Rekord für die Bahn: „Wir schimpfen, aber wir fahren“

rekord für die bahn: „wir schimpfen, aber wir fahren“

Bahnfahren ist beliebt, doch viele Fahrgäste fühlen sich angesichts von Streiks, Ausfällen und Verspätungen im wahrsten Sinn des Wortes stehen gelassen.

Allen Streiks, Baustellen und Verspätungen zum Trotz: Die Menschen in Deutschland fahren nach einer Statistik wieder mehr Zug. „Wir schimpfen, aber wir fahren“, sagt der Chef des Verkehrsverbands Allianz pro Schiene, Dirk Flege. Das Bündnis meldet für 2023 einen Rekord: Die Verkehrsleistung der Eisenbahn in Deutschland lag demnach im vergangenen Jahr bei 104,2 Milliarden Personenkilometern. Angestrebt wird, dass in den nächsten Jahren zahlreiche Menschen vom Auto auf die Bahn umsteigen. Doch Experten bezweifeln, dass das gelingt.

„Bahnfahren ist beliebt“, meint Lobbyist Flege. Bei der Verkehrsleistung sei die Corona-Delle überkompensiert, teilte sein Verband der Deutschen Presse-Agentur auf Basis von Daten des Statistischen Bundesamts mit. Zuvor hatte die Verkehrsleistung 2019 einen Rekord erreicht, mit 102 Milliarden Personenkilometern. Die Rechenformel für die Kennziffer: Zahl der Fahrgäste mal zurückgelegte Wegstrecke.

Bedingungen für Fahrgäste schwierig

Blickt man allein auf die Zahl der Fahrgäste ergibt sich ein anderes Bild, wie der Mobilitätsforscher Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung erklärt. Nach seinen Daten sind zwar im Nahverkehr wieder so viele Menschen unterwegs wie vor der Pandemie. In Fern- und Regionalzügen säße dagegen nur etwa 80 Prozent der gewohnten Kundenzahl. „Die Leute wollen Bahn fahren“, meint Knie. „Aber unter den jetzigen Bedingungen tun sie es nicht.“

Tatsächlich haben es Fahrgäste auf der Schiene derzeit nicht leicht. Rund ein Jahr lang sorgten gleich zwei Tarifrunden bei der Bahn für mehrere Streiks und zahlreiche Zugausfälle. Hinzu kommt der schlechte Zustand des Schienennetzes. Zahlreiche Baustellen bremsen den Bahnverkehr seit Jahren aus, Verspätungen sind an der Tagesordnung, die Unpünktlichkeit insbesondere bei der Deutschen Bahn ist hoch.

„Auf der Straße ist es auch nicht besser“, hält der Fahrgastverband Pro Bahn dagegen. Anders als im Auto könne man im Zug immerhin die Fahrtzeit nutzen zum Lesen, Filme schauen, um Karten zu spielen oder ein Bier zu trinken, sagt der Ehrenvorsitzende Karl-Peter Naumann. Nach seiner Beobachtung sind die Züge voller geworden. Junge Menschen seien mobiler als früher und verzichteten häufiger auf ein Auto. Und das Deutschlandticket führe dazu, dass Fahrgäste auch für längere Fahrten von 200 oder 300 Kilometern in den Regio stiegen.

Schub durch Deutschlandticket

Das Monatsabo für bundesweite Fahrten im Nah- und Regionalverkehr für derzeit 49 Euro pro Monat habe der Nachfrage einen deutlichen Schub verpasst, heißt es bei der Allianz pro Schiene. Nach Branchenangaben hat das Ticket viele bisherige Kunden stärker an Busse und Bahnen gebunden – sprich: Sie fahren nun mit dem 49-Euro-Ticket statt mit Einzelfahrscheinen, Monats- oder Streifenkarten wie zuvor. Einen großen Umstieg vom Auto in die öffentlichen Verkehrsmittel habe es nicht gegeben, stellt Mobilitätsforscher Knie fest.

