Debatte der Kandidaten zur Europawahl: Von der Leyen souverän, Strack-Zimmermann geht unter
Ursula von der Leyen, Spitzenkandidatin der EVP und Präsidentin der Europäischen Kommission, spricht während der Maastricht-Debatte in den Niederlanden am Montag.
Mehr als eine Stunde war die Diskussion schon gelaufen, da kam es zum bemerkenswertesten Moment dieses Abends. Wie Ursula von der Leyen es mit der Partei Europäische Konservative und Reformer (EKR) halte, wollte der Grüne Bas Eickhout bei der ersten Debatte der Spitzenkandidaten für die Europawahl wissen. Das ist die Partei von Giorgia Meloni und von der polnischen PiS-Partei. „Es ist Zeit, dass Sie klarstellen, dass Sie nicht mit EKR zusammenarbeiten werden“, verlangte der Niederländer am Montagabend in Maastricht. Die Kommissionspräsidentin, die sich für die Europäische Volkspartei um eine zweite Amtszeit bewirbt, wich erst aus, bevor sie den entscheidenden Satz sagte: „Es hängt stark davon ab, wie die Zusammensetzung des Parlaments ist und wer sich in welcher Fraktion befindet.“
Die Spitzenkandidaten zur Europawahl (von links nach rechts): Valeriu Ghiletchi (ECPM – European Christian Political Movement), Walter Baier (Party of the European Left), Marie-Agnes Strack-Zimmermann (Alliance of Liberals and Democrats for Europe Party), Nicolas Schmit (Party of European Socialists), Ursula von der Leyen (European Peoples Party), Bas Eickhout (European Green Party), Maylis Roberg (European Free Alliance) and Anders Vistisen (Identity and Democracy Party).
Das war ein Ja, mit zwei Vorbehalten versehen. Der erste: dass EKR für eine Mehrheit benötigt wird. Danach sieht es in den Umfragen aus. Die Nationalkonservativen sind dort die drittstärkste Kraft. Mit der Europäischen Volkspartei, den Liberalen und Teilen der Sozialdemokraten könnten sie eine neue Mehrheit bilden – Mitte-rechts. Der zweite Vorbehalt: Es kommt darauf an, wie sich die Fraktion zusammensetzt. Noch wird sie von der polnischen PiS-Partei dominiert, nach der Wahl dürften Melonis Fratelli d’Italia die Oberhand gewinnen. Das wäre für von der Leyen ein Partner – solange Meloni nicht Viktor Orbáns Fidesz-Truppe und weitere Abgeordnete aus der Partei des französischen Rechtsextremisten Eric Zemmour an Bord holt.
Strack-Zimmermann zeigt Unwissenheit
„Wie bitte?“, entfuhr es Eickhout, als er von der Leyens Antwort hörte. Für die Grünen ist das ein Schreckensszenario. In den vergangenen fünf Jahren waren sie immer wieder von der Kommissionspräsidentin umworben worden, in Zukunft könnten sie bedeutungslos werden. Gemäß Umfragen werden sie der größte Verlierer der Europawahl sein.
Auch der Vertreter der Sozialdemokraten zeigte sich pikiert. „Werte und Rechte können nicht nach politischen Arrangements aufgeteilt werden“, sagte Nicolas Schmit, Sozialkommissar aus Luxemburg. Entweder könne man mit der „extremen Rechten“ zusammenarbeiten oder nicht. Das lag auf Linie der Grünen, die alles, was rechts von der EVP ist, als „rechtsextrem“ darstellen. Freilich hat ein Teil der Parteienfamilie weniger Berührungsängste, weil er selbst nach rechts gerückt ist, etwa die schwedischen Sozialdemokraten in der Migrationspolitik.
Von der Leyen konnte die Kritik weglächeln, dank Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Die FDP-Politikerin tritt sowohl in Deutschland als auch in Europa als Spitzenkandidatin der liberalen Partei an. Die Frau, die für spitze Formulierungen bekannt ist, tat sich allerdings schwer mit einer Debatte auf Englisch und verhaspelte sich immer wieder. Dann schoss sie auch noch das Eigentor des Abends. „Sind Sie wirklich sicher, dass Sie mit Maximilian Krah und all diesen Leuten von der AfD zusammenarbeiten wollen?“, ging sie von von der Leyen an. „Ein klares Nein“, entgegnete die. Denn die AfD gehört ja gar nicht zur EKR, sondern zur Rechts-außen-Fraktion Identität und Demokratie. Das war den meisten auf dem Podium wohlvertraut aus ihrer täglichen Arbeit in Brüssel, nur Strack-Zimmermann augenscheinlich nicht.
Von der Leyen pariert souverän
Wie der Schlagabtausch zur EKR verlief der gesamte Abend: Von der Leyen stand als Vertreterin der stärksten Partei nicht nur im Zentrum des Podiums, sondern auch der Angriffe. Das folgte einer gewissen Logik: Sie war die einzige auf dem Podium, die realistische Chancen hat, Kommissionspräsidentin zu werden. Die sind nach der Debatte keineswegs geringer geworden, denn von der Leyen verstand es, die meisten Angriffe souverän zu parieren.
Ihren Green Deal verteidigte sie so, dass der Grüne Eickhout kaum Angriffspunkte fand – als abgewogenen Interessenausgleich und Wettbewerbsvorteil für die EU. Bei Sicherheit und Verteidigung konnte sie mit ihrer klaren Haltung zur Ukraine punkten, die sie seit Kriegsbeginn schon siebenmal besucht hat. Der Kandidat der Linken Walter Baier versuchte es deshalb mit einem anderen Krieg. „Wann wird die EU Israel Sanktionen auferlegen, um den Krieg in Gaza zu beenden?“, fragte der österreichische Kommunist. Sollte Netanjahu Rafah erobern, wäre das „völlig inakzeptabel“, antwortete von der Leyen. Man werde sich dann mit den Mitgliedstaaten hinsetzen und „Maßnahmen ergreifen“.
Bei anderen Themen ging von der Leyen zum Gegenangriff über. Den Linken Baier, der Kiew zu Verhandlungen mit Moskau nötigen wollte, wies sie zurecht: „Wenn Sie den Krieg beenden wollen, muss Putin nur aufhören zu kämpfen.“ Den Vertreter der Rechts-außen-Partei Identität und Demokratie Anders Vistisen, griff sie wegen der Einflussnahme Chinas und Russlands auf Abgeordnete an. Aus dem AfD-Programm hallten die Lügen des Kremls heraus, sagte sie. „Räumen Sie bei sich auf, bevor sie uns kritisieren!“ Vistisen, ein dänischer Rechtspopulist, versuchte gar nicht erst, die deutschen Kollegen zu verteidigen. Er machte an diesem Abend keine schlechte Figur, legte aber auch ein Grundproblem der Europagegner offen: Auf alle europäischen Herausforderungen antwortete er mit rein dänischen Lösungen.
Debatten der Spitzenkandidaten sollen die gesamteuropäische Dimension der Europawahl ins Zentrum rücken. Das ist in Maastricht gelungen, allerdings in einer Nische. Die Debatte an der Universität wurde auf Youtube übertragen. Das Video hatte am Dienstag gut 20.000 Aufrufe. Die Zuschauer konnten über eine App abstimmen, wen sie als Gewinner sahen. Direkt nach dem Ende lag Bas Eickhout vorne – für ihn war der Auftritt vor einem studentischen Publikum ein Heimspiel. Später wurde er von der Kommissionspräsidentin überholt. Die anderen Kandidaten schnitten so schlecht ab, dass ihre Parteien über die geringe Aufmerksamkeit froh sein konnten.