Gedenkpanne in Magdeburg, Gründungsparteitag der Wagenknecht-Partei, FDP und SPD nominieren ihre Europaleute

In Magdeburg verschiebt man das Holocaustgedenken wegen Bauerndemos – die gar nicht stattfinden. Sahra Wagenknecht lernt ihre Parteimitglieder kennen. Und die FDP hofft auf ihre EU-Spitzenkandidatin. Das ist die Lage am Samstagmorgen.

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Gedenkpanne in Magdeburg, Gründungsparteitag der Wagenknecht-Partei, FDP und SPD nominieren ihre Europaleute

Peinliches Nichtgedenken

Vor genau 79 Jahren wurde das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau befreit, vor 19 Jahren haben die Vereinten Nationen entschieden, an diesem Datum den Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust auszurufen.

Überall im Land finden heute dazu Veranstaltungen statt. Bundesinnenministerin Nancy Faeser etwa hält eine Rede in der Mahn- und Gedenkstätte des Frauen-KZ Ravensbrück, in Berlin findet in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche ein Gottesdienst statt. In Mannheim erinnern Schülerinnen und Schüler daran, dass auch Kinder und Jugendliche Opfer und Verfolgte des Nationalsozialismus waren. In Lüneburg hat die »Euthanasie«-Gedenkstätte ein Gespräch mit einem Mann organisiert, dessen Schwestern von Nazis ermordet wurden. Und in Nienburg singt ein Gospelchor.

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Nur in Magdeburg wird nicht so erinnert, wie ursprünglich gedacht. Landtagspräsident Gunnar Schellenberg (CDU) hat die traditionelle Gedenkveranstaltung des Landtags für die in der NS-Zeit ermordeten Sinti und Roma abgesagt. Zur selben Zeit hatten Bauern eine Demonstration angemeldet, für 2500 Teilnehmer und 300 Traktoren. Man könne für das Gedenken weder die nötige Ruhe noch die Sicherheit gewährleisten, war das Argument.

Die Bauern haben die Brisanz der Angelegenheit schnell begriffen – und ihren Protest kurzerhand auf Sonntag verlegt. Dennoch findet das Holocaustgedenken des Landtags nicht statt, es war ja schon abgesagt worden – und soll nun voraussichtlich am 1. März nachgeholt werden.

Was bleibt, ist eine große Blamage – und die Frage, warum der Landtagspräsident nicht einfach bei den Bauern angerufen hat, bevor über die Absage entschieden wurde.

Familienunternehmen Partei

Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) ruft zum Gründungsparteitag, und wie es aussieht, dürfen alle Mitglieder kommen. 450 jedenfalls werden im Kosmos-Kino in Berlin erwartet, in dem einst SED-Größen wie Walter Ulbricht oder Erich Honecker ihre Ehrenplätze hatten. Später kürte die SPD hier einst Klaus Wowereit zu ihrem Spitzenkandidaten, Tokio Hotel drehte auf dem Dach ein Musikvideo und der Sender Pro Sieben führte ein »Popstars«-Casting durch.

Eine der wichtigsten Fragen dürfte für die neugeborene Partei sein, wie der Aufbau der Strukturen im Osten vorankommt, so schätzen es meine Kollegen Rasmus Buchsteiner und Timo Lehmann ein, die vom Parteitag berichten werden. Das BSW will nicht nur an der Europawahl im Juni teilnehmen, sondern auch an den drei Landtagswahlen im Osten. Doch dafür braucht es kompetente Menschen auf den Listen. Außerdem finden parallel zur Europawahl auch Kommunalwahlen statt, die Wahlvorschläge müssen Mitte März fertig sein.

Sahra Wagenknecht wird also um Aufbruchstimmung bemüht sein, wenn sie um 12 Uhr ihre Rede hält. Auch Ehemann und Parteigenosse Oskar Lafontaine darf sprechen, um 19.30 Uhr mit einem Schlusswort.

Am Ende ist die neue Partei vor allem auch ein kleines Familienunternehmen.

Alle Augen auf den Kanzler

Es gibt noch mehr Parteizusammenkünfte an diesem Wochenende, am Sonntag trifft sich die FDP in Berlin zu ihrem Europaparteitag in Kreuzberg. Im Mittelpunkt steht eine Frau, die in den Medien fast jeden Tag zu vernehmen ist, manchmal auch mehrfach: Marie-Agnes Strack-Zimmermann, bekannt für ihr klares Werben um mehr Waffen und Munition für die Ukraine, bisweilen so fordernd, dass einem Berater des Kanzlers einmal angeblich entfuhr: »Boah, die Alte nervt.«

Die FDP-Delegierten werden Strack-Zimmmermann zu ihrer Spitzenkandidatin auf der Europaliste küren, sie soll den Liberalen ein achtbares Ergebnis im Juni bringen. Keine leichte Aufgabe angesichts des derzeitigen Umfragetiefs. »Vor fünf Jahren kam die FDP bei der Europawahl noch auf 5,4 Prozent. Alles darunter wäre eine Schlappe und könnte jenen in der Partei Auftrieb geben, die die Beteiligung an der Ampel ohnehin für einen Fehler halten«, sagt mein Kollege und FDP-Experte Severin Weiland.

