Dax-Konzern : So will die Bahntechnik ihre Zukunft im Siemens-Konzern sichern
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Die Bahnsparte Mobility investiert massiv in die Digitalisierung. Doch kritische Investoren drängen auf eine Abspaltung. Das hat mehrere Gründe.
Die Siemens-Zugsparte Mobility investiert stark in die Digitalisierung der Wartung. In einem nächsten Schritt steckt Mobility rund 150 Millionen Euro in den Ausbau des Servicedepots in Dortmund. Der Standort soll zu einem weltweiten Leuchtturmprojekt werden. Mit der Fokussierung auf Software, Künstliche Intelligenz und digitale Servicelösungen will die Sparte auch Forderungen nach einer Abtrennung von Siemens begegnen.
Die Züge sollen künftig permanent Daten ans Depot senden. „Wir erkennen mithilfe von Künstlicher Intelligenz: Diese Tür fällt bald aus“, sagte Mobility-Chef Michael Peter dem Handelsblatt. Dann warte man den Zug vorausschauend, bevor die Tür kaputtgehe.
Im Servicedepot seien bereits alle Daten verfügbar und die Werkzeuge bereitgestellt, wenn das Fahrzeug einrolle. Mithilfe der Digitalisierung könne man eine Verfügbarkeit der Züge von bis zu 100 Prozent, eine höhere Taktung auf bestehender Strecke und Technologien wie das automatisierte Fahren ohne Lokführer ermöglichen.
Siemens: Die Sparte mit der niedrigsten Profitabilität
Die Sparte muss zeigen, was sie kann. Denn trotz operativer Fortschritte in den vergangenen Jahren fordern Investoren eine Abspaltung des Geschäfts. Es gibt ein Vorbild: Nach der Trennung von der margenschwachen Energietechnik waren die Margen und der Aktienkurs der Siemens AG deutlich gestiegen.
Das weckt Begehrlichkeiten. „Natürlich wäre ich für eine Abspaltung der Bahntechnik. Es ist die Sparte mit der niedrigsten Profitabilität“, sagte Vera Diehl, Portfoliomanagerin bei Union Investment, dem Handelsblatt. Mobility werde immer die Margen der anderen Sparten verwässern. „Es ist ein anderes Geschäft.“ Auch Fondsmanagerin Sabrina Reeh von der DWS forderte auf der Hauptversammlung eine Abspaltung. Das Zuggeschäft passe nicht zu einem Technologiekonzern.
Peter sieht das anders. „Siemens’ Strategie ist es, Geschäfte zu machen, die von Megatrends gestützt sind und gesellschaftlich relevant sind. Da passen wir voll rein.“ Mobility profitiere im Gegenzug vom frühen Zugang zu Siemens-Technologien.
So könne die Sparte digitale Lösungen wie den digitalen Zwilling, vorausschauende Wartung und 3D-Druck in die Bahntechnik-Branche bringen, die Siemens in der Industrie bereits etabliert habe. „Wir waren immer die Ersten in der Branche, die neue Technologien eingeführt haben.“ Mit rund 400 Millionen Euro für Forschung und Entwicklung im Jahr liege man in der Branche mit an der Spitze.
Doch bleibt das Problem der niedrigeren Margen. Zwar konnte Mobility seine Profitabilität in den vergangenen Jahren unter der Betreuung von Roland Busch – erst als Vorstand, dann als CEO – kontinuierlich verbessern. Der Abstand zu den übrigen Geschäften ist aber groß, auch weil diese einen höheren Digitalanteil haben.
So kam Mobility im ersten Quartal des laufenden Geschäftsjahres 2023/24 auf eine operative Umsatzrendite von 9,3 Prozent. Zum Vergleich: Die Digitalen Industrien lagen bei knapp 20 Prozent, die Smart Infrastructure bei gut 18 Prozent und die Healthineers bei gut 13 Prozent.
So viel kostet Kunden die Wartung bei Siemens-Mobility
Doch profitiert Mobility wie die anderen Siemens-Bereiche von einem Megatrend. Der Bahntechnikmarkt, da sind sich Experten weitgehend einig, wird mittel- und langfristig weiter wachsen. Viele Länder wie Indien müssen ihr Schienennetz weiter ausbauen und elektrifizieren, auch in den etablierten Märkten gibt es großen Modernisierungsbedarf.
