Bahn, Bauern und Genossen: Alle wollen mit dem Kanzler reden

bahn, bauern und genossen: alle wollen mit dem kanzler reden

Scholz mit Mitarbeitern der Deutschen Bahn in Cottbus

In Reih und Glied parken die Trecker auf dem Parkplatz vor dem neuen Instandsetzungswerk der Deutschen Bahn. Hoher Besuch aus Berlin wird erwartet. Freundlich bittet die Brandenburger Polizei die demonstrierenden Bauern und Spediteure, ihre Versammlung die Straße runter abzuhalten, vor dem hübschen kleinen Cottbusser Spreewaldbahnhof.

Von hier ist es noch einmal weiter zum politischen Schauort des Tages, an dem Bundeskanzler Olaf Scholz gleich von der Wirtschaftsdynamik Brandenburgs schwärmen wird. Der örtliche Bauernverband hat vor dem Spreewaldbahnhof eine Gulaschkanone aufgestellt und eine kleine Bühne aufgebaut, wo ein Zunftvertreter die gute Zusammenarbeit mit den Sicherheitskräften lobt. Die etwa 300 Demonstranten quittieren das prompt mit Beifall für die Polizei. Dann bittet der Bauernvertreter noch alle Anwesenden, doch nach der Kundgebung den Müll mitzunehmen, „damit alle sehen können, dass wir Bauern saubere Leute sind“.

bahn, bauern und genossen: alle wollen mit dem kanzler reden

Bundeskanzler Olaf Scholz bei der Eröffnung des DB-Instandhaltungswerk für ICE 4-Züge am Donnerstag in Cottbus

„Schlüttsiel war albern“

Bürgerkrieg sieht anders aus, Kulturkampf auch. Der journalistische Andrang zur feierlichen Eröffnung des Bahnwerks in Cottbus ist höher als üblich bei solchen Veranstaltungen, weil viele mit heftigen Protesten gerechnet haben. Würde sich Schlüttsiel wiederholen, lautete die Frage mit Blick auf die Blockade des Fähranlegers in Schleswig-Holstein, die Wirtschaftsminister Robert Habeck in der vorigen Woche am Anlegen gehindert hatte und viele eine Eskalation der Bauernproteste hatte befürchten lassen.

„Schlüttsiel war albern“, sagt ein Bauer vor dem Spreewaldbahnhof, der seinen Namen nicht nennen will. „Einen Minister bedrängen, so was macht man einfach nicht“, sagt er. Als wollten die Bauern die gelegentlich gezogenen Parallelen zu den französischen Gelbwesten konterkarieren, haben sie an diesem Tag grüne Westen übergestreift. Auf den Rückenteilen steht: „Ohne uns kein Essen.“

Im Kanzleramt hatte man nichts anderes erwartet. Man lebe schließlich in einem Rechtsstaat, und in einem solchen werde es dem Bundeskanzler schon gelingen, unbehelligt zu einem Termin zu kommen, hieß es vor der Abreise gelassen. Man wunderte sich sogar, dass so viel schaurige Szenarien im Raum standen. Aber hatte die Regierung nicht selber ein bisschen zur aufgeladenen Erwartung beigetragen, nachdem gerade aus den Reihen der Koalitionsparteien immer wieder gewarnt worden war, die Proteste der Bauern drohten von Rechtsradikalen „gekapert“ zu werden?

Scholz, der von den Bahn-Verantwortlichen am Donnerstag die ganzen, langen 400 Meter der neuen Halle entlang geleitet wird, bis er endlich ans Rednerpult treten darf, erwähnt die Bauernproteste mit keinem Wort. Nur einen kleinen Gruß an die streikenden Lokführer formuliert er, verbunden mit der Hoffnung, dass sie bald zu einer Einigung mit der Bahngewerkschaft finden werden.

Der Kanzler nutzt die Bühne lieber, um das „neue Deutschlandtempo“ zu preisen, das sich im Bau des größten Bahnreparaturwerks Europas manifestiere. Tatsächlich wurde die Halle – die erste von zweien – fast zwei Jahre früher fertiggestellt als geplant. Eine Leistung, für die sich am Donnerstag alle Anwesenden – die Politiker aus dem Bund, aus dem Land und aus der Kommune sowie die Manager der Deutschen Bahn – gegenseitig auf die Schultern klopfen. „Mut und Machen, dann läuft’s“, sagt Scholz und zeigt sich „gerührt“ vom raschen Bautempo. Sollen andere vom Niedergang des Standorts Deutschland reden. Scholz versichert: „Der Trend dreht sich.“

Woidke versucht den Besuch für sich zu nutzen

Dass der Kanzler die Proteste nicht erwähnt, heißt keineswegs, dass er sich den Bauern verweigert. Nach der Werksbesichtigung trifft er sich mit dem Präsidenten des brandenburgischen Bauernverbands, Henrik Wendorff, und einem Vertreter des Speditionsgewerbes. Eine Stunde seiner Kanzlerzeit investiert Scholz in das Gespräch.

