„Viele trauen sich gar nicht mehr raus“: Mitarbeiter packt mit schweren Vorwürfen gegen die KVB aus

„viele trauen sich gar nicht mehr raus“: mitarbeiter packt mit schweren vorwürfen gegen die kvb aus

Ein Mitarbeiter der KVB hat gegenüber EXPRESS.de über die Arbeitsdeigungen gesprochen und teils harsche Vorwürfe gegen seinen Arbeitgeber erhoben. Das Symbolfoto wurde am 12. Februar 2019 an der Haltestelle Zülpicher Platz aufgenommen.

Eine obdachlose, sichtlich von Drogen berauschte Frau kommt mit einer abgebrochenen Bierflasche auf Markus L. (Name geändert) zugestürmt. Sie stoppt ihren Angriff erst im letzten Moment, das scharfe Glas befindet sich wenige Millimeter vom Hals von Markus entfernt.

Es ist eine lebensgefährliche Situation gewesen – doch Markus kennt das. Er ist langjähriger Mitarbeiter des Service-Teams der Kölner Verkehrs-Betriebe (KVB).

Er ist unter anderem mit seinen Kolleginnen und Kollegen als Sicherheitsmann in den Stadtbahnlinien unterwegs. Doch sein Aufgabenfeld erstreckt sich mittlerweile weit über seine eigentliche Jobbeschreibung hinaus.

Gegenüber EXPRESS.de packt der KVB-Mitarbeiter nun exklusiv aus. Er spricht von lebensbedrohlichen Situationen in einer beunruhigenden Häufigkeit, von der fehlenden Rückendeckung seitens der KVB und der Polizei – und von seinen (ungelernten) Kolleginnen und Kollegen, die sich häufig gar nicht mehr aus dem Haus trauen.

KVB-Mitarbeiter packt aus: „Die stellen jede und jeden an“

Es sind teils haarsträubende Vorwürfe, die der langjährige KVB-Mitarbeiter gegenüber seinem Arbeitgeber erhebt. Ihm ist es wichtig, anonym zu bleiben, um weiterhin für seine Familie sorgen zu können. Doch mindestens ebenso wichtig ist es Markus L., auf die großen Probleme innerhalb des Service-Bereiches der KVB aufmerksam zu machen.

L. ist gelernter Sicherheitsfachmann, arbeitete vor seinem Engagement bereits lange in dieser Branche. „Für die KVB entschied ich mich dann irgendwann, weil ich es mir deutlich ruhiger vorgestellt habe. In den Bahnen aufpassen und für die Sicherheit der Fahrgäste sorgen – das klingt doch ganz gut. Dazu im öffentlichen Dienst angestellt sein und eine regelmäßige Bezahlung bekommen, auch eine gute Sache. Das ist in der Sicherheitsbranche nämlich auch nicht immer so.“

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Die Vorzeichen standen also gut, doch Markus L. habe schnell bemerkt, dass der Job bei der KVB alles andere als ruhig ist: „Ein Bruchteil der Sicherheitsleute bei der KVB kommen aus diesem Berufsfeld. Das sind ehemalige Friseurinnen, Arzthelferinnen oder Langzeitarbeitslose. Wenige meiner Kolleginnen und Kollegen haben Erfahrung in dem Bereich. Die stellen jede und jeden an und sind froh, dass es überhaupt jemand macht.“

EXPRESS.de hat die KVB mit den Vorwürfen ihres Mitarbeiters konfrontiert – zum Thema der Einstellungskriterien sagt eine Sprecherin: „Aufgrund der stetig steigenden Herausforderungen, die durch das Personal im Bereich Fahrausweisprüfung, Fahrgastsicherheit und Service zu bewältigen sind, führt die KVB ein internes Projekt durch, das die Qualifikation der Mitarbeitenden den neuen Entwicklungen und Anforderungen anpasst. Zurzeit können sich auch branchenfremde Personen bei der KVB im Bereich Fahrausweisprüfung, Fahrgastsicherheit und Service bewerben. Bei Einstellung durchlaufen diese dann eine interne Qualifikation.“

