Der Mieterverband weiss von mehreren grösseren Fällen, bei denen Mieterinnen und Mieter wegen Baupfusch aktuell rechtliche Schritte unternehmen. Experten vermuten den Grund in den Lieferengpässen und der Materialknappheit während der Coronakrise.
Hat Corona die Pfuscherei auf dem Bau befeuert?
Legionellen im Wasser, feuchte Wände, nasse Böden – immer wieder wenden sich Mieterinnen und Mieter an Blick und berichten über massive Baumängel in Neubauten, die teilweise zu prekäre Wohnsituationen führen. Blick wollte von Branchenkennern wissen: Nimmt Baupfusch bei Neubauten zu?
Erste Erkenntnis: Baumängel werden in der Schweiz nicht statistisch erhoben. Eine Studie der ETH Zürich aus dem Jahr 2013 zeigt jedoch, dass Baumängel jedes Jahr Millionen von Franken verschlingen. Demnach weist jedes Bauwerk in der Schweiz im Schnitt 15 wesentliche Mängel auf. Zwei Drittel dieser Mängel haben mit Feuchtigkeit zu tun. Der finanzielle Schaden ist gross: Die ETH schätzt die Kosten für die Behebung dieser Mängel auf rund 1,6 Milliarden Franken pro Jahr – oder 8 Prozent des investierten Geldes.
Suchanfragen nehmen zu
Ob es in den letzten zehn Jahren zu einer Häufung kam, kann nicht belegt werden, weil die Zahlen dazu fehlen. Aussagekräftig – wenn auch nicht repräsentativ – ist ein Blick in die Suchanfragen von Google und Youtube: Dort wurde der Suchbegriff «Baumängel» im Februar 2024 so häufig eingegeben wie nie zuvor in den letzten zwölf Jahren.
Auch dem Mieterverband fehlen Zahlen, die eine Häufung von Fällen dokumentieren würden. Aber: «Wir können sagen, dass wir gerade ein paar grössere Fälle haben, bei denen ein gröberer Baupfusch vorliegt», sagt Larissa Steiner (34), Co-Leiterin Rechtsberatung MV Zürich. Nur die Spitze des Eisbergs? Diverse Verbandsmitglieder hätten deshalb aktuell einen Rechtsstreit mit ihren Vermietern. Das könne aber auch damit zusammenhängen, dass nach dem während Corona verhängten Baustopp nun eine Vielzahl von Bauprojekten gleichzeitig beendet und bezugsbereit wurden.
Engpässe und Lieferschwierigkeiten
Auch Fredy Hasenmaile (57), Immobilienexperte der Raiffeisen, sieht einen möglichen Zusammenhang mit der Pandemie. «Die Turbulenzen während der Coronakrise – Lieferengpässe, eine Verknappung der Baumaterialien, hohe Preisanstiege – waren für die Bauqualität bestimmt nicht förderlich», sagt Hasenmaile.
Teilweise mussten Bauherren auf andere Lieferanten und alternative Materialien ausweichen oder den Baufortschritt verlangsamen. Dies könnte laut Hasenmaile in gewissen Fällen negative Auswirkungen auf die Bauqualität gehabt haben. Weil bei neuen Materialien oder neuen Lieferanten Erfahrungswerte fehlten.
Fachkräftemangel verschärft sich
«Seit der Coronakrise hat sich der Fachkräftemangel im Bau zudem verschärft», so Hasenmaile. Die Bauwirtschaft zählt zu den Wirtschaftszweigen, wo der Fachkräftemangel am grössten ist. «Meist ist die Ursache ein menschlicher Fehler und nicht ein Mangel beim Baumaterial», so Hasenmaile. Rund 60 Prozent der Baumängel seien auf Ausführungen vor Ort zurückzuführen.
Gerade bei der häufigsten Schwachstelle, nämlich Bauschäden in Zusammenhang mit Feuchtigkeit, sieht Hasenmaile das Problem auch in neuen Bauweisen. «Stärkere Wärmedämmungen sowie dichtere Gebäudehüllen verzeihen weniger Fehler», so der Immobilienexperte.
Verfrühter Einzug
Fabian Gloor (38), Jurist beim Mieterinnen- und Mieterverband Deutschschweiz, sieht eine weitere Ursache darin, dass Neubauten heute in der Regel sehr schnell nach der Fertigstellung vermietet werde. «In gewissen Fällen zu früh», so Gloor.
Dass Mieter so früh einziehen sollen, hat vor allem finanzielle Gründe. Je schneller ein Mietobjekt vermietet wird, desto schneller wird Geld in die Kassen der Investoren gespült. Damit erhöht sich jedoch auch die Gefahr, dass beispielsweise der Beton nicht genügend lange austrocknen konnte. Die Folge ist ein erhöhtes Schimmelrisiko.
Baupfusch scheint nicht zuletzt auch ein Phänomen der heutigen Zeit zu sein. Auch auf der Baustelle gilt: Schnell und billig muss es sein.
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