Um die Klimaziele zu erreichen, will die Bundesregierung jedoch die Verkehrsleistung auf der Schiene bis 2030 gemessen an 2015 verdoppeln. Damals lag der Wert bei knapp 92 Milliarden Personenkilometer. Knie ist skeptisch. „Die Bahn muss wieder an Zuverlässigkeit gewinnen“, fordert er. Zudem müssten Steuervergünstigungen beim Diesel und bei Dienstwagen fallen, damit Autofahrer über einen Umstieg nachdenken. „Die Verdoppelung ist nicht zu schaffen“, meint Fahrgastvertreter Naumann. Dafür fehle es bei der Bahn an Kapazität – bei Zügen, bei Gleisen, beim Personal.

Neue Einschränkungen

Bund und Konzern wollen die Probleme im Netz in den nächsten Jahren mit einer Grundsanierung angehen. 40 viel befahrene Streckenkorridore sollen bis 2030 grundlegend modernisiert werden. Das Netz soll damit weniger anfällig für Störungen werden und der Verkehr flüssiger laufen. Doch die Bauarbeiten bringen zunächst weitere Einschränkungen mit sich: Die einzelnen Korridore werden für die Dauer der Sanierung jeweils für mehrere Monate vollständig gesperrt. Los geht es im Juni auf der Riedbahn zwischen Frankfurt und Mannheim. Knie fürchtet, dass die Bahn dadurch Fahrgäste verlieren wird. „Sie können nicht die Leute monatelang aus ihren Routinen reißen.“

Der Bund hat für die Modernisierung des Netzes bis 2027 bisher knapp 30 Milliarden Euro zugesagt. Das deckt allerdings nur knapp zwei Drittel des Gesamtbedarfs, den die Bahn auf rund 45 Milliarden Euro bis 2027 beziffert. In welchem Umfang das Netz auch in den Jahren danach weiter finanziert werden soll, ist völlig offen.

News Related

OTHER NEWS

Ukraine-Update am Morgen - Verhandlungen mit Moskau wären „Kapitulationsmonolog" für Kiew

US-Präsident Joe Biden empfängt Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus. Evan Vucci/AP/dpa Die US-Regierung hält Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland zum jetzigen Zeitpunkt für „sinnlos”. Bei einem Unwetter in Odessa ... Read more »

Deutschland im Wettbewerb: Subventionen schaden dem Standort

Bundeskanzler Olaf Scholz am 15. November 2023 im Bundestag Als Amerikas Präsident Donald Trump im Jahr 2017 mit Handelsschranken und Subventionen den Wirtschaftskrieg gegen China begann, schrien die Europäer auf ... Read more »

«Godfather of British Blues»: John Mayall wird 90

John Mayall hat Musikgeschichte geschrieben. Man nennt ihn den «Godfather of British Blues». Seit den 1960er Jahren hat John Mayall den Blues geprägt wie nur wenige andere britische Musiker. In ... Read more »

Bund und Bahn: Einigung auf günstigeres Deutschlandticket für Studenten

Mit dem vergünstigten Deutschlandticket will Bundesverkehrsminister Wissing eine junge Kundengruppe dauerhaft an den ÖPNV binden. Bei der Fahrkarte für den Nah- und Regionalverkehr vereinbaren Bund und Länder eine Lösung für ... Read more »

Die Ukraine soll der Nato beitreten - nach dem Krieg

Die Ukraine soll nach dem Krieg Nato-Mitglied werden. Die Ukraine wird – Reformen vorausgesetzt – nach dem Krieg Mitglied der Nato werden. Das hat der Generalsekretär des Militärbündnisses, Jens Stoltenberg, ... Read more »

Präsidentin droht Anklage wegen Tod von Demonstranten

Lima. In Peru wurde eine staatsrechtlichen Beschwerde gegen Präsidentin Dina Boluarte eingeleitet. Sie wird für den Tod von mehreren regierungskritischen Demonstranten verantwortlich gemacht. Was der Politikerin jetzt droht. Perus Präsidentin ... Read more »

Novartis will nach Sandoz-Abspaltung stärker wachsen

ARCHIV: Das Logo des Schweizer Arzneimittelherstellers Novartis im Werk des Unternehmens in der Nordschweizer Stadt Stein, Schweiz, 23. Oktober 2017. REUTERS/Arnd Wiegmann Zürich (Reuters) – Der Schweizer Pharmakonzern Novartis will ... Read more »
Top List in the World