Sein Parteifreund Dietmar Woidke, der Ministerpräsident von Brandenburg, versucht, den Kanzlerbesuch für sich zu nutzen. „Willkommen im wirtschaftlich dynamischsten Bundesland Deutschlands!“, ruft er den Gästen aus Berlin zu. Das wirkt fast bescheiden, verglichen mit Scholz’ Würdigung, dass Brandenburgs Wachstum nunmehr „fast chinesische Dimensionen“ aufweise. Woidke, der sich im Herbst im Amt bestätigen lassen will, kann derlei Zuspruch gut gebrauchen.

Mittlerweile liegt er mit seiner SPD laut einer Forsa-Umfrage zehn Prozentpunkte hinter der AfD. Ob sich auch vor dem Spreewaldbahnhof AfD-Sympathisanten eingefunden haben, ist schwer zu erkennen. Einschüchternd geben sich die Demonstranten jedenfalls nicht. Als die Bauern nach der Kundgebung in ihren Treckern nach Hause fahren, reihen sie sich artig in den Cottbusser Straßenverkehr ein, halten vor den Ampeln und blinken beim Abbiegen. Nur hin und wieder hupt einer.

In der SPD kommt das Treffen des Kanzlers mit den Bauern gut an. Konnte man zu Beginn der Proteste noch den Eindruck gewinnen, dass diese vor allem im Kanzleramt heruntergespielt werden, so wächst die Bereitschaft zu reden offenbar bei den Sozialdemokraten. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert weist am Donnerstag auf das Gespräch des Kanzlers mit den Landwirten in Cottbus hin und wird grundsätzlich. „Es ist offensichtlich zu wenig miteinander gesprochen worden“, sagt er im ZDF. „Das muss geheilt werden.“

Die drei Ampelfraktionen, deren größte die SPD stellt, scheinen ebenfalls erkannt zu haben, dass sie den Bauern mehr Aufmerksamkeit widmen müssen. Dabei geht es bisher nur um Regierungsbeschlüsse, der Bundestag kommt jetzt erst ins Spiel. Aber für den Montag laden die Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich (SPD), Britta Haßelmann (Grüne) und Christian Dürr (FDP) die Vorstände der landwirtschaftlichen Verbände zum Gespräch ein. In einem Schreiben dazu heißt es, zwar seien die ursprünglichen Kürzungsvorschläge, die die Landwirte „erheblich“ belastet hätten, geändert worden. Aber durch die Proteste werde nun deutlich, dass es den Bauern „nicht nur um finanzielle Belastungen geht, sondern auch um fehlende Planungssicherheit und wirtschaftliche Perspektiven“.

Mützenich verweist auf die Macht des Bundestags

Die SPD-Fraktion ist entschlossen, es nicht einfach bei Gesprächen mit den Bauernverbandsvertretern zu belassen. Zu Beginn der zweitägigen Klausurtagung der Bundestagsabgeordneten zum Jahresauftakt gibt der Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich den Journalisten in Berlin am Donnerstag Auskunft. Gefragt, ob es bei dem Treffen mit den Landwirten um Beschwichtigung gehe, verneint Mützenich das. Man ziehe auch „nichts durch“. Vielmehr wollten die Abgeordneten die Argumente der Bauern aufnehmen, „und am Ende entscheiden wir“.

Einerseits bedeutet das nichts anderes, als es die Verfassung vorsieht. Die Regierung kann sich zwar auf etwas festlegen, aber bevor der Gesetzgeber nicht zugestimmt hat, hat das keine Rechtskraft. Schiere Normalität also. Andererseits ist die Deutlichkeit des Hinweises, wer hier das Sagen hat, in der angespannten Lage bemerkenswert. Der Bundeskanzler hatte erst am Montag gesagt, es bleibe nun bei den Veränderungen der Agrarsubventionen, die man beschlossen habe. Er machte deutlich, dass er sich nicht den Protesten beugen wolle.

Dass es Gesprächsbedarf gibt, ist Scholz und Mützenich offenbar schon länger klar. Am Wochenende hatten sie vereinbart, dass Scholz nicht einfach an der Klausurtagung der Fraktion teilnimmt, sondern eine neunzigminütige Aussprache ein eigener Tagesordnungspunkt am Donnerstagnachmittag werden soll. Den Mitarbeitern der Abgeordneten ist es verboten teilzunehmen. Eine Pressekonferenz im Anschluss ist nicht vorgesehen. Von den Fragen und Kommentaren, die die Volksvertreter vor dem Hintergrund miserabler Umfragewerte für ihn und seine Regierung an den Kanzler richten, soll möglichst wenig nach außen dringen.

Unterstützung bekommt Scholz vor dem Treffen von seinem Parteivorsitzenden Lars Klingbeil. „Olaf Scholz ist der gewählte Kanzler und hat die gesamte SPD hinter sich“, sagt Klingbeil der „Rheinischen Post“. Und weiter: „Ich bin sicher, dass er sich in diesem Jahr wieder nach vorne kämpfen wird.“

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