Das Bauhaus, das Hitler mochte
Das Cover der Zeitschrift. „Die neue Linie“ aus dem Jahr 1930 gestaltete László Moholy-Nagy.
Es regnete den ganzen Tag in Weimar. An den Laternen hingen aufgeweichte Wahlplakate der AfD und des CDU-Kandidaten Andreas Hochhaus, ein paar Besucher standen vor dem Hotel „Russischer Hof“ und fragten sich, ob die Ornamente über dem Eingang nicht doch sehr an Hakenkreuze erinnerten. Ein mit Fertighauswerbung beklebter Bus fuhr vorbei, „Town and Country Haus, hier zieh ich ein“ stand auf dem Heck. Das Bauhaus und seine Träume schienen weit weg zu sein an diesem Tag, nur ein nasses Banner erinnerte an die 1919 in Weimar gegründete Kunstschule, das Wort Bauhaus stand darauf, doch „-haus“ war in Fraktur geschrieben, als habe das Bauhaus in Wirklichkeit aus zwei sehr widersprüchlichen Teilen bestanden.
Divers und interdisziplinär
Feldpost, Titel der Zeitschrift die neue Linie, Mai 1941.
Genau das ist die These eines Ausstellungsprojekts, das in Weimar die Geschichte des Bauhauses gründlich neu beleuchten will. Nun kann man die Geschichte nach Vorbildern absuchen oder nach Wahrheiten. Als vor fünf Jahren der hundertste Jahrestag der Gründung des Bauhauses in Weimar gefeiert wurde, ging es vor allem darum, die Kunstschule als Vorbild zu verkaufen, als einen Teil der deutschen Geschichte, auf den man stolz sein kann. Das Bauhaus sei experimentell, vielgestaltig, transnational, radikal zeitgemäß, divers und interdisziplinär gewesen, hieß es damals im Pressetext.
Eröffnet 1919 im Moment des Neuanfangs der Weimarer Republik, schien es für ein modernes, freieres und weltoffenes Deutschland zu sehen, bevor die Nationalsozialisten, die das Bauhaus zum großen Teil tatsächlich hassten und ihren Wählern auf Plakaten den Abriss versprachen, es 1933 dichtmachten. Um die Kunstschule als nationale Identitätsstiftungsmaschine mit Vorbildcharakter für heute zu verkaufen, musste man allerdings im Umkehrschluss alles, was dort vor 1933 stattfand, zum Ausdruck einer progressiven sozialen und ästhetischen Befreiungsbewegung zurechtzubiegen versuchen.
Ja: Das Bauhaus, an dem Marcel Breuer seinen „Freischwinger“ baute und Marianne Brandts ihre kühl-eleganten Objekte entwarf, war ein Ort, an dem wegweisende Formen und neue Methoden der Lehre und des Zusammenlebens entstanden; und es stimmt auch, dass sich das Bauhaus politisch gegen Angriffe deutschnationaler Ideologen wie zum Beispiel Emil Herfurths wehren musste, die Gropius nicht sympathischer fanden, als er sie als „Kunstmumien“ verspottete.
Aber dass das Bauhaus ein Ort war, an dem eine sozial wie ästhetisch helle Moderne gegen dunkle Kräfte verteidigt wurde, ist nur die halbe Wahrheit. Das Bauhaus der ersten Jahre war selbst eine eher romantisch-esoterische, in der Fetischisierung des Handwerklichen und Selbstgenähten oft sogar dezidiert antimoderne Bewegung. Gropius hielt 1919 Stahl und Glas noch für einen Irrweg und setzte auf Holzbau. Erst Jahre später schwenkte das Bauhaus auf die „Einheit von Kunst und Technik“ um, und Hannes Meyer, bis 1930 Bauhaus-Direktor und glühender Sozialist, interessierte sich dann überhaupt nicht mehr für das, was die Esoteriker im Gründungsteam den „Gottesfunken der Kunst“ genannt hatten; stattdessen ging es nun um „Volkswohnungen“ und „Volksmöbel“.
