Das evolutionäre Erfolgsmodell der Biolumineszenz und ihren Ursprung im Meer
Mehr als Meeresglühen: eine tropische Steinkoralle
Allmählich nähern wir uns der Jahreszeit der unstrittig populärsten Lichtwesen: Glühwürmchen lieben laue Sommernächte, ihr Flug ist Dating mit Licht, ein nützliches und überaus erfolgreiches Liebesspiel der Käfer, das uns ahnen lässt, wie kreativ, ja fast selbstverliebt, die Natur in ihrem Bestreben schon immer war, die nach Charles Darwin „Vervollkommnung eines jeden Geschöpfes“ und damit die Maximierung der Fitness im Lichte der jeweiligen Lebensumstände zu erreichen.
Dass das Schauspiel leuchtender Lebewesen nützlich und zugleich schön ist, spielte allerdings weder für Darwin noch die ihm folgenden Evolutionsbiologen eine entscheidende Rolle. Viel wichtiger ist es für sie zu erfahren, wie und wann es dazu kam, dass die von den Organismen genutzte und oft als „kaltes Leuchten“ titulierte Lichterzeugung durch biologische Prozesse überhaupt entstanden ist. Was mag die Erfindung der Biolumineszenz ausgelöst und vor allem entlang des Stammbaums des Lebens angetrieben haben? Wie hat es begonnen, dieses Schauspiel, das in unglaublich vielen Variationen den Erdball erobert hat? Nur mit der Klärung dieses Anfangs lässt sich zufriedenstellend klären, inwieweit die Nützlichkeitstheorie Darwins auch in diesem Falle – der biologischen Umwandlung von chemischer Energie in Lichtenergie – widerspruchsfrei gültig ist.
Die Weichkoralle Isidella repräsentiert jetzt die evolutionäre Basis der Leuchtwesen.
Bis vor Kurzem war die Suche nach den Wurzeln der Biolumineszenz wissenschaftlich zurückverfolgt worden bis zu den Vorläufern winziger, in Schalen vegetierender Krustentiere, sogenannter Ostrakoden. Sie bewohnen heute noch die Meere in rauen Mengen. Japanische Marinesoldaten sollen im Zweiten Weltkrieg das dämmrige blaue Leuchten der Blue Sands vom Meeresboden geerntet haben, um damit in stockdunkler Nacht noch ihre Karten lesen und dennoch nicht vom Feind geortet werden zu können. Mithilfe von Stammbaumanalysen und basierend auf genetischen Daten solcher millimeterkleiner Muschelkrebse, war der Ursprung der Biolumineszenz auf ein Alter von 267 Millionen Jahren taxiert worden.
Kolonien aus weichen Strukturen
Die Feuerqualle besitzt wie viele Nesseltiere Leuchtfähigkeiten.
Am National Museum of Natural History in Washington sind nun Evolutionsbiologen der Smithsonian Institution mit ihren Studien an einer gänzlich anderen Tiergruppe zu einem noch sehr viel früheren Beginn des biologischen Leuchtens gekommen: Vor nicht weniger als 542 Millionen Jahren – und damit doppelt so alt wie bisher berechnet – soll das biologische Prinzip der Lichtproduktion begonnen haben. Womöglich gab es Organismen, die sogar noch viel früher in der Lage waren, aus einem chemischen Substrat mithilfe eines biologischen Enzyms, das der heutigen Luciferase nicht unähnlich war, Licht zu erzeugen. Doch das ist Spekulation.
Die neuen Rekordhalter sind als frühe Octocorallia bekannt: Vertreter der als „Blumentiere“ bekannten Anthozoa, zu denen auch die in tropischen Küstengewässern verbreiteten farbenprächtigen Steinkorallen zählen. Im Unterschied allerdings zu diesen symbiotisch lebenden Hartkorallen, die ein festes Kalkskelett bilden und deren einzelne Medusen mit sechs „Armen“ ausgestattet sind, bilden die vereinfachend als „Weichkorallen“ zusammengefassten achtarmigen Octocorallia keine Riffe. Vielmehr bilden sie am Meeresboden bis in große Tiefen hinab Kolonien aus weichen Strukturen, die allenfalls mit einzelnen Skelettelementen im Körperinneren zum Schutz vor dem enormen Wasserdruck ausgebildet werden.
