Die Wissenschaft vom Missgeschick

Manchmal tut jemand exakt das, was er eigentlich unbedingt vermeiden wollte. Wie kommt es zu solchen Fehlleistungen – und wie lassen sie sich vermeiden?

die wissenschaft vom missgeschick

«Bloss nicht mit der Tasse über die neue Tast…- oh.»

Die Tasse ist zu voll, jetzt schön vorsichtig. Fussboden oder Schreibtisch wären halb so wild, aber bloss nicht auf den Laptop kleckern. Und dann passiert doch genau das: Exakt auf Höhe des Rechners gerät die Tasse in Schwingung, und ein satter Schwall Kaffee ergiesst sich ins Notebook.

Andere Szene: Eine Freundin warnt, auf einer Feier einen bestimmten gemeinsamen Bekannten auf gar keinen Fall nach dessen Arbeit zu fragen. Denn der habe gerade eine Kündigung erhalten und wolle nicht darüber sprechen. Doch mit Entsetzen hören Sie sich wenig später eben diesen Bekannten fragen: «Und, wie läufts so beruflich?»

Viele werden so etwas kennen: Situationen, in denen einem exakt die eine Sache passiert, die man eigentlich unbedingt vermeiden wollte. In der Psychologie sind solche Fehlleistungen als ironische oder paradoxe Effekte bekannt. Die Ironie besteht darin, dass der Wunsch, einen Fehler zu vermeiden, perfiderweise diesen Fehler wahrscheinlicher werden lässt. Aber wie kann das sein?

Schwappt der Kaffee bedenklich, bewegt sich das Gespräch in Richtung Tabuthema? Achtung!

Der aktuell einflussreichste Erklärungsversuch kommt vom US-Psychologen Daniel Wegner, der das Phänomen in den frühen 1990er-Jahren erstmals experimentell untersucht hat. Wegner argumentiert im Rahmen seiner Ironic Process Theory (IPT), dass ironische Fehler in bestimmten Situationen kein Zufall sind, sondern daraus resultieren, dass zwei Fehlerschutzprozesse unseres Denkapparats ungünstig miteinander wechselwirken. Im Jahr 2009 fasste er die Forschung dazu im Fachmagazin «Science» zusammen, unter dem sprechenden Titel «Anleitung dazu, bei jeder Gelegenheit exakt das Schlimmste zu denken, zu sagen oder zu tun».

Wegner unterscheidet in seinem theoretischen Modell zwischen einer ausführenden und einer überwachenden Instanz. Der sogenannte Operator laufe bewusst ab und lasse uns die richtigen Handlungen ausführen. Er sorgt zum Beispiel dafür, dass wir die Kaffeetasse ruhig halten oder gezielt ein Gesprächsthema auswählen, das unseren Bekannten nicht brüskiert. Den zweiten Prozess bezeichnet Wegner als Monitor. Dieser halte im Hintergrund konstant das zu vermeidende Verhalten präsent und suche nach Anzeichen, dass wir diesem zu nahe kommen. Schwappt der Kaffee bedenklich, bewegt sich das Gespräch in Richtung Tabuthema? Achtung!

«Schiess nicht auf den Goalie!»

Normalerweise, so die Theorie, würden beide im Zusammenspiel Fehlleistungen sehr gut verhindern. Aber wenn man nervös, abgelenkt oder anderweitig belastet ist, kommt die Kernannahme der IPT ins Spiel: Weil der Operator bewusst ablaufe, sei er störungsanfälliger als der Monitor. Ängste oder Ablenkungen könnten die Leistungsfähigkeit des Operators herabsetzen. Im Vergleich dazu arbeite der unbewusste Monitor recht ungehindert weiter. Dadurch würde plötzlich das, was man unbedingt habe verhindern wollen, mental viel präsenter als das, was man eigentlich vorgehabt habe.

