Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde will einen Buben gegen den Willen der Mutter über Missbrauchstaten des Vaters aufklären. Das Bundesgericht übt harsche Kritik.
Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde will einen Buben gegen den Willen der Mutter über Missbrauchstaten des Vaters aufklären. Das Bundesgericht übt harsche Kritik.
Muss der Sohn über die Straftaten seines Vaters aufgeklärt werden? Mit dieser Frage haben sich mehrere Gerichtsinstanzen befasst.
Die Ausgangslage in diesem Baselbieter Gerichtsfall ist heftig: Ein Vater sitzt seit 2015 in Haft, weil er wegen schwerer Sexualstraftaten verurteilt wurde. Unter anderem hat er die ältere Halbschwester seines heute zwölfjährigen Sohnes vergewaltigt sowie mehrfach missbraucht und geschändet.
Nun möchte dieser Mann Kontakt zu seinem Sohn, der bei der Mutter lebt. Einen entsprechenden Antrag stellte der Inhaftierte bereits 2016, zog ihn jedoch wieder zurück. Vor gut zwei Jahren, sein Sohn war da gerade zehn Jahre alt, bekundetet er bei der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) jedoch erneut Interesse an Kontakten.
Die Mutter wehrte sich entschieden dagegen, der Vater hielt an seinem Antrag fest.
Die Kesb erteilte der Mutter am 19. Oktober 2022 schliesslich folgende Weisung: Sie müsse ihren Sohn gegen ihren Willen von der Kinder- und Jugendpsychiatrie über den Vater und dessen Straftaten aufklären lassen, damit das Kind sich mit seinem Vater auseinandersetzen könne. Dies, damit zu einem späteren Zeitpunkt allenfalls ein Kontaktrecht eingeräumt werden könne. Der Mutter wurde ein Monat Zeit gewährt, um sich für einen entsprechenden Termin in der Psychiatrie zu melden.
Mit «Kindesschutzmassnahmen» gedroht
Erneut wehrte sie sich und gelangte an das Kantonsgericht Basel-Landschaft.
Sie argumentierte, es sei zu früh für eine Aufklärung. Ausserdem sei es nicht Sinn und Zweck des Gesetzes, Zeitpunkt und Rahmen zu bestimmen, wie innerhalb einer Familie mit einer derartigen dramatischen und traumatischen Situation umgegangen werde.
Das Gericht stützte jedoch die Haltung der Kesb.
Die Beschäftigung mit der eigenen Abstammung werde «im Falle eines Verzichts auf die Aufklärung lediglich aufgeschoben und nicht aufgehoben», befanden die Baselbieter Richter. Den Einwand, dass das die Entwicklung des Jungen weit mehr gefährde als in irgendeiner Weise positive beeinflusse, liess es nicht gelten. Der Mutter drohte das Gericht mit «weiteren Kindesschutzmassnamen», sollte sie die Abklärungs- und Aufklärungsschritte der Kesb nicht unterstützen, zumindest tolerieren.
Nun ging die Mutter vor Bundesgericht. Dieses gab ihr jetzt recht – und zerpflückte das Urteil der Vorinstanz:
Die Kritik in 3 Punkten
Keine Prüfung, ob Kindeswohl gefährdet ist
Im erstinstanzlichen Urteil wird ausführlich argumentiert, weshalb die erzwungene Aufklärung keine Gefährdung des Kindeswohls darstelle. Es wird jedoch verpasst, überhaupt festzustellen, inwiefern der Bub durch sein derzeitiges Unwissen gefährdet sein soll. Damit «schlägt das Kantonsgericht schon von Anfang an den falschen Weg ein», heisst es im Bundesgerichtsurteil. Diese Vorgehensweise bringe die Rechtsfolge – die Massnahme, mit der die Kesb auf eine Gefährdungslage reagiert – und den Tatbestand – die Gefährdung des Kindeswohls als gesetzliche Voraussetzung für das behördliche Einschreiten – durcheinander.
Kesb darf gar nicht entscheiden
Die Kesb stützt ihre Weisung auf Artikel 273 Absatz 2 des Zivilgesetzbuchs. Dieser ermöglicht es den Behörden, den Umgang der Elternteile mit dem Kind im Interesse des Kindeswohls und mit Rücksicht auf konkrete Umstände auszugestalten. Voraussetzung dafür ist jedoch eine behördliche Anordnung über den Anspruch auf persönlichen Kontakt. Eine solche gibt es in diesem Fall jedoch nicht, also «entscheidet über Ausübung und Umfang des Verkehrs nicht die Kindesschutzbehörde, sondern diejenige Person, der die elterliche Sorge oder Obhut zusteht. Das ist hier allein die Beschwerdeführerin», heisst es im aktuellen Urteil.
Sowieso nicht verhältnismässig
Am entscheidendsten dürften in diesem Fall jedoch die Erwägungen des Bundesgerichts dazu sein, was zu tun wäre, wenn das Kindeswohl durch den Status quo tatsächlich gefährdet wäre. Selbst dann wäre das Vorgehen der Kesb nämlich nicht in Ordnung. Oder wie es das Bundesgericht formuliert: Es stünde der umstrittenen Weisung jedenfalls Grundsatz der Verhältnismässigkeit im Weg. Und die sei nicht gegeben.
Es ist dieser letzte Abschnitt, weshalb das Bundesgericht sich dagegen entscheidet, die Sache zur weiteren Abklärung an die Kesb zurückzugeben. Denn selbst wenn diese eine Kindeswohlgefährdung durch die Unkenntnis aufzeigen könnte, wäre die Zwangsaufklärung aus Sicht des Bundesgerichts nicht verhältnismässig. Das Urteil der Vorinstanz wird deshalb kassiert, die Weisung der Kesb aufgehoben.
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