Der Krankheitsstand liege teilweise bei 60 Prozent, sagt Markus L., viele seiner Kolleginnen und Kollegen seien verängstigt: „Bei dem, was wir mittlerweile alles machen müssen, trauen sich viele gar nicht mehr raus. Auf Rundgänge wird verzichtet oder man sagt sich: ‚Komm, wir lassen den Junkie sich erstmal die Spritze setzen und laufen weiter.‘ Und auf der anderen Seite sprechen uns dann die Fahrgäste an, warum wir nichts unternehmen.“

Die Sprecherin teilte im Statement mit, dass der KVB bewusst sei, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Serviceteam täglich unter schwierigen Bedingungen arbeiten. Weiter heißt es: „Mitarbeitende können ihre Bedenken und Probleme jederzeit ihren direkten Vorgesetzten melden, die diese Anliegen auswerten und weitere Schritte einleiten. Selbstverständlich wird versucht, schnellstmöglich Abhilfe zu schaffen. Manchmal ist dies jedoch aufgrund widriger Rahmenbedingungen (z.B. Klärung von Finanzierungsfragen zu Personalaufstockung, Lieferengpässen bei Material etc.) nicht adhoc möglich.“

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Markus L. und die anderen Beschäftigten in der Bahnbegleitung seien nicht nur für die Sicherheit innerhalb der Bahnen verantwortlich. Auch auf den Bahnsteigen hätten sie dafür zu sorgen, dass Drogenabhängige und Dealer verjagt werden, Obdachlose aufhören zu betteln oder Rauch- und Alkoholverbote eingehalten werden – bzw. das Hausrecht durchzusetzen. Ein Echo lässt dabei selten auf sich warten.

KVB-Mitarbeiter: „Jeden Tag wird einer von uns angegriffen“

„Man kann schon sagen, dass es pro Woche mindestens einmal zu einer bedrohlichen Situation kommt. Auf alle gesehen hört man jeden Tag von Angriffen auf Kolleginnen und Kollegen. Ich wurde mit benutzten Spritzen beworfen und man tritt regelmäßig in welche hinein, wurde in Schlägereien verwickelt, unvermittelt angegriffen, von den regelmäßigen Pöbeleien mal ganz zu schweigen. Vor allem an Brennpunkten wie dem Neumarkt, dem Ebertplatz oder den Ringen ist es für uns enorm gefährlich. Diese Leute, die auf der Straße leben oder dort ihr Geld verdienen, haben nichts zu verlieren“, sagt Markus L.

„Solche subjektiv wahrgenommenen Situationen können nicht ausgeschlossen werden. Die Mitarbeitenden sind in diesen Fällen angehalten, nach dem Motto ‚Eigenschutz vor Risiko‘ zu handeln, sich der Situation zu entziehen und sofort Unterstützung anzufordern“, heißt es dazu von der KVB. Relevante Vorfälle würden in KVB-internen Sicherheitsbesprechungen besprochen und basierend hierauf werde eine Gefährdungsanalyse erstellt.

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Die zugespitzte Lage an einigen Brennpunkten habe die KVB auf dem Schirm, einige Maßnahmen wie das Kümmerer-Pilotprojekt am Neumarkt oder die 24/7-Bestreifung am Ebertplatz seien schon ergriffen worden. Im vergangenen Jahr seien zwölf Übergriffe auf Mitarbeitende der KVB gemeldet worden, die Dunkelziffer sei vermutlich aber deutlich höher, sagt die Sprecherin.

Die Beschäftigten im mobilen Serviceteam, die in Pkw unterwegs sind, seien oft alleine im Dienst. Markus L. ist mindestens immer mit einer weiteren Kollegin oder einem weiteren Kollegen für die Sicherheit zuständig – manchmal sind es auch Viererteams. „Aber das ist natürlich viel zu wenig, vor allem an Wochenenden. Wenn wir da einer Gruppe von 20 bis 30 Leuten auf den Ringen erzählen, dass sie an gewissen Orten nicht rauchen oder Alkohol konsumieren dürfen, werden wir im besten Falle ausgelacht. Es kann aber natürlich auch wieder zu einer Eskalation kommen und dann steht man da – zu zweit.“

Wenn es zu solch gefährlichen Situationen kommt, könnte man meinen, dass die Beschäftigen Rückendeckung von ihrem Arbeitgeber bekommen. Laut L. ist das nicht der Fall: „Eher wird uns dann der Vorwurf gemacht, nach dem Motto: ‚Wieso habt ihr nicht deeskalierend eingewirkt? Wie konnte es dazu kommen?‘ Man riskiert regelmäßig das eigene Leben und fragt sich immer öfter: wieso und wofür eigentlich?“

