«Der Antrieb für unsere Arbeit ist Wut»

Für Exil-Journalistin Ekaterina Glikman von der «Novaya Gazeta Europe» bietet der Tag der Pressefreiheit die Gelegenheit, verfolgten oder bedrohten Kollegen eine Stimme zu geben.

«der antrieb für unsere arbeit ist wut»

«Ich betrachte meine Arbeit als Privileg»: Ekaterina Glikman arbeitet von der Schweiz aus für die «Novaya Gazeta Europe».

Ekaterina Glikman, die Zeitung «Novaya Gazeta Europe» wurde von geflüchteten Journalistinnen und Journalisten der russischen «Nowaja Gaseta» gegründet. Die Publikation wird nun zwei Jahre alt, ein Jubiläum, das offensichtlich eng mit dem Jahrestag eines anderen Ereignisses verbunden ist: dem Beginn des Krieges in der Ukraine. Wie lange arbeiten Sie schon im Exil?

Die «Novaya Gazeta Europe» wurde am 7. April 2022 gegründet. Ich war damals schon in der Schweiz. Ich bin 2019 umgezogen, aber nicht aus politischen, sondern aus persönlichen Gründen. Zuvor arbeitete ich nicht im Exil. Es gab keine Notwendigkeit, im Exil zu sein, auch wenn die Situation in Russland schon lange Zeit vor dem Krieg nicht gut war. Es gab viel Repression gegen Journalisten, wir haben Kolleginnen und Kollegen verloren, die getötet wurden. Dennoch konnten Journalistinnen ihre Arbeit in Russland ausüben. Auch wenn ich rückblickend kaum verstehen kann, wie dies in einem solchen Land, unter solchen Umständen, so lange möglich war.

Seit Kriegsbeginn ist die Lage noch prekärer geworden. Ihre Zeitung wurde im vergangenen Sommer von den russischen Behörden offiziell zu einer «unerwünschten Organisation» erklärt.

Ja, seither gilt es bereits als kriminell, einen Kommentar oder ein Like unter einem unserer Posts zu hinterlassen oder einen Artikel zu teilen. Wir bitten die Leute deshalb, das niemals zu tun. Wir warnen sie sogar. Denn wenn man nach Russland zurückkehren möchte, kann eine Interaktion mit uns problematisch sein.

Wie hat dieser Statuswechsel der «Novaya Gazeta Europe» zur «unerwünschten Organisation» Ihre Arbeit verändert?

Er hat unsere Arbeit sehr erschwert. Unsere Journalistinnen und Journalisten in Russland sind jetzt gefährdeter als zuvor. Wir müssen sie sorgfältiger und ernsthafter schützen als früher. Ich will nicht behaupten, dass wir uns früher weniger Sorgen gemacht hätten, aber jetzt sind unsere Informanten noch mehr in Gefahr, sie leben wie Gefangene. Wenn sie mit unseren Journalisten sprechen, gehen sie ein zusätzliches Risiko ein. Also müssen wir sie verstecken oder anonymisieren. Und natürlich sind immer weniger Menschen bereit, mit uns zu reden, weil sie Angst haben. Ich bewundere unsere Journalistinnen und Journalisten vor Ort und auch die Menschen, die als normale Bürgerinnen und Bürger bereit sind, uns Informationen zu geben.

Die Angst ist begründet: Laut Berichten aus Russland herrscht eine Atmosphäre des Misstrauens. Man kann nicht mehr wissen, mit wem man sich austauschen kann.

Eine Mutter kann ihre Tochter anzeigen. Das ist die Realität. Das ist meinen Kollegen, Mitgliedern meines Teams, passiert, deren Eltern sie nicht nur bei der Polizei, sondern auch beim Geheimdienst angezeigt haben.

Wie gehen Sie hier in der Schweiz mit dieser Gefahr um?