Übertragen auf das Beispiel mit dem entlassenen Bekannten hiesse das: Der Hinweis der Freundin, der andere wolle auf keinen Fall über seine Arbeit sprechen, hat (unbemerkt) eine gewisse Unruhe ausgelöst; vielleicht ist man obendrein sowieso ein Mensch, der sich auf Partys mit vielen, teils fremden Leuten leicht unwohl fühlt. Diese Nervosität schwächt den Operator – der ja sonst ganz einfach Dutzende harmlose Gesprächsthemen vorschlagen könnte – und lässt uns mit dem Monitor allein; der aber bietet partout nur ein einziges Thema an: Arbeit!

Die Vorhersagen der IPT lassen sich empirisch prüfen. So gibt es zur Annahme, dass ironische Fehler vor allem dann auftreten, wenn die mentale Kapazität in irgendeiner Weise eingeschränkt ist, eine ganze Reihe an Studien etwa aus dem Bereich der Motorik. In derartigen Untersuchungen sollen die Teilnehmenden zum Beispiel ein Pendel ruhig halten oder auf ein Tor schiessen – und erhalten dazu Anweisungen wie «Lass das Pendel nicht horizontal schwingen» beziehungsweise «Schiess nicht auf den Goalie».

Tunnelblick plus kompromittierte Motorik gleich Kaffeeschaden.

Während eine Kontrollgruppe diese Aufgabe einfach so ausführen darf, erfährt eine zweite Gruppe eine gewisse Belastung, zum Beispiel durch Bewertungs- und Zeitdruck, leistungsabhängige Belohnungen oder parallel auszuführende Aufgaben wie Rückwärtszählen in Dreierschritten. Vergleicht man im Anschluss die Anzahl an ironischen Fehlern, zeigt sich: In den Gruppen mit zusätzlicher Belastung schwingen die Pendel erst recht genau in die «verbotene» Richtung, und es gehen mehr Schüsse exakt auf den zu meidenden Keeper – ganz so, wie von der Theorie vorausgesagt. Ähnliche Effekte sind etwa auch für Darts- oder Basketballwürfe dokumentiert.

Jetzt liesse sich einwenden: Dass Menschen bei Belastung allgemein mehr Fehler machen, ist ja nun wirklich nicht überraschend. Die Krux liegt aber im Detail. Denn die IPT sagt ja vorher, dass unter Druck speziell ironische Fehler zunehmen – und eben nicht alle denkbaren Fehler. Zum Beispiel sollte die in einer Stresssituation erteilte Instruktion «Schiess ein Tor und ziel nicht auf den Goalie» vor allem das Risiko erhöhen, dass Schüsse auf den Goalie gehen. Nach Wegners Theorie wäre aber nicht zu erwarten, dass auch Lattentreffer oder Schüsse am Tor vorbei systematisch häufiger würden. Tatsächlich lässt sich auch diese Annahme im Grossen und Ganzen bestätigen, wie Khelifa Bartura von der Sportfakultät der Universität Oslo kürzlich im Fachblatt «International Review of Sport and Exercise Psychology» in einer Zusammenschau von 25 Jahren Forschung dargelegt hat.

Und auch für die von Wegner postulierte unmittelbare Ursache von ironischen Fehlern – die grössere kognitive Präsenz der zu vermeidenden Reize – liegen stützende Hinweise vor. So blicken etwa Elfmeterschützen, die ironische Fehler machen, länger auf den zu meidenden Goalie und kürzer auf den freien Bereich des Tors als Personen, denen solche Fehler nicht unterlaufen. Etwas Ähnliches ist auch bei dem Kaffeetassenbeispiel denkbar: Der Gedanke, ein Heissgetränk in den teuren Laptop zu kippen, beunruhigt uns. Der dadurch geschwächte Operator kann nicht mehr alle sonst noch wichtigen Reize – von der Neigung der Tasse bis zu den «ungefährlichen» Tischbereichen – vernünftig verarbeiten. Die Folge: Tunnelblick plus kompromittierte Motorik gleich Kaffeeschaden.

Fröhlichen Personen unterlaufen seltener ironische Fehler.

