Debatte über Klimakrise: Wir brauchen eine neue Normalität
Einsatz gegen die ökologische Krise: Laut Historikerin Hedwig Richter braucht es eine Revolution in der Demokratie.
Ad-hominem-Angriffe sind in aller Regel so interessant wie irrelevant. Womöglich liegt es an Jürgen Kaubes tiefer Resignation, dass er in seiner Replik auf meinen jüngsten Artikel in der F.A.Z. hämisch bei den Kreuzfahrten seiner Mitmenschen landet.
Doch es ist der Problematik, mit der wir konfrontiert sind – der ökologischen Zerstörung –, nicht angemessen, sie im Sumpfe persönlichen Entlarvungseifers zu ertränken, der doch das Metier der X-Trolle und des AfD-Gefolges ist: Je jubelnder sie zu entlarven meinen, desto mehr verschwindet in ihrer Welt das ökologische Problem – ja, wenn sie noch mehr enthüllen und frohlocken, löst es sich womöglich ganz auf.
Streitbar: Die Historikerin Hedwig Richter
Für Jürgen Kaube ist die Entlarvungsfreude nur ein kurzer Zwischendurchtrost: Wie sonst lässt es sich in der Realität der ökologischen Zerstörung leben, für die man keinen Ausweg sieht? Kaube vermutet, „dass die Demokratie womöglich nicht die Staatsform ist, die dem Klimawandel entschieden entgegentreten wird“. Das, so würde ich dagegenhalten, ist eine zutiefst undemokratische Haltung.
Wenn das Wort Heimat wenig Sinn hat
Denn wer sagt, dass die ökologische Wende demokratisch nicht zu bewerkstelligen sei, der hat die Demokratie selbst schon aufgegeben. In einer Welt, die sich um zwei oder mehr Grad erwärmt hat, in der das Wort Heimat wenig Sinn ergibt, weil die Arten, die Ostsee und die Wälder sterben, kann Demokratie schwerlich existieren, dann regiert eher der Katastrophenschutz als das Parlament, dann fegen Stürme und Missernten die Gewaltenteilung hinweg, und der Rechtsstaat wird den sozial benachteiligten Menschen in überhitzten Häusern zwischen durchasphaltierten Straßenzügen wenig nützen. Sie sterben dann einfach.
Schon heute ist das oft der Fall. Soziale Ungleichheit wird wieder in einem Ausmaß eine Frage von Leben und Tod, wie es Demokratien kaum bewältigen können: Wer kann sich ein Chalet in den Alpen leisten, wer die leistungsfähigen Klimaanlagen? Wie viele Ahrtal-Fluten nacheinander oder zugleich kann ein demokratischer Staat verkraften?
Wer die Demokratie bei der Ökologie aufgibt, der hat sie ganz aufgegeben, der will sie zu Ende verwalten und hofft womöglich, selber zu sterben, bevor die Demokratie stirbt.
Jürgen Kaube macht sich vom Thron der Herausgeberschaft herab lustig über die Trottel, die nach Auswegen für die Demokratie suchen. Jedes Plädoyer für eine ernsthafte Reaktion auf die Krise fällt dem Verdikt der schwarzen Pädagogik anheim. Mit diesem Knüppel wird die Notlage zum Verschwinden gebracht.
Resignation ist auch deswegen undemokratisch, weil die Demokratie die Staatsform ist, die auf der Hoffnung der menschlichen Autonomie gründet. Die demokratische Partizipation, all die Reformen und Diskussionen, die Wahl- und Meinungskämpfe, die Utopien von der Würde des Menschen ergeben keinen Sinn, wenn Menschen nicht auch frei und wirkmächtig sind.
„Demokratie und Revolution“
Ohne die Bürgerinnen und Bürger, ohne Mehrheiten lässt sich in einer Demokratie kein Staat machen und lässt sich die ökologische Krise nicht aufhalten. Doch da die Demokratien bisher zu wenig und zu langsam reagiert haben, brauchen wir eine Revolution in der Demokratie. Das ist der zentrale Punkt des Buches „Demokratie und Revolution“, das ich mit Bernd Ulrich geschrieben habe. Ja, eine gerechte Marktwirtschaft ist wichtig, neue Technologien sind unverzichtbar, aber es geht in einer Demokratie auch darum, die Menschen zu überzeugen, nicht zuletzt mit einer entschiedenen Politik, die selbstverständlich zuweilen vorangehen muss – und das ist der Kern meines Ausgangsartikels.
Der Narrensaum und die Suppenkasper sind nicht die Bürgerinnen und Bürger, eine Behauptung, die mir Jürgen Kaube unterstellt und die den Kern seiner Argumentation ausmacht. Vielmehr gedeiht der Narrensaum, wenn die Politik die Menschen anspricht wie Kinder, denen man die Wahrheit nicht zumuten kann. Jede Forderung, jede Einschränkung, jede Klimamaßnahme wird zur „Ökodiktatur“, die konsequente Fortsetzung der „Gouvernante“.
Aber was, wenn Demokratien schlicht die ökologische Krise nicht bewältigen können, weil die Menschen zu bequem sind, wendet Jürgen Kaube ein. Denn keine Frage, Menschen sind nicht nur vernünftig, jeder trägt mindestens einen Schweinehund mit sich herum.