Der Bauhausschüler Fritz Ertl wurde später SS-Mitglied und entwarf ab 1940 die Baracken des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau.
Wenig später kaperten die Nationalsozialisten Meyers sozialistische Rhetorik: Der Name „Volkswagen“ war im Kern auch ein Bauhaus-Begriff. Meyer war da längst zum Rücktritt gezwungen worden, und auch sein Nachfolger Mies van der Rohe, der sich um gute Kontakte zum NS-Regime bemühte, hatte 1933 der Schließung der Schule zustimmen müssen.
Doch das Ende des Bauhauses war nicht das Ende seiner Schüler. Wie verhielten sich die Künstler an diesem Umschlagpunkt? Was taten sie 1933, was passierte ihnen danach? Und was hatten sie schon vor 1933 dafür oder dagegen getan, dass es so weit kommen konnte? Diesen Fragen wurde bei den offiziellen Bauhaus-Feierlichkeiten 2019 kaum nachgegangen – vielleicht auch, weil die Antworten das Bild einer homogen progressiven Schule zerstört hätten. Deswegen ist es mutig, dass die Klassik-Stiftung Weimar nun in einer dreiteiligen Ausstellung zum Thema „Bauhaus und Nationalsozialismus“ erstmals „die äußerst unterschiedlichen Lebenswege der Bauhäusler“ im Detail nachvollzieht. Im Museum Neues Weimar passiert das unter dem Titel „Politische Kämpfe um das Bauhaus 1919−1933“. Dort empfängt einen eine „kosmische Komposition“ von Karl Peter Röhl, einem Bauhaus-Schüler, der später in die NSdAP eintrat, und schon im ersten Raum ist deutlich zu erkennen, wie stilistisch heterogen die Schule, in der kubistische Kunst auf Nibelungen-Illustrationen von Hans Groß trifft, schon von Beginn an war.
Beeindruckende Fundstücke beweisen, in welchem Maß die Schule durchgehend ein ideologisches Schlachtfeld war: Ein Foto von Etel Mittag-Fodor zeigt, wie dreißig mit einem Revolver bewaffnete Bauhaus-Studenten Wache vor dem Haus eines Gewerkschafters halten, der von Nationalsozialisten bedroht wird. Doch die Feinde kommen nicht nur von außen: Eine Koje erzählt vom Schicksal der Leiterin der Webereiwerkstatt, Gunta Stölzl, die Ende der Zwanzigerjahre den jüdischen Bauhaus-Schüler Arieh Sharon heiratete und kurz danach von Kollegen mit antisemitischen Schmierereien und Intrigen aus der Schule gemobbt wird.
Rassismus nur in einem Nebensatz
So ganz trauen sich die Kuratoren dann aber doch nicht, Ernst zu machen mit ihrem Denkmalsturz im eigenen Haus und offenzulegen, in welchem Maß völkische und rassistische Ideologie auch schon vor 1933 im Bauhaus präsent war. Was war mit Johannes Itten, den Gropius als „Formmeister“ ans Bauhaus holte? Eine fundierte Ausstellung in Bern präsentierte ihn 2019 als rassistischen Esoteriker, der in selbstentworfenen Mönchskutten herumlief, von einem spirituell gereinigten arischen Supermenschen träumte, eine Atemtechnik zur „Evolution der weißen arischen Rasse“ entwickelt habe und der nach seiner Bauhauszeit als Anhänger der Mazdaznan-Gemeinschaft Karriere machte, einer Gruppe von vegetarischen Sonnenanbetern, die eine Herrenrasse ohne Schwarze herbeisehnte.
In der aktuellen Weimarer Ausstellung fällt kein kritisches Wort zu der unbestreitbar rassistischen Sekte, der er angehörte, sein Rassismus wird kleinlaut nur in einem Nebensatz erwähnt. Warum? Zu mehr, sagen die Kuratoren da, habe die Zeit gefehlt, und man habe dieses „Fass auch nicht aufmachen wollen“. Doch für das Thema der Ausstellung wäre die Öffnung dieses Fass nicht so unwichtig gewesen, schon um zu klären, ob und wie Ittens „Haus des weißen Mannes“ und der ganze Kult des Weißen am Bauhaus mit wenig begrüßenswerten Hygiene- und Reinigungsphantasien zusammenhängen könnte.
