Die Innerschweiz ist für die Linke ein hartes Pflaster – mit einer grossen Ausnahme
Die SP ist in der Stadt Luzern eine Macht. Sie will der FDP einen Sitz in der Regierung abjagen. Urs Flüeler / Keystone
Abwahlen sind für die Betroffenen immer bitter. Doch Dimitri Moretti traf es am vergangenen Wochenende besonders hart. Der 51-jährige Politiker war in seiner achtjährigen Amtszeit nie in einen Skandal verwickelt und hat solide Regierungsarbeit verrichtet, trotzdem wollen ihn die Urnerinnen und Urner nicht mehr. «In einem bürgerlichen Kanton wird ein linker Regierungsrat von der Bevölkerung offenbar strenger beurteilt», sagt die Politologin Zora Föhn vom Institut Interface.
Für die SP kommt das Scheitern Morettis fast einer Bankrotterklärung gleich. Obwohl sie mit einem weitgehend unumstrittenen Bisherigen antreten konnte, wird sie künftig nicht mehr in der Regierung des Gotthardkantons vertreten sein. Damit geht eine stolze Tradition zu Ende, waren die Sozialdemokraten doch seit 2004 ununterbrochen in der Urner Exekutive vertreten.
Mit vier von sieben Sitzen stellt die «CVP – Die Mitte» in den kommenden vier Jahren die absolute Mehrheit in der Regierung. «Wenn eine Partei in der Innerschweiz dieses Ziel anstrebt, dann sind wir oft die Leidtragenden», sagt der Luzerner SP-Nationalrat David Roth. «Der Ausschluss der einen politischen Seite vergiftet das Klima und ist unschweizerisch. Das wirkt sich für jeden Kanton negativ aus.»
Langes Leiden in Schwyz
Die Schlappe vom Sonntag könnte noch lange nachwirken. Denn wer einmal aus der Exekutive geflogen ist, kommt so schnell nicht wieder zurück. Das zeigt ein Blick in die anderen Zentralschweizer Kantone. In Schwyz musste sich die SP 2012 nach 68 Jahren ununterbrochener Zugehörigkeit aus der Kantonsregierung verabschieden. Seither versucht die Partei vergeblich, einen der sieben Sitze in der SVP-dominierten Exekutive zu erobern.
Im Kanton Zug musste die SP im Jahr 2006 in der Regierung den Grünen den Vortritt lassen. Das darauf folgende Zwischenhoch der Grünen endete 2018 mit dem Rücktritt von Manuela Weichelt, die später in den Nationalrat gewählt wurde. Seither ist die Exekutive des Tiefsteuerkantons in rein bürgerlicher Hand. Noch gar nie hatte der Kanton Obwalden einen Vertreter der Sozialdemokraten oder der Grünen in der Regierung. Angesichts dieser bürgerlichen Dominanz wirkt Nidwalden schon fast exotisch. Dort sind die Grünliberalen seit 2022 mit Peter Truttmann in der Exekutive vertreten. Er ist damit einer von nur zwei GLP-Regierungsräten in der ganzen Schweiz.
Ganz hoffnungslos ist die Situation für die Linke in der Innerschweiz aber nicht. Als letzte Bastion erweist sich der Kanton Luzern. Dort beendete Ylfete Fanaj im Mai 2023 eine achtjährige Durststrecke, indem sie für die SP einen Sitz in der Regierung eroberte. Auch bei den Nationalratswahlen im Herbst 2023 konnte die SP Luzern jubeln. Sie gewann einen Sitz und stellt seither mit David Roth und Hasan Candan zwei Vertreter in der grossen Kammer in Bern.
Candan, Fanaj und Roth haben eines gemeinsam: Sie stammen alle aus der Stadt Luzern. «Die Stadt Luzern ist momentan ein guter Nährboden für die SP», stellt die Politologin Föhn fest. Zudem sei «die einzige urbane Stadt in der Zentralschweiz» ein Anziehungspunkt für Menschen, die links-grüne Ansichten teilten. «Früher sind diese Leute eher in ihrer ländlichen Umgebung geblieben. Heute ziehen sie nach Luzern und verstärken damit die personellen Sorgen ihrer Partei auf dem Land», sagt Föhn.
Mitten in der konservativen Innerschweiz hat sich Luzern so in den letzten dreissig Jahren zu einer linken Hochburg entwickelt. Die FDP, einst als Liberale Partei die stärkste Kraft, muss zunehmend um ihren Einfluss bangen. Der Niedergang begann 1996, als sich aus den Reihen der Liberalen die beiden Cousins Peter Studer und Urs W. Studer um das Stadtpräsidentenamt bewarben. Die Partei nominierte den für den Gewerbeflügel politisierenden Peter Studer. Gewählt wurde jedoch Urs W. Studer, der der nach seiner Nichtberücksichtigung aus der FDP ausgetreten war und als Parteiloser kandidiert hatte. Seither konnten in der rund 84 000 Einwohner zählenden Stadt SP und Grüne ihre Wähleranteile kontinuierlich steigern.
David Roth hofft, dass dieser fast dreissigjährige Prozess bei den Gemeindewahlen am kommenden Wochenende mit einem Wahlerfolg gekrönt wird. «Die Abbildung der linken Mehrheit im Stadtrat widerspiegelt die Bevölkerung besser und entschärft Konflikte», erklärt der SP-Nationalrat. Auch im 48-köpfigen Stadtparlament, wo bis anhin 24 bürgerliche Parlamentarier 24 Vertretern von Rot-Grün gegenüberstehen, könnte es zu einer linken Mehrheit kommen.
Von den fünf bisherigen Mitgliedern der Stadtregierung treten nur Stadtpräsident Beat Züsli (SP) und Franziska Bitzi (Mitte) wieder an. Sie sollten ihre Sitze halten können. FDP, Grüne und GLP müssen ihre frei werdenden Sitze mit neuem Personal verteidigen. Begehrlichkeiten weckt in erster Linie der Sitz der Grünliberalen, die in den letzten acht Jahren oft das Zünglein an der Waage spielten.
GLP und FDP müssen zittern
Keine grossen Sorgen müssen sich die Grünen machen. Mit der 39-jährigen Umweltnaturwissenschafterin Korintha Bärtsch schicken sie eine Kandidatin ins Rennen, die die Stadtpolitik seit einigen Jahren prägt. Zudem verfügt sie über einen hohen Bekanntheitsgrad, kandidierte sie doch 2019 für die Kantonsregierung und erzielte ein sehr gutes Ergebnis.
Die SP setzt auf Angriff und schickt neben Stadtpräsident Züsli die 44-jährige Gewerkschafterin Melanie Setz ins Rennen. Gemessen an den Resultaten der letzten nationalen und kommunalen Wahlen, hat Setz gute Chancen, den Sprung ins Stadthaus zu schaffen. Die Politologin Föhn hält es deshalb für plausibel, dass die Stadt Luzern zum ersten Mal in ihrer Geschichte eine rot-grüne Stadtregierung erhält.
Glaubt man den Experten, wird es am ehesten zu einem Zweikampf zwischen Marco Baumann von der FDP und Stefan Sägesser von der GLP kommen. Der SVP-Kandidat Peter With mischt seit langem in der Stadtpolitik mit. Angesichts des politischen Klimas in der Stadt dürfte er es aber schwer haben. Insofern ähnelt sein Schicksal demjenigen von Dimitri Moretti.