische Anreize würden die „Remigration“ der „Integrationsunwilligen“ veranlassen; ob es nach Krahs Ansicht überhaupt eine signifikant große Gruppe von Migranten gibt, die nicht arbeiten und es sogar derart ablehnen, dass sie auswandern würden, wenn sie es müssten, bleibt dahingestellt. Jung fragt ihn nicht danach.

Vor Krah hatten andere AfDler von „millionenfacher Remigration“ fabuliert; ob er so ähnlich denkt und sich vor dem eher jungen Publikum nur anschlussfähig gibt, kriegt Jung nicht zu greifen. Er probiert es mit Sätzen wie: „Maximilian, kein Scheiß, wir haben gerade vorhin festgestellt, dass du selber gesagt hast, entweder assimilieren sich die Menschen oder sie hauen ab.“

Krah bleibt stoisch: Wer sich nicht integrieren wolle, müsse „freiwillig“ gehen. Freiwillig gehen müssen? Ein Widerspruch in sich. Dass die „Masse“ der 25 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund Deutschland gar nicht verlassen werde, nennt er gar „wertvoll“ und „auch richtig so“; zudem sei er überzeugt, dass diese „Masse“ sich ohnehin von selbst „assimilieren“ werde.

Völlig harmlos klingt das Konzept, als der AfD-Politiker sagt: „Stell dir vor, du gehst jetzt nach Syrien und machst da ein Unternehmen auf, und irgendwann bist du aber 70 und sagst ‚Mir ist es zu warm hier‘ und du gehst zurück nach Deutschland, dann ist dein freiwilliges Zurückkehren aus Syrien nach Deutschland eine Remigration.“ Was will Krah damit sagen? Jung fragt ihn nicht.

Etwas klarer wird, was Krah mit „Assimilierung“ meint. Am Ende eines Wortwechsels über „Ethnien“ sagt der AfD-Spitzenkandidat: „Türken der dritten Generation“ seien „Deutsche,“ wenn sie „längst besser Deutsch sprechen als Türkisch“. Nicht aber, wenn sie „zu Hause das türkische Brauchtum pflegen“. Bedeutet laut Krah: Wenn sie „zum Zuckerfest gehen“ oder „Verwandte besuchen“.

Kein Deutscher könne zudem sein, wer sich als „Deutschtürke“ bezeichne: – „dann sind‘s Türken“. Zuweilen widerspricht sich Krah: Einmal sind „ethnisch“ Deutsche alle, die „zu Hause“ Deutsch sprechen; an anderer Stelle müssen sie „Weihnachten und nicht das muslimische Zuckerfest“ feiern und ihren Kindern „deutsche Märchen“ erzählen.

Jung will daraufhin die Verwendung des Begriffs „Ethnie“ problematisieren, an Krah prallt das aber ab: „Also ist die Ethnologie jetzt problematisch als Wissenschaft?“ So oft bringt der Interviewgast die „deutsche Ethnie“ in Stellung, dass sich beinah Gewöhnungseffekte einstellen. Fast, als wäre es normal, in Begriffen von „Ethnien“ über die deutsche Gesellschaft zu sprechen und darüber, dass eben eine „deutsche Ethnie“ maßgeblich für die Zugehörigkeit sei; fast so, als wäre Krahs Forderung aus einem WELT-Interview nach einer „maßgeblich“ durch eine undefinierte „deutsche Kultur“ geprägten Gesellschaft schon Wirklichkeit.

Zu solchem Denken gehört, dass Krah als Ethnopluralist von als angestammt imaginierten Räumen ausgeht, in denen Gemeinschaften sich aufhalten sollten oder nicht. Ähnlich den Nazis vertritt er die Auffassung, „Völker“ hätten angestammte Lebensräume und blieben dort besser unter sich; nur kleidet er diese Überzeugung in die Sprache des postkolonialen Aktivismus, wenn er Deutsche mit bedrohten indigenen Völkern vergleicht, und linker „Diversity“-Rhetorik, wenn er sagt, er finde „die Vielfalt der Völker“ großartig und damit meint: sortenrein getrennt, für den Urlaub besichtungsfertig, aber ohne Vermischung.

Zu einer Auseinandersetzung darum kommen Jung und er über Umwege. Zunächst konfrontiert der YouTuber Krah mit rassistischen Sätzen, die dieser an ein Publikum im sächsischen Freital richtete: „Sie sind die Mehrheit, für die wir Politik machen. Wenn ich in den Raum schaue, ist es nicht bunt und vielfältig, das ist das Schöne an Freital, sie sind alle hier deutsch, sächsisch und weiß.“

Krah gesteht ein, das sei nicht sein „allerschlauester Satz“ gewesen, aber viel länger relativiert er ihn, bevor er das kurz eingesteht, als bloße Kulturkampf-Volte: „Wenn wir nur noch über alte weiße Männer schimpfen und ,Black Lives Matter‘ rufen, na ja, dann gibt‘s halt auch eine Retourkutsche“. Er behauptet auch, er würde es sehr begrüßen, würde man „generell aufhören, über Hautfarben zu reden“. Jung zitiert Krah mit den Worten, „bunt und vielfältig“ sei „jede Müllhalde“ und dass Krah „durchaus auch mal eine gepflegte hellere Wandfarbe“ bevorzuge.