Das ist natürlich alles stark vereinfacht, und es bleiben diverse Fragen. Zum Beispiel kamen in den meisten Studien zur Motorik verneinende Vermeidungsinstruktionen («Schiess nicht auf») zum Einsatz. Könnte es sein, dass ironische Effekte nur nach negativ formulierten Aufforderungen eintreten? Dem ist ein Team um Olaf Binsch von der Universität Amsterdam nachgegangen und hat negativ und positiv formulierte Instruktionen verglichen. Ergebnis: Auch positiv formulierte Vermeidungsaufforderungen wie «Schiess am Goalie vorbei» können ironische Fehler nach sich ziehen. Basierend auf ihren und weiteren Daten empfehlen die Forschenden in der Fachzeitschrift «International Journal of Sport Psychology», in der Praxis lieber ganz auf solche Instruktionen zu verzichten – und stattdessen besser Annäherungsziele zu benennen. Also etwa: «Schiess in den freien Bereich des Tors!»

Aber wie ist es generell um die Praxisrelevanz der IPT bestellt? Tatsächlich sind hier Fragezeichen angebracht. Khelifa Bartura und seine Kollegen weisen zum Beispiel darauf hin, dass sich die Theorie zwar in vielen, aber nicht in allen Studien bestätigt hat. Auch sei sie im Motorik-Kontext nur im Labor und bei Nichtprofis geprüft worden. Ob die Erkenntnisse also zum Beispiel auf die Schweizer Super League übertragbar sind, wäre noch zu untersuchen. Ähnliches gilt für alltägliche Missgeschicke: Wie oft Versprecher, Malheure oder Patzer ausserhalb des Labors tatsächlich auf ironische Effekte zurückzuführen sind, ist unbekannt – und letztlich wohl auch nicht zu ermitteln.

Zudem sind die ironischen Fehlereffekte klein und treten nicht bei allen Personen gleich stark auf. Wer zum Beispiel ein eher sorgenvoller Typ ist, hat im Sinne der IPT auch ohne externen Druck schon eine geringere mentale Kontrollkapazität. Dazu passen Hinweise, dass besonders neurotische Personen, die generell stärker mit schlechten Stimmungen und Bedenken zu kämpfen haben, ein höheres Risiko für ironische Effekte tragen als frohere Naturen.

Tatsächlich berührt das einen Bereich, in dem Wegners IPT doch recht sicher Praxisrelevanz besitzt: die seelische Gesundheit. Denn auch das Bemühen, Gedanken und Gefühle zu vermeiden, kann unter Umständen nach hinten losgehen. So kann es bei unerwünschten Zwangsgedanken effektiver sein, diese hinzunehmen oder sich bewusst davon abzulenken, statt sie zu unterdrücken. Die zugrundeliegenden Mechanismen sind hier allerdings wesentlich komplexer.

Trotzdem haben Wegners Erkenntnisse modernere Psychotherapieverfahren mit beeinflusst, die stärker als ihre Vorgänger darauf abzielen, dass Betroffene unangenehme Gedanken und Empfindungen akzeptieren, anstatt zu versuchen, sie zu kontrollieren oder zu verändern. Ein solcher Ansatz ist zum Beispiel die sogenannte Acceptance and Commitment Therapy, die unterschiedlichen Studien zufolge eine gute Wirksamkeit bei diversen psychischen und körperlichen Leiden zeigen kann. Ob solche neueren Ansätze aber besser helfen als etablierte Verfahren und für wen sie besonders geeignet sind, muss sich noch zeigen. So oder so ist es aber tröstlich zu wissen: Um kleine und grössere Herausforderungen des Lebens zu meistern, lohnt es sich manchmal, eigene Kontrollbemühungen zurückzufahren.

Starten Sie jeden Tag informiert in den Tag mit unserem Newsletter Guten Morgen. Melden Sie sich hier an.

