Die Zürcher SVP will den 1. Mai abschaffen – und dafür das Sechseläuten zu einem kantonalen Feiertag machen
Hier ist der Tag der Arbeit ein Tag ohne Arbeit: Kundgebungsteilnehmer am traditionellen Umzug auf dem Helvetiaplatz in Zürich. Ennio Leanza / Keystone
Gleich zwei bürgerliche Gruppierungen haben sich – unabhängig voneinander, wie beide Seiten beteuern – auf den höchsten Festtag der Linken und der Gewerkschaften eingeschossen: Sowohl die Schweizer Jungfreisinnigen als auch die Zürcher SVP fordern, dass der 1. Mai kein gesetzlicher Feiertag mehr sein soll.
Schon heute ist der Tag der Arbeit in den meisten Kantonen genau das: ein Tag der Arbeit. Nur in historisch industriell geprägten Kantonen, darunter Zürich, bleiben die Geschäfte und Betriebe geschlossen.
Während der offizielle Teil der Festumzüge jeweils mehr oder weniger friedlich abläuft, kommt es an unbewilligten Nachdemos nicht selten zu Ausschreitungen und Sachbeschädigungen. Nur ein Grossaufgebot der Polizei verhindert jeweils Schlimmeres.
Genau wegen dieser Gewalt will die Zürcher SVP den seit 1971 bestehenden Zürcher Feiertag nun aus dem kantonalen Ruhetags- und Ladenöffnungsgesetz streichen. Stattdessen soll der Sechseläuten-Montag zu einem kantonalen freien Tag erhoben werden.
Am Sechseläuten, dem grossen Umzug der Zünfte der Stadt Zürich, haben viele Angestellte, die in der Stadt arbeiten, schon heute wenigstens einen halben Tag frei. Es handelt sich dabei aber nicht um einen staatlich verordneten Arbeitsunterbruch, sondern um eine privatwirtschaftliche Vereinbarung, wie sie zum Beispiel in einem GAV festgelegt wird. Mit der von der SVP vorgeschlagenen Änderung würde daraus ein offizieller und ganztägiger Feiertag für den ganzen Kanton.
Die Forderung, sagt Tobias Weidmann, der SVP-Fraktionschef im Zürcher Kantonsrat, sei durchaus mehr als nur eine Provokation. «Das ist ernst gemeint, und wir schreiben derzeit einen entsprechenden Vorstoss.»
Der 1. Mai sei in seiner Bedeutung nicht vergleichbar mit hohen Feiertagen. «Er spricht nur eine bestimmte Gruppe von Personen an, und in vielen Kantonen muss an diesem Tag gearbeitet werden. Wir sehen nicht ein, warum der Tag ausgerechnet in Zürich frei sein soll.»
Er verstehe bis zu einem gewissen Grad zwar durchaus, dass der Tag für die Gewerkschaften und die linken Parteien historisch wichtig sei. Doch beherrscht werde der Tag schon lange von gewaltbereiten Extremisten. Diese hätten den 1. Mai gekapert, um Krawall zu machen. «Es ist doch jedes Jahr das Gleiche», sagt Weidmann. «Es gibt Sachschäden und Verhaftungen, und die Polizei muss mit einem riesigen Aufgebot ausrücken.»
Ihm sei klar, sagt Weidmann, dass sich Linksautonome nicht davon beeindrucken liessen, ob der Tag nun ein gesetzlicher Feiertag sei oder nicht. «Doch wenn der 1. Mai ein gewöhnlicher Arbeitstag ist, wird das die Mobilisierung senken.»
Mit kirchlichen Feiertagen, welche die säkularisierte Gesellschaft auch nicht mehr unbedingt mit dem gleichen Feuer begeht wie früher, sei der 1. Mai nicht vergleichbar. «Der Unterschied ist, dass zum Beispiel Ostern und Pfingsten friedlich verlaufen und ihre Bedeutung im christlich-abendländisch geprägten Kulturkreis nach wie vor sehr gross ist. Diese muss man also nicht abschaffen.»
