Das Mullah-Regime verschärft den Kopftuchzwang
Nicht alle Frauen mit Kopftuch: Straßenszene in Teheran vor einem Juweliergeschäft
Als die iranische Polizei im vergangenen Monat ankündigte, dass Frauen ohne Kopftuch vom 13. April an mit harten Strafen rechnen müssten, erklärten viele das zunächst mit dem bevorstehenden Sommer. Je wärmer es werde, desto mehr Frauen würden mit kurzen Röcken und T-Shirts auf die Straße gehen. Das wolle die Regierung durch eine Einschüchterungskampagne verhindern, so die Vermutung.
Am 13. April geschah dann aber noch etwas anderes: Iran griff zum ersten Mal in seiner Geschichte Israel direkt an. Fast gleichzeitig mit dem Abschuss der ersten Drohnen auf den Erzfeind verstärkte die Polizei in Teheran ihre Präsenz auf den Straßen. Während international über mögliche Folgen des Angriffs auf Israel debattiert wurde, kursierten in den iranischen sozialen Netzwerken Videos von Festnahmen junger Frauen durch die Sittenpolizei. Es war der Beginn einer neuen Kampagne, die bis heute anhält. Der Sicherheitsrat hat sie „Projekt Licht“ getauft.
Laut dem Büro des UN-Hochkommissars für Menschenrechte gab es „umfangreiche Festnahmen und Belästigungen von Frauen und Mädchen – viele von ihnen zwischen 15 und 17 Jahre alt“. An dem „brutalen Vorgehen“ seien Uniformierte und Polizisten in Zivil beteiligt. Auch Überwachungskameras würden eingesetzt. Zudem seien Hunderte Geschäfte und Unternehmen geschlossen worden, weil sie Frauen ohne Kopftuch bedient oder beschäftigt haben sollen. In den Monaten zuvor hatte sich die Sittenpolizei aus Sorge vor wütenden Reaktionen der Bevölkerung weitgehend zurückgehalten.
Prahlerei mit militärischen Erfolgen
Womöglich ist es kein Zufall, dass der Strategiewechsel just in dem Moment erfolgte, in dem die Gefahr einer militärischen Eskalation zwischen Israel und Iran am größten war. „Es gibt definitiv einen Zusammenhang“, sagt Ali Fathollah-Nejad, der Direktor des Center for Middle East and Global Order in Berlin. „Die iranische Führung geht davon aus, dass die Aufmerksamkeit des Westens auf die zugespitzte Lage zwischen Iran und Israel ausgerichtet ist. Vor diesem Hintergrund versucht man, im Innern die Kontrolle über die Gesellschaft zu festigen, weil man kaum Kritik und Kosten seitens der westlichen Staaten fürchten muss.“
Sowohl gegenüber Israel als auch im Innern scheine die „Doktrin der strategischen Geduld“ vorerst aufgegeben worden zu sein. „Wir haben es mit einer Art Hybris zu tun“, sagt der Politikwissenschaftler. Das selbstbewusstere Vorgehen gegen Widerstände in der Bevölkerung gehe einher mit der Prahlerei über vermeintliche Erfolge im Konflikt mit Israel.
Eingeläutet wurde der Strategiewechsel vom Obersten Führer Ali Khamenei. In einer Rede über die Hidschab-Pflicht rief er Justiz und Polizei auf, ihrer „Verantwortung gerecht zu werden“. Das war am 3. April. Zwei Tage vorher war bei einem israelischen Luftschlag auf ein iranisches Konsulargebäude in Damaskus ein ranghoher Offizier der Revolutionsgarde getötet worden. Kurz darauf kündigte die Polizei das „Projekt Licht“ an. Polizeichef Ahmad-Reza Radan bezeichnete Frauen ohne Kopftuch als „Soldaten ohne Verpflegung“ im Lager des Feindes. Der Chef der Revolutionsgarde für Teheran, Hassan Hassanzadeh, gab die Schaffung einer neuen Einheit bekannt, die eigens ausgebildet worden sei, um die Kopftuchpflicht durchzusetzen.
„Das Blut in unseren Adern ist ein Geschenk an unseren Führer“
Ein hoher Beamter des Innenministeriums sagte, die bisherige Zurückhaltung der Sittenpolizei sei ein Fehler gewesen, weil er den Eindruck genährt habe, dass Regelverstöße geduldet würden. Bisher war Irans Führung davor zurückgeschreckt, nach den Massenprotesten von 2022 wieder die direkte Konfrontation mit der Jugend zu suchen. Ein vor einem Jahr eingebrachtes Hidschab-Gesetz ist noch immer nicht in Kraft. Es wird vom Wächterrat blockiert. Doch nach UN-Angaben deutet sich an, dass das Gesetz bald verabschiedet werden könnte.
Frauen in Teheran berichten am Telefon von einer neuen Atmosphäre der Angst. Eine Sprachwissenschaftlerin, die aus Sicherheitsgründen nicht namentlich genannt werden will, erzählt von einer Freundin, die von der Sittenpolizei gezwungen wurde, immer wieder den Satz „Das Blut in unseren Adern ist ein Geschenk an unseren Führer“ zu wiederholen. Mit solchen Maßnahmen erreiche die Regierung aber nur, dass sich auch noch die Religiösen in der Gesellschaft gegen sie wendeten, glaubt die Frau.
Eine Buchhalterin erzählt von einem Einkaufszentrum, in dem bis vor Kurzem die allermeisten Kundinnen ohne Kopftuch eingekauft hätten. Bei ihrem jüngsten Besuch seien jedoch so viele Polizisten dort gewesen, dass sie sich nicht hineingetraut habe. Auch Cafés und Restaurants könne man neuerdings nur noch verschleiert betreten. Für sie bedeute das, dass sie zu Hause bleibe. Es bestehe die Gefahr, dass die Frauen die zuletzt hart erkämpften Freiheiten wieder verlieren könnten.
Es gebe aber auch Gegenwehr, wie zuletzt in einer U-Bahn-Station, wo wütende Passanten die Polizei zwangen, ergriffene Frauen wieder freizulassen. Die Wut nehme wieder zu. Genährt von dem Todesurteil gegen den Rapper Toomaj Salehi und dem BBC-Bericht über die Todesumstände der 16 Jahre alten Nika Shakarami, die während der Proteste von 2022 tot aufgefunden wurde.
Ein internes Dokument soll belegen, dass sie von Sicherheitskräften sexuell missbraucht und zur Vertuschung der Tat ermordet wurde. Es reiche ein Funke, wie eine Erhöhung der Benzinpreise, um neue Proteste auszulösen, sagt die Buchhalterin. Ihre Angst vor einem Krieg mit Israel scheint dagegen gering. Manche in ihrem Freundeskreis würden einen Krieg geradezu herbeisehnen, sagt sie, „um die Regierung loszuwerden“.