Auch 150 Delegierte der SPD küren am Sonntag mit EU-Parlamentsvizepräsidentin Katarina Barley die Spitzenkandidatin für die Europawahl. »Die Delegierten werden die Bewerbungsreden der Kandidatinnen und Kandidaten für die Europaliste bestimmt aufmerksam verfolgen«, sagt meine Kollegin und SPD-Expertin Marina Kormbaki. »Viel neugieriger dürften sie aber auf das sein, was Olaf Scholz zu sagen hat.« Nach seinem Interview in der »Zeit«, in dem er auch dezente Spuren von Selbstkritik offenbarte, kann der Kanzler am Sonntag seinen Genossinnen und Genossen sagen, was er künftig besser machen will. Mehr Empathie zeigen? Mehr Leidenschaft? Scholz’ Auftritt dürfte das eigentliche Thema des Parteitreffens sein.

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Gewinner des Tages …

… sind die deutsche Handball-Nationalmannschaft und Jürgen Klopp. Die Handballer haben gegen Dänemark zwar verloren, aber knapp und mit Würde. Und ohnehin: Die Spiellust dieses Teams, sein fröhlicher Ehrgeiz, diese atemberaubenden Kämpfe waren ein wunderbarer und wertvoller Zeitvertreib in diesen Zeiten, die ja eher selten Anlass für Freude und Ausrufe des Glücks bieten. Danke also dafür.

Und Klopp? Die menschgewordene Erfüllung eines abgewetzten Spruches: Wenn es am schönsten ist, soll man gehen. Sich nach diesem Jahr, nach dieser Leistung zu verabschieden, sich einzugestehen, dass die Kraft womöglich nicht mehr reicht, anzuerkennen, dass es genug ist, beweist Größe. Und Liverpool weint zurecht.

Die jüngsten Meldungen aus der Nacht

    Donald Trump muss 83,3 Millionen Dollar Schadensersatz an Autorin E. Jean Carroll zahlen: Als das Urteil der Geschworenenjury verkündet wurde, war Donald Trump nicht mehr im Saal. Der Ex-US-Präsident muss wegen Verleumdung eine hohe Millionensumme an die Autorin E. Jean Carroll zahlen. Seine Reaktion folgte später.

    US-Regierung genehmigt Verkauf von Kampfjets an die Türkei: Das Ja der Türkei für einen Nato-Beitritt Schwedens hat Ankara mit der Lieferung moderner Kampfjets aus den USA verknüpft. Die Biden-Regierung will dem Land nun unter anderem 40 neue Flugzeuge vom Typ F-16 liefern.

    Kanzler Scholz begrüßt Bürgerproteste gegen Rechtsextremismus: Olaf Scholz hat anlässlich des Holocaust-Gedenktags an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert. Der Kanzler lobte auch die deutschlandweiten Demonstrationen gegen Rechtsextremismus: »Unser Land ist gerade auf den Beinen.«

Die SPIEGEL+-Empfehlungen für heute

    Was, wenn die AfD an die Macht kommt? Björn Höcke als Ministerpräsident – laut Umfragen nicht völlig undenkbar. Wie die AfD nach einem Wahlerfolg in Thüringen die Demokratie beschneiden würde. Und was sie mit Deutschland vorhat.

    Flyer, Demos, Parteiarbeit – was Lehrkräfte dürfen und was nicht: Eltern und Schüler protestieren immer wieder gegen Lehrkräfte mit AfD-Parteibuch. Jurist Felix Hanschmann erklärt, wie viel politisches Engagement in Ordnung ist und welche Inhalte im Unterricht vorkommen dürfen.

    Nein, wir haben nicht alle ADHS: Auf Instagram und TikTok werden Videos zu ADHS millionenfach aufgerufen, viele scheinen sich geradezu nach der Diagnose zu sehnen. Doch für manche Symptome gibt es auch andere Erklärungen.

Ich wünsche Ihnen ein erholsames Wochenende.

Ihr Martin Knobbe, Leiter des SPIEGEL-Hauptstadtbüros

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