Mehr als Meeresglühen: die in europäischen Gewässern heimische Gemeine Zwergsepia
Auch die faszinierenden Seenadeln und Seefedern sind zu den dreieinhalbtausend Angehörigen der Octocorallia zu zählen. Der größte Teil dieser Meeresbewohner kann leuchten. Doch anders als die Glühwürmchen, die ihre oft rhythmisch aufleuchtenden Hinterleiber auf der Suche nach paarungswilligen Artgenossen nutzen, leuchten die Weichkorallen nicht ohne Weiteres. Viele von ihnen mussten während der wissenschaftlichen Arbeit der Biologen erst buchstäblich angestoßen werden, ehe sie ihren biologischen Leuchtapparat in Gang setzten.
Von vielen Arten ist tatsächlich nicht einmal bekannt, ob sie im Meer tatsächlich leuchten – und zu welchem Zweck. Auch in dieser Hinsicht unterscheiden sich die heutigen Nachkommen dieser Ur-Leuchtwesen von den Glühwürmchen, deren reproduktives Schicksal mit der Biolumineszenz eng verknüpft ist. Und dennoch sind sich die Smithsonian-Forscher sicher, dass mit den Octocorallia die bislang besten Kandidaten für die Suche nach dem Ursprung gefunden wurden. An Kandidaten fehlt es nicht. Mindestens vierundneunzigmal soll die Biolumineszenz unabhängig voneinander entstanden sein. Einige Quellen sprechen inzwischen sogar von einer mehr als hundertfachen Erfindung. Das Leuchten hat sich also bewährt.
Ozeane von Leuchtwesen bevölkert
Nicht immer ist das Licht die Quelle einer gelingenden Partnerschaft wie bei den Glühwürmchen. Manchen der Abertausende inzwischen damit ausgestatteter Arten dient es der Kommunikation in Kolonien, es alarmiert die Artgenossen, einige nutzen es als Suchlicht im Dunkeln, andere als Tarnung im Lichtermeer, und wiederum andere wie der berühmte Anglerfisch in der Tiefsee nutzen die strahlende Punktquelle, um damit Beute zu fangen. Überhaupt das Meer: Kein Lebensraum ist so stark mit den Leuchtwesen bevölkert wie die Ozeane. Und hier sind es aus naheliegenden Gründen vor allem die Schichten unterhalb von zweihundert Meter Tiefe, wo kaum noch ein Lichtquant den Lebensraum erreicht, die das biologisch animierte Leuchten für viele Arten zu einer Überlebensfrage macht.
Das Meer ist auch noch aus einem anderen Grund die ideale Basis für die Entwicklungslinie der Biolumineszenz. Denn auch unter der marinen Schwestertiergruppe der Nesseltiere innerhalb der ersten mehrzelligen Wesen, den Ctenophoren oder Rippenquallen, war das Leuchten wohl früh verbreitet. Biolumineszenz war sozusagen ein frühes Erfolgsmodell. Zum Beginn des Kambriums, mit der „Explosion“ der Lebensformen vor ebenjenen rund 540 Millionen Jahren, in denen die US-Biologen aufgrund ihrer statistischen Stammbaumanalysen den Ursprung der Biolumineszenz der Weichkorallen errechneten, reicherte sich das Meer wegen der Photosyntheseaktivität der Pflanzen bereits mit Sauerstoff an. Sauerstoff war, bis sich Mechanismen der chemischen Bändigung entwickelten, für viele Lebensformen ein toxisches Material, weil sehr reaktiv. Gemäß einer seit geraumer Zeit populären Theorie war das biologische Leuchten mithilfe von Biomolekülen quasi ein Nebenprodukt der chemischen Reaktionen, die unter Verbrauch von Sauerstoff stattfanden und damit eine Art Sauerstoff-Entgiftungsstrategie waren, die als „Abfallprodukt“ die Ausstrahlung von Licht zur Folge hatte.
Gleich also, zu was die biologische Lichtmaschinerie später Verwendung fand, ob als Kommunikationsmittel oder als Tiefsee-Scheinwerfer, der konkrete Nutzen war anfangs möglicherweise ein ganz basaler, der über dem Optimieren und einer gesteigerten Fitness im Wechsel der Umweltbedingungen stand: Es ermöglichte schlicht das Überleben. Auch deshalb vermuten die US-Forscher einen möglicherweise noch früheren Ursprung der Biolumineszenz. Die andere wichtige Voraussetzung freilich, damit sich die Bioproduktion des Lichts erfolgreich etablieren konnte, waren Lebewesen, die über Lichtsinnesorgane und optische Apparate – später komplexe Augen – verfügten. Auch sie erlebten beim Übergang von den weichen wurmartigen Kreaturen zu hartschaligeren Organismen in der kambrischen Explosion ihre erste Blüte. Die biologische Lichtquelle war da wohl schon aktiv. Die Nutzer folgten, und zwar bald schon in großen Massen.