«Die Realität ist weit weg von James Bond»
Die Festnahme von russischen Spionen in Deutschland regt die Fantasie an. Was machen Leute im Nachrichtendienst eigentlich wirklich? Expertin Sophia Hoffmann erklärt.
«Wenn man an der Zentrale des deutschen Bundesnachrichtendienstes vorbeiläuft, dann sitzen da 8000 Mitarbeiter hinter Schreibtischen», sagt Sophia Hoffmann: Daniel Craig als James Bond.
Erst werden zwei Männer festgenommen, die in Deutschland für Wladimir Putin spioniert und womöglich sogar Anschläge geplant haben sollen, um die militärische Hilfe für die Ukraine zu schwächen. Dann werden drei Deutsche wegen Verdachts auf Spionage für China abgeführt. Spionage, Geheimdienst, Agententätigkeit – bei vielen springt da gleich das Kopfkino an. Aber was haben verbreitete Vorstellungen von Spionage mit der Realität zu tun? Sophia Hoffmann ist Professorin für Internationale Politik und Konfliktforschung an der Universität Erfurt und befasst sich wissenschaftlich mit Nachrichtendiensten.
Frau Hoffmann, woran liegt es, dass Agenten als faszinierend gelten?
Zum einen hat die Faszination mit der Geheimhaltung zu tun. Nachrichtendienste sind ungewöhnliche staatliche Behörden innerhalb einer Demokratie – schliesslich dürfen Agenten Dinge tun, die sonst verboten sind und höchstens von Kriminellen ausgelebt werden. Das regt die Fantasie an. Zum anderen ist die Popkultur entscheidend, Stichwort James Bond. Das war natürlich eine unheimlich prägende Figur, was das Glamouröse angeht. Dazu kommen dann Romane wie die von John le Carré. Agenten stehen in der Popkultur in einem Spannungsfeld – womöglich tun sie Böses und retten zugleich die Welt. Übrigens gab es schon kurz vor dem Ersten Weltkrieg das Phänomen der «Spionitis».
Klingt nach einer Krankheit.
Gemeint war eine Art gesellschaftliche Hysterie, dass man überall Spione vermutete – vor allem ging es um deutsche Spione in England.
Wie muss man sich Spionagearbeit in der Realität vorstellen? Man denkt erst mal an konspirative Treffen, Verfolgungsjagden und Martini.
Zunächst muss man verstehen, dass moderne Nachrichtendienste riesige Behörden sind. Auch Leute, die verdeckt operativ arbeiten – was der Fantasie der Öffentlichkeit vielleicht am nächsten kommt -, sind keine Einzelkämpfer wie James Bond. Hinter jedem verdeckt arbeitenden Mitarbeiter steht ein bürokratischer Apparat, der diese Arbeit möglich macht. Wenn man in Berlin an der neuen Zentrale des deutschen Bundesnachrichtendienstes vorbeiläuft, dann sitzen da 8000 Mitarbeiter hinter Schreibtischen. Die Realität ist weit weg von «Casino Royale».
Also Schreibtischarbeit.
In der Wissenschaft weiss man schon lange, dass Nachrichtendienste je nach Bereich 80 bis 90 Prozent ihrer Informationen ohnehin aus öffentlich zugänglichen Quellen beschaffen. Generell hat es beim deutschen Bundesnachrichtendienst seit seiner Gründung 1956 nie öffentlich bekannt gewordene spektakuläre Fälle von verdeckten Operationen gegeben, bei denen das Leben von vielen Leuten in Gefahr gewesen wäre. Das machen zumindest die deutschen Dienste nicht. Sie haben auch keine Lizenz zum Töten. Im Ausland sieht es da anders aus.
Nämlich?
Das Spektakulärste, was ich mal gehört habe, war von einem ehemaligen Mitarbeiter des irakischen Nachrichtendienstes: Der iranische Nachrichtendienst, der ein Todfeind war, hat ihnen den abgeschnittenen Kopf eines Agenten per Paket geschickt. Aber so was wird man in Deutschland nicht erleben.