Das aber, so Jung, stehe im Widerspruch zu Krahs in diesem Gespräch bekräftigtem und auch anderswo gesagten Satz: „Es lebe die Vielfalt.“ Nur: So kann der Moderator dem AfD-Politiker nicht beikommen, es muss scheitern, denn für den Ethnopluralisten besteht zwischen dessen „Vielfalts“-Begriff und der Freude über einen homogen-weißen Raum kein Widerspruch. Im Gegenteil „schätze“ er ja „die verschiedenen Ethnien und die Verschiedenheit“, sagt Krah; er wolle nur schlicht nicht den „globalen Schmelztiegel“, sodass „am Ende alles aufhört, original bei sich zu sein“, und in diesem Sinne wünsche er auch etwa „den Syrern“ keine „Masseneinwanderung von Deutschen“.

„Umvolkung“ nennt Krah „sächsisches Lokalkolorit“

Jung will dem etwas mit einem Trick entgegensetzen. Dazu zitiert er zuerst aus dem Buch des Politikers: „Die politische Rechte“, heiße es dort, müsse „Fürsprecher der Vielfalt der Menschen und Völker sein weltweit. Jeder unter seinesgleichen, jede Gruppe am Ort, der sie evolutionär und kulturell geformt hat, den sie nach ihrem Wesen für sich geprägt hat …“. Krah grinst und nickt, als Jung vorliest; dann folgt die Pointe Jungs: Ohne Adolf Hitlers „Mein Kampf“ als Quelle anzugeben, vergleicht Jung Krahs Worte jetzt mit denen des NS-Diktators: „Jedes Tier paart sich nur mit einem Genossen der gleichen Art: Meise geht zu Meise …“

Krah scheint den Hitler-Satz zu kennen, schon nach „Jedes Tier paart sich …“ verzieht er sein Gesicht und wirft er ein: „Ach Quatsch.“ Dann erwidert er: „Du willst mir also erzählen, dass du es okay findest, wenn es jetzt in Tibet eine forcierte Masseneinwanderung von Han-Chinesen gibt, ja?“ Hätten Tibeter nicht das „Recht“, „da weitgehend unter sich ihre Kultur“ zu leben? Jung sei bigott: Wenn „ein Deutscher“ sage, er sei „der Meinung, jedes Volk sollte an seinem Ort weitgehend unter sich nach seinen Regeln leben, dann heißt es: böser Nazi“ Umgekehrt hielten „dieselben Leute“ das Siedeln von Han-Chinesen in Tibet für „Völkermord“.

Glaubt Krah, in Deutschland finde ein „Völkermord“ statt? Jung fragt nicht; als er Krah nach etwa anderthalb Minuten unterbricht, ist der im Redeschwall – nicht ohne Zwischenstopp bei der „Gesellschaft für bedrohte Völker“, die auch anprangere, wenn es bei „kleinen Völkern“ „plötzlich zu einer Einwanderung kommt“ – längst viel weiter. Der YouTuber will dennoch auf den Hitler-Satz mit den Meisen zurück; der AfD-Mann behauptet nun: „Kenn ich nicht“, worauf Jung ihm „enthüllt“, dass der Satz aus „Mein Kampf“ stamme.

Krah entgegnet: „Wenn alles, was du hast, immer ein Hitler-Verweis ist, dann ist es dürftig.“

Jung antwortet: „Außer, wenn er passt.“

Krah: „Ja, aber er passt nicht.“

Jung: „Das, äh, kann sich jeder noch mal selbst zurückspulen.“ Er meint wohl: Die Zuschauer könnten im Video die beiden Sätze ja selbst vergleichen; er selbst erklärt den inhaltlichen Zusammenhang zwischen Hitlers Volksgenossen und Krahs „evolutionär“ geformten „Gleichen unter Gleichen“ nicht.

Ähnlich läuft es, als Jung Krah mit dem auch von diesem verwendeten Begriff der „Umvolkung“ konfrontiert; einst Nazi-Sprech in der Kolonisierung der Länder Osteuropas, heute rechtsextreme Verschwörungsideologie, die einen planvollen „Austausch“ des deutschen „Volks“ behauptet. Krah drückt es vor Jungs Publikum geschickter aus, er sagt: Aufgrund „politischer Entscheidungen“ gebe es eine „massive Verschiebung“ der „Bevölkerungszusammensetzung“. Den Begriff „Umvolkung“ nennt er erst „sächsisches Lokalkolorit“, dann „unglücklich“. Jung will wissen: Weil der Begriff er aus der NS-Zeit stammt?

„Nein, stammt er nicht“, sagt Krah. „Doch, Umvolkung ist NS-Sprache“, erwidert Jung. Krah sagt: Der Begriff stamme „nicht aus der Zeit, ich habe gegoogelt.“ Jung bricht ab und fragt: „Aber wer ‚volkt‘ denn um“?

Krahs verweist auf die damalige Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die 2015 ein „Selbsteintrittsrecht in die Dublin-III-Verordnung positiv formuliert“; das soll bedeuten, dass sie Kriegsflüchtlinge nicht den EU-Ländern an den Außengrenzen überlassen oder sich selbst überlassen habe. Als letztes Wort in dieser Sache bleibt der Krah-Satz stehen: „Sie hat eine Million Leute hereingelassen, die hier nichts letztlich rechtlich, äh …“ – „… zu suchen hatten“, ergänzt Jung Krah, der nach Worten sucht. Jung druckst herum, sagt: „Dann haben wir das eine. Äh. Wir kommen fast zum Schluss.“

Ob Krah noch Kraft habe für Publikumsfragen später? Hat er.

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