OTHER NEWS

12 minutes ago

Jackie 'O' Henderson announces shock new solo television gig

12 minutes ago

American beauty queen Briana Siaca sounds alarm after falling victim to very common Zelle scam

13 minutes ago

Candice Swanepoel shows off her cleavage in a plunging silk evening dress as she joins glamorous Toni Garrn at Roberto Cavalli's celebratory dinner in Cannes

14 minutes ago

May long weekend snow continues across the West

14 minutes ago

Seahawks QB Geno Smith Motivated, Focused Heading Into 2024 Season

15 minutes ago

Pochettino must drop Madueke and unleash Chelsea's "game changer"

15 minutes ago

Palestinians displaced by war struggle amid squalid conditions, water shortage

15 minutes ago

Nelly Korda captures her sixth victory of 2024 LPGA season at Mizuho Americas Open

15 minutes ago

Ah Chee next Linc in chain as Lions rebuild

15 minutes ago

Sunday Bird Droppings: Grayson Rodriguez is back and the Orioles offense is gone again

15 minutes ago

ASX 200 to kick off with a ‘positive start’ after last week’s ‘volatile’ market

16 minutes ago

China EV makers taking longer to pay bills amid rising stress

17 minutes ago

2 popular Westfield Old Orchard stores will soon move locations; opening timelines revealed

17 minutes ago

Former Celtic Paul Pierce stomps on Jalen Brunson's jersey after Knicks elimination

18 minutes ago

Marvel Television Banner Returns & Aims To Help Viewers “Jump In Anywhere”

20 minutes ago

Shane Dixon: Aussie father-of-three's eerie post and family torments before he plunged to his death after racking up gambling debt on P&O cruise

22 minutes ago

Roma 1, Genoa 0: Lukaku Goal Secures 6th Place, Europa League Spot

22 minutes ago

Immediate Reaction: Villarreal 4-4 Real Madrid

22 minutes ago

UK warned to brace itself for surge of Asian hornets

22 minutes ago

Nelly Korda wins Mizuho Americas Open by a stroke over Hannah Green for her 6th victory in 7 events

22 minutes ago

Ramos homers, Hicks earns 4th win as Giants beat Rockies 4-1 for first series sweep this year

22 minutes ago

Starting lineup for the 2024 Indianapolis 500, including Kyle Larson

22 minutes ago

Simpson Shoes closes its doors in Lambton after three generations and more than 90 years

22 minutes ago

UTAS prepares for fewer students, cuts spending and pauses new hires, after government caps international student numbers

22 minutes ago

Rangers’ Blake Wheeler available for Eastern Conference Final vs. Panthers

25 minutes ago

2 brothers, 18 and 20, charged with murder in Montreal’s St. Henri stabbing death: prosecutors

27 minutes ago

The blood scandal destroyed my family: I spent one last holiday with my doomed brother and our cousin - then watched their horrific deaths

27 minutes ago

Mercedes-Benz workers in Alabama vote against joining the UAW

27 minutes ago

Shane Lowry Equals Major Record To Surge Into PGA Championship Contention

27 minutes ago

Rangers told to sign 3,000-a-week ace who's "far better than Dessers"

27 minutes ago

Vennells ‘heading into corner where there’s no way out’ before inquiry showdown

27 minutes ago

New York City school spending has gone insane

27 minutes ago

Skye Wheatley goes on extraordinary rant about 'rude and selfish' influencers: 'I'm embarrassed to be called one'

29 minutes ago

Post-election blues – the future may look distinctly different for some of SA’s top politicians

29 minutes ago

Jerry Seinfeld heckled by anti-Israel protester during comedy show: 'Jew-haters spice up the show'

29 minutes ago

Sarah Mitton finishes 3rd in Diamond League shot put

29 minutes ago

Vatican updates rules on weeping statues and stigmata amid fake news fears

29 minutes ago

Toronto Argonauts re-sign veteran quarterback Nick Arbuckle

29 minutes ago

Temps plunge in coldest morning of year

29 minutes ago

Hurricane Season Could Affect Gas Prices

Kênh khám phá trải nghiệm của giới trẻ, thế giới du lịch