Die Briten haben die Geduld mit Sunak und den Tories verloren
Der Unmut nach dem Brexit, ständige Führungswechsel und nun diese Wahlschlappe: Die britischen Konservativen sind auf einem Rekordtief angelangt. Aber Labour hat Probleme eigener Art.
Das Vereinigte Königreich verlangt nach politischem Wandel: Premierminister Rishi Sunak am Vortag der Kommunalwahlen.
Nachdem die Konservativen 14 Jahre lang das Sagen hatten in Grossbritannien, neigt sich ihre Regierungszeit jetzt offenbar dem Ende zu. Bei den landesweiten englischen und walisischen Kommunalwahlen vom Donnerstag bestätigte sich, was die Umfragen schon seit Monaten vermuten liessen. Das Vereinigte Königreich verlangt nach politischem Wandel. Die Wähler kehren sich von den Tories ab.
Nicht einmal die Hälfte der von Konservativen gehaltenen Kreis- und Gemeinderatssitze, die jetzt neu zur Wahl standen, scheinen diese Woche bei den Tories verblieben zu sein. Der Einbruch der Wählerbasis ist enorm.
Auf den nationalen Rahmen übertragen, würde das bedeuten, dass die Konservativen bei einem entsprechenden Ergebnis im Unterhaus nur noch eine Rumpfpartei wären, während die Labour Party mit überwältigender Mehrheit regieren könnte. Jahre der Ohnmacht stünden der Stimme der «staatstragenden Kräfte» bevor, die immer auf ihren Ruf als «die erfolgreichste Partei der westlichen Welt» stolz war.
Rechter Flügel will rebellieren
Mittlerweile deutet alles darauf hin, dass die Konservativen an diesem Wochenende auf einem Rekordtief ihrer Geschichte sein werden. Für Regierungschef Rishi Sunak ist das Kommunalwahlergebnis jedenfalls ein harter Schlag. Noch vor Jahresende muss Sunak Unterhauswahlen ansetzen. Der Donnerstag dieser Woche war dafür der Test. Prompt ist am Freitag neue Unruhe in den Reihen der Konservativen aufgekommen. Frustrierte Abgeordnete, vor allem vom rechten Flügel, wollen vom Wochenende an zur Rebellion gegen Sunak trommeln.
Lange war ja schon von einer Misstrauensabstimmung in der Fraktion die Rede. Deutete sich so etwas an, müsste Sunak entscheiden, ob er lieber gleich Neuwahlen für das Unterhaus ausschreiben würde – und mit Mann und Maus untergehen, statt seine Zeit an der Spitze einer widerwilligen Partei hinauszuzögern, in der Hoffnung auf ein Wahlwunder irgendwann im Herbst.
Die Frage ist natürlich, ob ein solches Wunder noch möglich wäre. Eine steigende Zahl von Briten scheint inzwischen mit Sunaks Partei alle Geduld verloren zu haben. Die Austeritätspolitik David Camerons hat Jahre danach schlimme Folgen gezeitigt. Das Mass der Armut im Land ist heute erschreckend. Der Niedergang der öffentlichen Dienste, vor allem des Gesundheitswesens, ist ein nationaler Skandal.
Post-Brexit-Unmut
Ganze Gemeinden gehen neuerdings bankrott. Der Post-Brexit-Unmut ist mit Händen zu greifen. Feierliche Versprechen eines Neubeginns sind nicht eingelöst worden. Filz, Korruption und andere Skandale belasten die Partei. Dem vernachlässigten Nordengland, dem Boris Johnson Aufschwung versprach, geht es nicht besser als früher. Und das Chaos der letzten Jahre in Downing Street, mit stetem Personalwechsel und immer neuen Parolen, hat die Irritation über alle Massen verstärkt.
Kein Wunder, ist die Stimmung in vielen Haushalten umgeschlagen. Während der Premier noch immer emsig Sozialhilfe reduziert und Steuern senkt, verlangen immer mehr seiner Landsleute eine ausreichende Finanzierung staatlicher Dienstleistungen und mehr Hilfe für alle, die auf Hilfe angewiesen sind.
Auch er profitiert: Der europaskeptische Populist Nigel Farage Mitte April in Brüssel.
Antieuropäische Ressentiments von Tory-Politikern sind nicht mehr so leicht zu schüren wie noch vor ein paar Jahren. Populistische Töne im rechten Spektrum macht sich eher Nigel Farages Partei Reform UK zunutze, die diese Woche in vielen Regionen bereits auf 15 Prozent der Stimmen gekommen ist. Rishi Sunak überzeugt mit seinem Kurs weder die nationalkonservative Rechte noch die Moderaten in seiner Partei.
Sunak selbst ist dabei zu einem zusätzlichen Problem der Tories geworden. Er ist unbeholfen im Auftreten, ein Multimillionär, dessen Leben mit dem seiner Mitbürger wenig zu tun hat, der ängstlich Distanz wahrt und im Wahlkampf denkbar ungeschickt agiert. Mehr denn je trauern Tory-Aktivisten der Zeit nach, in der Johnson die Partei führte – und mit seiner Kommunikationsgabe und seiner Clownerie die Bühne beherrschte.
Extreme Nervosität im Regierungslager
Nun sind ranghohe Tories wie Ministerin Penny Mordaunt im Gespräch als mögliche «Übergangsfiguren», die bis zu Wahlen im Spätjahr an Sunaks Stelle treten könnten. Viele Tories finden die Idee einer erneuten Absetzung eines Partei- und Regierungschefs so kurz vor den nächsten Wahlen aber absurd. Mithin herrscht extreme Nervosität und Unschlüssigkeit im Regierungslager. Niemand weiss wirklich, wie es weitergehen soll.
Opposition mit einem Aber: Labour-Chef Keir Starmer löst keine übermässige Begeisterung aus.
Was nicht bedeutet, dass die Labour-Opposition sich ihrer Sache völlig sicher sein kann, bei allen Erfolgen dieser Woche. Labour hat Probleme eigener Art – übermässige Begeisterung löst Parteichef Sir Keir Starmer nicht aus. Traditionelle Labour-Wähler in muslimischen Vierteln verübeln ihm zudem seinen zögerlichen Kurs gegenüber Israel.
Und mit ihrem steigenden Stimmenanteil mindern die Rechtspopulisten von Reform UK potenzielle Gewinne Labours. Aber ein genereller Trend zeichnet sich inzwischen ab. Der allgemeine Überdruss mit den Tories dürfte es Sunak schwer machen, in der ihm zur Verfügung stehenden Zeit noch die Kurve zu kriegen: Auch wenn er seinen Mitarbeitern jüngst, ewig optimistisch, «das grösste Comeback in der politischen Geschichte» des Landes versprochen hat.
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