Dass die SVP auch jenen Leuten, die nicht demonstrieren, sondern einfach einen arbeitsfreien Tag geniessen wollen, etwas wegnehmen will, lässt Weidmann so nicht gelten.
Er sagt, dass ihre Forderung, den 1. Mai durch einen kantonalen Sechseläuten-Feiertag zu ersetzen, den Leuten unter dem Strich sogar mehr Freizeit verschaffe. «Der 1. Mai kann ja auch einmal auf einen Samstag oder Sonntag fallen, und an diesen Tagen haben viele Leute sowieso frei. Das Sechseläuten aber fällt immer auf einen Montag.»
Jonas Lüthy, der Präsident der Schweizer Jungfreisinnigen, differenziert ihre Forderung nach der Abschaffung der Maifeier: «Es geht uns nicht darum, linken Kreisen zu verwehren, ihre Anliegen auf die Strasse zu tragen. Wir teilen ihre Ansichten zwar ganz und gar nicht, aber in der Schweiz herrscht Meinungsfreiheit, und natürlich dürfen sie für ihre Begehren demonstrieren.»
Die zentrale Frage sei, ob der 1. Mai deswegen gleich ein allgemeiner Feiertag sein müsse, und für Lüthy ist der Fall klar: «Wir sehen nicht ein, warum der 1. Mai, an dem in erster Linie linke Anliegen vorgebracht werden, auf Kosten der Allgemeinheit als kantonaler Feiertag zelebriert werden soll. Er gehört abgeschafft.»
Auch beim Fussball kommt es zu Ausschreitungen
Auf der Gegenseite kommt die Forderung der SVP und der Jungfreisinnigen selbstredend gar nicht gut an.
Hannah Pfalzgraf ist SP-Kantonsrätin und Co-Präsidentin des Gewerkschaftsbunds des Kantons Zürich. «Es wäre völlig falsch, statt dem 1. Mai das Sechseläuten zu einem kantonalen Feiertag zu erklären», sagt sie. «Das Sechseläuten ist ein exklusiver Anlass, bei dem nicht einmal die Gleichberechtigung der Geschlechter gegeben ist. Der Tag der Arbeit aber steht allen offen, zudem werden am 1. Mai wichtige politische Forderungen gestellt, während das Sechseläuten ein reiner kultureller Anlass ist.»
Historisch gesehen seien viele soziale Errungenschaften erst durch Druck von der Strasse ermöglicht worden. Auch heute noch sei es vielen Menschen ein Bedürfnis, ihre Forderungen öffentlich und gemeinsam mit Gleichgesinnten kundzutun.
Nur weil es an der Nachdemo vom 1. Mai auch zu Ausschreitungen komme, gleich den Feiertag abschaffen zu wollen, sei nicht richtig, sagt Pfalzgraf. «Unser offizieller Umzug und der Festakt sind seit vielen Jahren sehr friedlich. Das darf man nicht vermischen.»
Auch nach Fussballspielen komme es manchmal zu Zusammenstössen mit der Polizei, deswegen werde der Fussball aber auch nicht einfach abgeschafft. An der Nachdemo würden zudem jeweils viel weniger Personen teilnehmen als am offiziellen Teil.
Frei wählbarer Jokertag statt 1. Mai
Ganz neu ist die Idee nicht, den 1. Mai als kantonalen Feiertag abzuschaffen. Schon 2007 forderte die Zürcher SVP das Gleiche, und zwar ebenfalls mit Hinweis auf Ausschreitungen und Sachbeschädigungen.
Die SVP schlug damals vor, dass den Arbeitnehmern als Entschädigung für den entgangenen freien Tag ein frei wählbarer zusätzlicher Ferientag gewährt werden solle.
Eine solche Regelung hätte allerdings nur auf Bundesebene festgelegt werden können, weshalb schliesslich nur die Forderung nach einer ersatzlosen Streichung des arbeitsfreien 1. Mai zur Abstimmung im Parlament gelangte.
Von so einer drakonischen Massnahme, die wohl auch weit ausserhalb der gewerkschaftlich bewegten Wählerschaft nicht gut angekommen wäre, wollte ausser der SVP allerdings keine Partei etwas wissen.