Es ist eine sehr schwierige Situation. Ich muss Entscheidungen treffen, die ich vorher nicht hätte treffen müssen. Ich weiss, dass, wenn ich einen Artikel veröffentliche, ein Journalist in Gefahr ist, ebenso wie die Personen, die in diesem Artikel als Figuren oder als Informanten vorkommen. Aber dieser Artikel hat einen öffentlichen Wert, ein öffentliches Interesse. Es stellt sich also nicht die Frage, ob er veröffentlicht werden soll oder nicht. Aber in dem Moment, in dem ich diesen Geschichten eine Plattform gebe, bringe ich mit meinen eigenen Händen Menschen in Gefahr. Mit dieser Verantwortung müssen wir alle leben.

Wie kommunizieren Sie diese Verantwortung Ihren Kolleginnen und Kollegen in Russland?

Als Redaktorin muss ich dafür sorgen, dass die Journalisten die Risiken verstehen. Ich muss sie ständig daran erinnern und dafür sorgen, dass sie allen Beteiligten klar sind. Es ist nicht leicht, damit zu leben, aber wir haben einfach keine andere Wahl. Sonst sind wir keine Profis. Denn: Menschen haben das Recht, ihre Meinung zu äussern. Ich werde sie nicht zensieren, nicht dasselbe tun, wie das Land, in dem sie leben.

Was treibt Sie an?

Ich kenne so viele wunderbare Menschen, die in meinem Land geblieben sind und nicht ausdrücken können, was sie denken. Das ist ein so hartes Leben. Wenn man in der Schweiz lebt, ist es schwer, sich vorzustellen, was es bedeutet, dass man eine Meinung hat, aber sie nicht formulieren kann. Vor allem, wenn man ein denkender Mensch ist, wenn man liest und sich bildet. Vielleicht klingt es pathetisch, aber ich fühle mich wirklich privilegiert, dass ich meine Arbeit ausüben kann. Und deshalb mache ich sie auch für die Leute vor Ort. Das ist meine Motivation. Ein weiterer Antrieb für unsere Arbeit ist Wut. Wut ist ein Bewältigungsmechanismus für mein Team. Wir sind eine Gruppe von sehr wütenden Menschen. In dieser Hinsicht ist Wut nicht ungesund, sie ist sogar unser Treibstoff.

Hat diese Wut Sie auch angetrieben, das soeben publizierte Buch der «Novaya Gazeta Europe» herauszugeben?

Dieses Buch ist in der Tat sehr wertvoll, eben weil wir im Exil sind. Es sind 13 Berichte, die ich zusammengestellt habe. Sie alle wurden von russischen Journalistinnen und Journalisten in Russland verfasst und können in Russland wegen der Zensur nicht veröffentlicht werden. Das Buch funktioniert wie eine Landkarte, verschiedene Orte im ganzen Land kommen darin vor. Und es ist chronologisch aufgebaut, so kann man zwei Kriegsjahre durchleben und sehen, wie sich Russland von innen heraus verändert hat. Es ist ein Porträt des Landes. Kein sehr schönes Porträt, wie Sie sich vorstellen können, aber sehr wahrheitsgetreu. Wir hoffen, dass wir das Buch bald auf Deutsch übersetzen können.

Was bedeutet dieses Buch für Sie? 

Es ist kostbar, weil es eine fast unmögliche Aufgabe für unsere Autorinnen und Autoren ist, unter diesen Umständen gute Reportagen zu schreiben, vor allem, wenn sie wie Verbrecher behandelt werden. Und deshalb bin ich sehr stolz darauf, dass wir immer noch diese mutigen Leute vor Ort haben – die alle ein Pseudonym tragen müssen. Das macht mich sehr wütend. Denn es handelt sich bei ihnen um professionelle, hervorragende Journalistinnen und Journalisten, denen ihr Name genommen wurde. Unsere Wut bringt uns dazu, dass wir das alles überleben wollen. Und am Ende werden wir ihre Namen bekannt machen, sie zurück ins Leben bringen, zurück an die Öffentlichkeit.

Wir schicken Sie informiert in den Feierabend mit unseren Newsletter BaZ der Abend. Melden Sie sich hier an.

