Der Handwerkspräsident über Konsequenzen aus dem Karlsruher Schuldenurteil, den Bürgergeld-Bezug von ukrainischen Flüchtlingen und die Arbeitsmoral der Generation Z.
Der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH), Jörg Dittrich, sieht nach dem Schuldenurteil des Bundesverfassungsgerichts eine „unglaubliche Verunsicherung und Unruhe“ in der deutschen Wirtschaft. Viele Unternehmen seien „jetzt noch vorsichtiger und halten ihr Geld beisammen“, sagte Dittrich im Interview mit dem Handelsblatt. „Zukunftsinvestitionen, die wir dringend bräuchten, unterbleiben.“
Das Urteil der Karlsruher Richter zeige, dass sich Klimaschutz um jeden Preis auf Dauer nicht durchhalten lasse und das Geld eine endliche Ressource sei. Deshalb müsse bei den Ausgaben stärker priorisiert werden. „Als Vertreter des Handwerks würde ich aber den Rat geben, alles daran zu setzen, den Standort zu stärken“, sagte Dittrich, der seit Anfang des Jahres an der Verbandsspitze steht. Denn wenn es der Wirtschaft schlecht gehe, gehe es auch der Gesellschaft schlecht.
Zur Not sollte die Regierung auch erwägen, die Schuldenbremse zu lockern, um Zukunftsinvestitionen zu ermöglichen, sagte der Handwerkspräsident. „Wenn wir am Ende der Dumme sind, nur weil wir uns an die Schuldenbremse klammern, kann man – zumal in dieser Lage – schon überlegen, ob das so gut ist.“ Aber bevor man über die Schuldenbremse diskutiere, müsse man sich erst einmal anschauen, welche Ausgaben wirklich nötig seien.
Lesen Sie hier das vollständige Interview mit ZDH-Präsident Jörg Dittrich:
Herr Dittrich, nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts fehlen Milliarden für den Klimaschutz. Das kann auch Folgen für das Handwerk haben, etwa bei energetischen Sanierungen. Was lehrt uns das Urteil?
Dass Klimaschutz um jeden Preis auf Dauer nicht durchgehalten werden kann. Und dass Geld eine endliche Ressource ist und wir deshalb stärker priorisieren müssen. Es geht nicht alles gleichzeitig. Bei den Betrieben und Unternehmen hat das Urteil zu unglaublicher Verunsicherung und Unruhe geführt, viele sind jetzt noch vorsichtiger und halten ihr Geld beisammen. Zukunftsinvestitionen, die wir dringend bräuchten, unterbleiben.
Was würden Sie denn priorisieren und wo eher sparen?
Ich bin kein Politiker und habe das nicht zu entscheiden, kann also nicht über das Bürgergeld oder Rüstungsausgaben reden. Als Vertreter des Handwerks würde ich aber den Rat geben, alles daranzusetzen, den Standort zu stärken. Denn wenn es der Wirtschaft schlecht geht, geht es auch der Gesellschaft schlecht – und niemand ist da, der Sozial- oder Rüstungsausgaben finanzieren kann.
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Notlage im Bundeshaushalt: Finanzministerium will Krisenfonds WSF vollständig auflösenFinanzminister Christian Lindner steht unter Druck, die Schuldenbremse zu lockern, um dringend benötigte Investitionen zu ermöglichen. Was sagen Sie?
Natürlich ist es nach der reinen Wirtschaftslehre klug zu sagen, man gibt nur das aus, was man auch einnimmt. Aber Deutschlands Schuldenstandsquote hält sich im internationalen Vergleich noch im Rahmen. Wenn wir am Ende der Dumme sind, nur weil wir uns an die Schuldenbremse klammern, kann man – zumal in dieser Lage – schon überlegen, ob das so gut ist.
Also weg mit der Schuldenbremse?
Ich denke, es muss zuallererst darum gehen zu entscheiden, wofür wir Geld ausgeben wollen. Aus meiner Sicht müssen wir den Fokus auf Zukunftsinvestitionen und die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts legen, weil sich nur dann auch der Sozialstaat nachhaltig finanzieren lässt. Und wenn diese Zukunftsinvestitionen nur mit neuen Schulden zu haben sind, dann sollte man diesen Weg meinetwegen nicht kategorisch ausschließen. Mein Plädoyer ist aber gleichwohl: Erst mal die Ausgaben überprüfen, bevor die Schuldenbremse diskutiert wird.
Lindert die augenblickliche wirtschaftliche Schwäche wenigstens den Fachkräftemangel?
Früher spiegelte sich die wirtschaftliche Entwicklung in den Arbeitslosenzahlen. Aber in Zeiten, in denen Hunderttausende in Rente gehen, taugt dieser Indikator nicht mehr. Wir haben zu wenige Leute, die Photovoltaikanlagen installieren, Stromkabel verlegen, Häuser sanieren. Und ich bin wirklich gespannt, ob der eine oder die andere angesichts der wirtschaftlichen Gegebenheiten bereit ist, vielleicht doch mal eine oder zwei Stunden mehr zu arbeiten.
Sie lehnen die Viertagewoche ab?
Ich bin nicht gegen die Viertagewoche, ich halte sie bei vollem Lohnausgleich nur für vollkommen unrealistisch, wenn es nicht zu entsprechenden Produktivitätssteigerungen kommt. Wir stehen doch im weltweiten Wettbewerb. Wie kommen wir auf die Idee, dass wir die Einzigen sein können, die bei gleichem Geld wesentlich weniger arbeiten?