Allein in Deutschland wollen Deutsche Bahn, Bund und Länder in diesem Jahr rund 16,4 Milliarden Euro in die Schieneninfrastruktur investieren. Der Weltmarkt für Bahntechnik dürfte aktuell bei etwa 200 Milliarden Euro liegen.
Mobility könne mithilfe der durchgängigen Digitalisierung und des integrierten Services zusätzliche Aufträge gewinnen, sagte Peter. „Es geht heute stärker als früher um den Gesamtnutzen und die Lebenszykluskosten.“ Bei Zügen mache die Anschaffung ein Drittel der Kosten aus, ein weiteres Drittel die Ausgaben für Energie und den Rest die Wartung. „Wir sind stark bei Aufträgen, die Servicekonzepte mit einschließen.“
Es winken weitere Großaufträge. So steht Siemens kurz vor dem Zuschlag für die erste echte Hochgeschwindigkeitsstrecke in den USA. Konkret geht es um die Lieferung von zehn Zügen, die Las Vegas und Südkalifornien mit mehr als 350 Stundenkilometern verbinden sollen. Mobility wurde als bevorzugter Bieter ausgewählt.
„Wir fühlen uns ein wenig wie amerikanische Pioniere“, sagte Peter. Die USA würden bislang keine echten Hochgeschwindigkeitszüge kennen. Mobility läute jetzt eine neue Ära ein.
Mit den Großaufträgen – die Profitabilität einzelner Bestellungen ist zum Leidwesen von Analysten meist nur schwer zu beurteilen – kann die Bahntechnik das Geschäft des Gesamtkonzerns in zyklischen Abschwüngen stabilisieren, weil sie einen großen Auftragsbestand hat, der über die Jahre abgearbeitet werden kann. Der Auftragseingang verdoppelte sich im ersten Quartal nahezu auf 5,6 Milliarden Euro.
„Je mehr noch rausgeht, desto besser“
Portfoliomanagerin Diehl mag das aber nicht gelten lassen. Sie sehe nur wenig Synergien mit den übrigen Siemens-Geschäften. Quersubventionierung in einem Mischkonzern werde immer zu einem Abschlag an den Kapitalmärkten führen. „Je mehr noch rausgeht, desto besser.“
Nur bei einer klaren Fokussierung des Portfolios bekämen die Investoren „saubere Zahlen“. General Electric sei da derzeit konsequenter. Die Amerikaner hatten zuletzt ihre Energiesparte komplett abgetrennt, im vergangenen Jahr ging die Medizintechnik an die Börse.
Siemens aber wird nach Einschätzung in Aufsichtsratskreisen an Mobility festhalten. Die Sparte habe viele Fortschritte gemacht und sei ein sehr gutes Beispiel, wie der Konzern die reale und die digitale Welt verbinden könne, sagte ein Aufsichtsrat dem Handelsblatt. Die Umsätze mit Signaltechnik und Software wüchsen, und mit Entwicklung zum Beispiel des Stellwerks in der Cloud sei man technologisch weit vorn mit dabei.
Mobility wolle weiterhin stark in Software investieren, betonte CEO Peter. Ziel sei es, offene Datenschnittstellen zu schaffen und so für die Bahnbetreiber und die Kunden durchgängige Lösungen zum Beispiel für die Buchung und Vergabe von Plätzen im Zug zu ermöglichen.
„Wir wollen vorhandene Daten viel besser nutzbar machen und somit neue Funktionalitäten mit großem Mehrwert für alle bieten. Dabei seien auch zielgenaue Akquisitionen möglich.
Im Aufsichtsrat gibt es vor allem auf Arbeitnehmerseite den Wunsch, die Bahntechnik, die weiter von Busch betreut wird, auch im Vorstand mit einem eigenen Ressort zu verankern. So könne ihre Zugehörigkeit zum Konzern noch deutlicher gezeigt werden.
Doch auch in der jetzigen Aufstellung glauben maßgebliche Siemens-Manager nicht, dass sich der Konzern in den nächsten Jahren von dem Geschäft trennen wird. Buschs Herz hänge an dem Geschäft, er persönlich habe es mit auf die Spur gebracht.
Erstpublikation: 07.05.2024, 10:50 Uhr.