Das Bauhaus Museum widmet sich währenddessen der Geschichte der Kunstwerke aus den Weimarer Sammlungen bis zur Beschlagnahme „entarteter Kunst“ 1937, und im Schiller-Museum ist der Hauptteil des Ausstellungsprojekts zu sehen. Hier werden die unterschiedlichen „Lebenswege in der Diktatur 1933−1945“ nachvollzogen. Viele Bauhaus-Mitarbeiter flohen ins Exil, mehr als zwanzig wurden in Gefängnissen oder Konzentrationslagern umgebracht, darunter die Textilkünstlerin Otti Berger. Aber die Mehrheit der 1250 Absolventen blieb in Deutschland, 188 traten in die NSDAP ein, 29 sogar in SA und SS. Sie passten sich dem neuen System an und entwarfen mit der gleichen messianischen Rhetorik Objekte „für eine neue Gesellschaft“.
Maler der Nazi-Stars
Ihre Geschichte wurde nach 1945 nicht erzählt. Die Werbegrafikerin Irmgard Sörensen-Popitz stieg zur ersten Art Direktorin des Dritten Reichs auf und gestaltete auch nach 1933 im bestem Bauhaus-Minimalismus die Zeitschrift „Die neue Linie“, der Maler Heinrich Basedow war schon seit 1930 SA-Mitglied und sehr enttäuscht, als seine „Möwe mit Kutter“ nicht auf der ersten Großen Deutschen Kunstausstellung gezeigt wurde. Unklar ist, ob Ima Breusings rätselhaft surreales Bild „Kanonen am Kanal“ Kritik oder Feier der NS-Aufrüstung war. Wilhelm Imkamp, Schüler von Paul Klee, gab seine abstrakte Malerei öffentlich auf und porträtierte fortan im realistischen Stil NS-Stars. Adolf Hitler persönlich erstand Imkamps Porträt der Pianistin Elly Ney. Der 1908 geborene österreichische Bauhaus-Schüler Fritz Ertl, der in Dessau Fragen der effizienten Unterbringung der Massen studiert hatte, wurde ebenfalls SS-Mitglied und gehörte ab 1940 der „Neubauleitung Auschwitz“ an, wo er die Baracken der Konzentrationslager plante, in denen seine Kommilitonin Otti Berger 1944 ermordet wird. So endete der Bauhaus-Traum von der effizienten Massenunterbringung in Bauten für die Massenvernichtung.
Die dreiteilige Ausstellung ist insofern mutig, als sie eine Illusion demontiert, mit der in Weimar bisher Werbung gemacht wurde. Das Bauhaus war keine Insel einer auch heute noch vorbildlichen progressiven Lebensidee, sondern von Anfang an zerrissen zwischen verschiedensten Strömungen. Es war emanzipatorisch und rassistisch. Es war eine Kommune, in der man mit sexuellen Identitäten und neuen Lebensformen experimentieren durfte – aber auch ein Ort, an dem Frauen am Ende doch schnell in die Abteilungen für Textilien und Töpferei wegsortiert wurden. Man kann an seiner Geschichte, wenn man sie nicht, wie bisher, auf eine mitteldeutsche Heilsgeschichte hochdiverser, auf leichten Stahlrohrstühlen einherreitender Progressisten zurechtsägt, erkennen, wie eng Emanzipation und Unterdrückung, Technikglaube und Esoterik, der Traum vom „neuen Menschen“ und die Vernichtung aller anderen, Reform und Rassenhass, die Befreiung des Körpers und seine Unterjochung in modernen Sekten, zusammenhängen – und wie schnell das eine ins andere umschlägt: Auch darin war das Bauhaus ein sehr moderner und ein sehr deutscher Ort.
Bauhaus und Nationalsozialismus, Weimar, verschiedene Museen, bis 15. September. Der Katalog kostet 49,90 Euro.