«Agenten werden auch durch Erpressung gewonnen, oder Liebe und Abhängigkeit.»
Bei den beiden im deutschen Bayreuth festgenommenen Männern geht es um den Verdacht, dass sie für Russland in Deutschland strategische Ziele ausspioniert und Anschläge geplant haben sollen. Man weiss, dass die russischen Geheimdienste in Europa nicht gerade harmlos agieren und etwa Oppositionelle umbringen. Aber ist es möglich, dass die beiden vor allem im Auto rumsassen und warteten?
Bei der verdeckten Informationsbeschaffung ist es schon denkbar, dass man viel im Auto sitzt. Die werden wahrscheinlich mit Ferngläsern gearbeitet haben, geschaut haben, wo Mitarbeiter rein- und rausgehen, welche Routinen es gibt. Vielleicht haben sie mit Drohnen gearbeitet, vielleicht mit satellitengestützten Bildern, je nachdem, wie gut sie ausgerüstet wurden. Wobei es auch Gründe geben muss, dass sie nach so kurzer Zeit aufgeflogen sind. Nach der jetzigen Informationslage waren das ja keine professionellen russischen Agenten, sondern für den russischen Nachrichtendienst angeworbene informelle Mitarbeiter.
Warum wird jemand überhaupt Spion?
Das ist relativ gut untersucht, wenn es um die Anwerbung von informellen Mitarbeitern für so eine klassische Ausspähung geht. Das wichtigste Anwerbemittel ist eine grosszügige Bezahlung. Geld ist die Nummer eins. Hinterher kommt dann innere Überzeugung, dass also spioniert wird, weil man sich für ein politisches Projekt, eine Person oder ein System einsetzen will. Das scheint bei einem der Verhafteten auch eine Rolle zu spielen, der offenbar schon militärisch für die russische Seite gekämpft hat. Und dann werden Agenten auch durch Erpressung gewonnen, oder Liebe und Abhängigkeit, aber weitaus seltener.
Sollte man besser von «Agenten» sprechen als von «Spionen»?
Der Begriff «Spion» ist durch all die Filme, Serien und Bücher zumindest überfrachtet. Und sehr unpräzise. Meint man einen informellen Mitarbeiter, einen Privatdetektiv, einen Nachrichtendienstler? Das Verb «spionieren» ist negativ besetzt. Kein Nachrichtendienst will also, dass man so über die eigenen Leute denkt, weswegen die Dienste sich andere bizarre Begriffe ausdenken. Beim Ministerium für Staatssicherheit der DDR war es der berühmt gewordene «Kundschafter des Friedens».
Der entscheidende Hinweis auf die Verdächtigen in Bayreuth kam offenbar von einem befreundeten Geheimdienst. Wie muss man sich so eine Nachrichtendienst-Freundschaft vorstellen?
Man weiss, dass Nachrichtendienste ihre Mitarbeiter auch informell zusammenbringen. Wie man in anderen Unternehmen eben auch nett zusammen ein Retreat macht. Bekannt geworden ist vergangenes Jahr etwa das Bootsunglück auf dem Lago Maggiore, bei dem israelische und italienische Agenten zusammen kenterten. Das klingt für mich nach einem klassischen Netzwerktreffen, das dann im Unglück endete. Vom deutschen Bundesnachrichtendienst etwa ist schon länger bekannt, dass er seine internationalen Partner mit aufs Oktoberfest nimmt. Nicht um dort konspirative Dinge zu besprechen, sondern zur Beziehungspflege. Salopp gesagt weiss man dann, wen man anrufen muss, wenn man etwas braucht.
Sie als professionelle Beobachterin – was ist Ihr liebster Spionageroman?
«Die Libelle» von John le Carré. Darin geht es um die lange Anwerbung einer informellen Mitarbeiterin und die Psychologie dahinter. Der Autor hat selbst lange für Nachrichtendienste gearbeitet. Der Roman ist zwar nicht unbedingt was für die entspannte Liegestuhllektüre, aber ich hatte das Gefühl, dass ich dabei als Wissenschaftlerin unheimlich viel gelernt habe.
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