Wir müssen sofort handeln
Unser Argument ist: Es gibt Wege aus der ökologischen Unmündigkeit, die unsere Demokratie revolutionieren. Die erste Revolution wäre eine Politik, die Bürger als Mündige anspricht. Also klarmacht, dass wir, falls wir die Demokratie retten wollen, massiv und sofort handeln müssen. Dafür kann demokratische Politik entschieden regieren und sich später gegebenenfalls bei der Wahl abstrafen lassen, dafür haben wir eine repräsentative und keine direkte Demokratie.
Zur Revolution gehört ein Ende des Normalismus, der radikal und zerstörerisch geworden ist: Der aktuelle Fleischkonsum, das Autofahren, die Fliegerei, die Klamotten, unser ganzer Alltag ist durchtränkt mit Zerstörung, die Politiker nicht noch befeuern sollten (Fliegt, dass es kracht! Schaut euch meine Wurst an!). Sich aus der alltäglichen Zerstörung zu befreien, das ist für die westlichen Länder – für Politik, Bürger, Wirtschaft, sogar für das Feuilleton – das große Emanzipationsprojekt des 21. Jahrhunderts.
Die politische Ansage wäre dann: Klar, jede Bürgerin kann aufhören mit Kreuzfahrten, mit unnötigen Flügen und Autofahrten und dem maßlosen Fleischkonsum, wir unterstützten die beim Menschen stets wackelige Vernunft mit Gesetzen und Verboten, wie es sich für eine Republik gehört.
Sie kann mit Zumutungen umgehen
Die Normalismus- und die Weiter-so-Bürgerlichkeit eines Jürgen Kaube hingegen ist in Zeiten der Zerstörung unbürgerlich geworden, sie pflegt einen die Demokratie gefährdenden Alltag, sie ist maßlos, destruktiv, undemokratisch. Bürgerlich ist heute vieles von dem, was dem bürgerlichen Habitus bisher widersprochen hat: Alarm, Angstgefühle, Öko, Veganismus. Doch diese neue Bürgerlichkeit pflegt konservative Tugenden: Anstand, Seinen-Beitrag-Leisten, Maßhalten, Disziplin.
Das Gute an der Demokratie ist, dass sie mit Zumutungen umgehen kann. Das haben wir verlernt, weil in den letzten Jahren, da stimme ich Jürgen Kaube zu, die Politik den Bürger als Konsumenten adressiert hat. Die Selbstverständlichkeit der Mitverantwortung von Bürgerinnen und Bürger ist zur Unzumutbarkeit geworden. Die schlichte Forderung, Demokratie wieder auf ihre in Jahrzehnten bewährte Repräsentativität zu orientieren, statt den Einkaufskorb mit der Wahlurne zu verwechseln, wird als autoritär verschrien.
Disziplin ist die Schwester der Freiheit
Die Geschichte der Demokratie zeigt ja, wie stark sie von Disziplin lebt, sie steckt in jeder ihrer Fasern. Bürgerinnen und Bürger zwingen sich selbst Steuern auf, sie schränken in ihren Verfassungen einen arbiträren Volkswillen ein, schaffen Ewigkeitsklauseln, Repräsentativität, Sozial- und Rechtsstaat, sie sorgen dafür, dass der Schweinehund nicht obsiegen kann. Es ist mühsam und kein Ponyhof, die demokratischen Utopien von Gleichheit und Freiheit zu verfolgen.
Demokratie und Zumutungen sind in die Demokratie eingewoben, Disziplin ist die Schwester der Freiheit. Ein schönes Beispiel dafür sind die autofreien Sonntage von 1973. Tatsächlich, Jürgen Kaube irrt hier rein fachlich, bei Jens Hohensee oder Frank Bösch lässt es sich nachlesen. Die vier autofreien Festtage dienten nicht primär dem Ziel, Energie einzusparen, sondern sie waren als Signal an die Bevölkerung gedacht: Achtet auf den Energieverbrauch! Die Politik sprach die Menschen als Zuständige an, als Erwachsene. Nicht die OPEC machte den Boykott, sondern einige arabische Staaten der OAPEC, und sie haben nicht „den Ölhahn zugedreht“ und einen „Nichtverkauf“ beschlossen, sondern eine Drosselung um fünf Prozent für neutrale Länder wie die Bundesrepublik, die Grundversorgung war nie gefährdet. Und schon 1973 ging es auch um die „ökologischen Grundlagen“, denn der Report „Grenzen des Wachstums“ von 1972 hatte alle zutiefst alarmiert.
Aber Kaubes eigentliche Schwäche bleibt seine Resignation. Warum ist sie für so viele in Sachen Ökologie so attraktiv? Womöglich ist sie bequemer, weil eine ökologische Wende ohne ein verändertes Leben gerade des Bürgertums nicht möglich ist. Lieber geht die Demokratie zugrunde, als dass ich mein Auto verkaufe oder gar aufhöre, Fleisch zu essen? Aus der Resignationshöhle tönt es trotzig und verächtlich: Gouvernante! Ökodiktatur!
Ja, es kann schiefgehen, wir sollten nicht fahrlässig hoffen, aber noch kann man für demokratische Transformationen kämpfen, dafür, dass die Demokratie eine Revolution erlebt: Wenn die Politik die Menschen ernst nimmt, können die Bürgerinnen und Bürger bei der Ökologie ihre Selbstwirksamkeit erleben. Sie werden den Kindern in die Augen schauen können, weil sie die Demokratie nicht voreilig preisgegeben, sondern um sie gekämpft haben.
Wofür haben wir das Privileg, in einer Demokratie zu leben, wenn nicht dafür: nicht zu resignieren – und den Kindern in die Augen schauen zu können.