Es gibt auch Handwerksbetriebe, die die Viertagewoche anbieten, weil sie sonst gar keine Leute mehr bekommen …
Ich kenne diese Beispiele auch. Das mag für den einzelnen Betrieb funktionieren und gut sein. Aber ob das für den Standort insgesamt gut ist, das ist eine andere Frage. Es sollte in der Freiheit jedes einzelnen Arbeitgebers liegen, ob er das anbietet.
Die Zahl der jungen Menschen ohne Berufsausbildung ist auf den Rekordwert von mehr als 2,6 Millionen gestiegen. Warum schaffen Ihre Betriebe es nicht, diese jungen Leute von einem Job im Handwerk zu überzeugen?
Wir stehen bereit, jedem eine Chance zu geben. Aber das Handwerk kann nicht die Reparaturabteilung sein für Fehler, die in der Schule oder der Familie passiert sind. Wir haben es mit der individuellen Freiheit übertrieben.
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Das sagt jemand, der in der DDR aufgewachsen ist? Was meinen Sie damit?
Ich bin groß geworden in der Diktatur, und die Freiheit ist mir heilig. Aber zur Freiheit gehört Verantwortung. Und die jungen Menschen, über die wir hier sprechen, übernehmen aus irgendwelchen Gründen noch nicht einmal Verantwortung für sich selbst und ihren schulischen und beruflichen Weg, geschweige denn für die Gesellschaft. Und demzufolge glaube ich, dass dort eingegriffen werden muss.
Wie denn?
Die Gesellschaft hat, denke ich, schon ein Anrecht darauf zu wissen, was junge Menschen nach der Schule tun. Jugendberufsagenturen sollten da den Kontakt halten, und wenn der Datenschutz dagegenspricht, dann muss das geändert werden. Wir können doch nicht hinnehmen, dass junge Leute mit 16 oder 18 Jahren einfach verschwinden, und mit 30 oder 35 tauchen sie im Jobcenter wieder auf.
Arbeitsmarktexperten sagen, wir bräuchten jährlich netto 400.000 Zuwanderer, um unser Arbeitskräftepotenzial zu halten. Auf der anderen Seite hat der Kanzler verkündet, dass er jetzt rigoros abschieben will. Handwerksbetriebe beklagen sich, dass gut integrierte Mitarbeiter abgeschoben werden …
Die Gesetze ausgerechnet bei denen konsequent anzuwenden, die hier gut integriert sind, halte ich für falsch. Aber wir müssen die ungeregelte Zuwanderung in den Griff bekommen, weil sie sonst den Blick verstellt auf die Notwendigkeit einer gesteuerten Zuwanderung.
Sie haben eben gesagt, das Handwerk kann nicht die Reparaturabteilung für alles sein. Genau das verlangt die Bundesregierung jetzt aber von Ihren Betrieben, weil sie jetzt auch ukrainischen Flüchtlingen Jobs anbieten sollen, die noch nicht gut Deutsch sprechen oder die nicht entsprechend qualifiziert sind.
In erster Linie sollten wir den Meisterinnen und Meistern die Entscheidung überlassen, wen sie zu welchen Bedingungen einstellen. Wir hören aus unseren Betrieben, dass nicht unbedingt ein großer Andrang von Ukrainerinnen und Ukrainern herrscht. Vielleicht auch, weil ja viele Frauen eingereist sind, die sich um kleine Kinder kümmern müssen.
Oder weil angesichts des Bürgergeld-Anspruchs eine Arbeitsaufnahme unattraktiv erscheint?
Es muss jedenfalls klar sein, dass das Bürgergeld keine Wahlleistung ist, sondern eine Sozialleistung, an die Mitwirkungspflichten geknüpft sind. Aber es ist eine Utopie zu glauben, dass alle Menschen gut sind. Daran ist schon der Sozialismus gescheitert. Das Handwerk kann Geflüchtete integrieren, das haben wir nach 2015/16 bewiesen. Aber die Menschen müssen das auch wollen.
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Sie arbeiten gerade an einer neuen Imagekampagne. Glauben Sie, dass es damit gelingt, mehr junge Leute für eine Ausbildung im Handwerk zu begeistern?
Als wir unsere erste Imagekampagne 2009 beschlossen haben, wussten nur noch verschwindend wenige Bürger, dass ein Bäcker ein Handwerker ist. Heute wird das Handwerk mit einem Rekordwert von 74 Prozent der Bevölkerung wahrgenommen, und im Ansehen rangieren Handwerker auf dem Niveau von Krankenschwestern und Feuerwehr. Da hat sich also etwas positiv getan.
Trotz des tollen Images hat das Handwerk aber weiter Probleme, seine Ausbildungsplätze zu besetzen …
Worauf kommt es jungen Leuten an? Sie wollen gutes Geld verdienen, aber im lohnintensiven Handwerk macht es die hohe Steuer- und Abgabenlast oft schwer, mehr zu bezahlen. Und viele Beschäftigte wünschen sich Aufstiegsmöglichkeiten im Betrieb, ohne gleich den Meister machen zu müssen und sich selbstständig zu machen. Da können wir noch besser werden.
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