OTHER NEWS

34 minutes ago

'Virat Kohli had a start-stop career...': Sunil Gavaskar drops big 'MS Dhoni' remark days after strike-rate row

34 minutes ago

Report: Donovan Mitchell Likely To Remain With Cavaliers

35 minutes ago

Key things parents should consider before giving financial help to their adult children

35 minutes ago

Reason Tobey Maguire's Spider-Man uses organic web shooters as Marvel Rivals character revealed

35 minutes ago

Olympics-US seeks shotgun boost to give sharpshooters smooth Paris 2024 experience

35 minutes ago

Transform your generative AI roadmap with custom LLMs

35 minutes ago

With Blue Jays in need of offence, Joey Votto poised for return to minor-league games

35 minutes ago

I’m neither aged nor retired, will work with more enthusiasm: Brij Bhushan

35 minutes ago

Where the Buffalo Bills roam: Micah Hyde’s return

35 minutes ago

Data-driven model rapidly predicts dehydrogenation barriers in solid-state materials

36 minutes ago

Ben Stiller and James Woods among the stars paying tribute to late actor Dabney Coleman who passed away at 92

36 minutes ago

Vanessa Marcil says Megan Fox apologized to her for past drama with Brian Austin Green: 'She has taken responsibility for her actions'

36 minutes ago

Rebel Wilson looks effortlessly chic in a stylish cardigan and smart trousers as she leaves the hair salon in LA

36 minutes ago

Off-the-grid cottage on remote Florida island hits the market for $799,000

36 minutes ago

Woods gets stuck in sand, makes two early triples en route to a 77 and will miss the cut at PGA

40 minutes ago

Documents provide insight into the death of Boeing whistleblower John Barnett

40 minutes ago

Browns Roster Positional Preview: Defensive Back

40 minutes ago

PEN America, facing criticism over its response to the Mideast war, gathers for annual gala

40 minutes ago

Does Staging Your House Really Help It Sell for More Money?

40 minutes ago

UPDATE: Next Kraken Coach Could 'B' Bylsma Or Brind'Amour, But Not Berube

41 minutes ago

Chicago Med Season 12 Episode 9 Pulled The Trigger On The Wrong Couple

41 minutes ago

Deadly storms: Here’s what weather icon Frank Billingsley thinks hit Houston last night

42 minutes ago

Pro-Palestine protestors including Lidia Thorpe cause chaos at Labor conference ahead of PM's arrival

43 minutes ago

Trump predicts 'jacked up' Biden at upcoming debates, blasts Bidenomics in battleground speech

43 minutes ago

Draft Watch: The Case for Michael Brandsegg-Nygård at Pick 15

43 minutes ago

Ex-Manly coach set for court showdown with club over sacking

43 minutes ago

Indian opposition parties court votes in secular south

43 minutes ago

Analysis-UAW's stinging loss in Alabama won't kill national organizing effort

44 minutes ago

Pacers Lead Knicks: HALFTIME Playoff Game 6

46 minutes ago

How to watch Pacers-Knicks and Wolves-Nuggets Game 7 showdowns

48 minutes ago

Nippon Steel executive to visit U.S. to meet stakeholders of U.S. Steel deal

48 minutes ago

Juventus fires coach Massimiliano Allegri for his outburst toward the refs in the Italian Cup final

48 minutes ago

Three Kilometres to the End of the World review – brutal self-denial in deepest Romania

48 minutes ago

Olympics-Opening ceremony test on River Seine postponed, Paris official says

48 minutes ago

A funereal silence from Mary Lou McDonald on the Sinn Féin Covid cortege of apologies

49 minutes ago

Why did case of 15-year-old girl living in a wet market stall go unreported for so long?

56 minutes ago

Knockout! Doumbe Stops Willis In One-Round WAR!

56 minutes ago

A new Bruce Springsteen documentary coming to Hulu and Disney Plus will take us on the road with the E Street Band

57 minutes ago

Karl Stefanovic is all smiles as he steps out with his wife Jasmine Yarbrough to watch the Brisbane Broncos

57 minutes ago

Storms cause widespread damage in Houston, killing at least 4. Some face no power for weeks

Kênh khám phá trải nghiệm của giới trẻ, thế giới du lịch