Auch polizeilich würden die Hilfegesuche des KVB-Services oftmals stiefmütterlich behandelt: „Wir warten regelmäßig 40 Minuten bis eine Stunde lang auf die Polizei. Vor allem, wenn wir in Linien unterwegs sind, die die Kölner Stadtgrenzen verlassen. Dann wird man gefragt: ‚Was ist denn das Problem?‘ Man fühlt sich fast schlecht, wenn man die Hilfe der Polizei benötigt. Zumindest haben wir in vielen Fällen genau dieses Gefühl.“

Anders sieht das die KVB in ihrem Statement: „Sicherheitsvorfälle werden von den Mitarbeitenden an die Leitstelle gemeldet, die ihrerseits die entsprechende ordnungsbehördliche Hilfe durch das Ordnungsamt, die Polizei, den Rettungsdienst und die Feuerwehr anfordert. Die Mitarbeitenden der jeweiligen Ordnungsbehörde sind in der Regel zeitnah vor Ort, um die Situation zu klären oder aufzulösen.“

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Diese Probleme habe das 300-köpfige KVB-Serviceteam, das neben der Bahnbegleitung (Sicherheit), dem mobilen Service noch aus einer weiteren Abteilung (Fahrkartenkontrolle) besteht, laut Markus L. vor wenigen Wochen auch in einem Brandbrief den Verantwortlichen in der Chef-Etage geschildert.

„Allerdings wurde unser Ansinnen mehr oder weniger abgetan und belächelt. Der Brief wurde einfach ignoriert. Das ist auch der Grund, warum ich mich Namen vieler Kolleginnen und Kollegen nun an die Öffentlichkeit wende. Auch wenn ich damit meinen eigenen Job gefährde und meine Existenz aufs Spiel setze – so kann es nicht weitergehen“, sagt Markus L. gegenüber EXPRESS.de.

KVB-Mitarbeiter: Keine Weiterbildungen, Dienstplan, unzulängliche Arbeitskleidung

Neben den lebensbedrohlichen Erfahrungen innerhalb des Dienstes gäbe es auch viele weitere Aspekte, die im Serviceteam der KVB schieflaufen würden. Viele Kolleginnen und Kollegen seien unerfahren in dem Bereich – Möglichkeiten zur Weiterbildung gäbe es jedoch auch nicht: „Es werden keine Selbstverteidigungskurse angeboten. Auch Englischkurse nicht, dabei sind Englischkenntnisse in dem Beruf sehr wichtig. Das einzige, was uns angeboten wird, ist ein Deeskalationskurs.“

Die KVB sagt dazu: „Die Mitarbeitenden erhalten Aus-, Fort- und Weiterbildungen zu folgenden Themen: Deeskalationstraining (Teil 1 und 2), Umgang mit BodyCams, Erste Hilfe, Aufzugsbefreiung, Kundenorientierung und Tarif-/Streckenkunde. Im Deeskalationstraining sind anteilig die Themenfelder Recht, Selbstverteidigung, Gefahrenradar, Kundenansprache, sichere Kommunikation, Stressbewältigung etc. enthalten.“

Ein weiterer Punkt: Die familienunfreundliche Dienstplanregelung: „Wenn ich diesen Beruf ausübe, weiß ich, dass ich Nachtschichten habe. Allerdings gibt es im KVB-Service auch den sogenannten Bestimmungsdienst, bei dem man erst um 11.30 Uhr erfährt, wann und wo man am nächsten Tag zu arbeiten hat. Planungen mit den Kindern, der Frau oder Bekannten? Kann man knicken, da können die mit den Angestellten machen, was sie wollen.“ Die kurzfristigen Dienstplanänderungen im Bestimmungsdienst bestätigte die KVB.

Auch die Dienstkleidung sei ein Thema, die KVB-Beschäftigen bekommen laut Markus L. keine Schuhe gestellt. „Und bei der Kleidung ist es ähnlich. Wir haben zwei Hosen und zwei T-Shirts für den Sommer beispielsweise. Irgendwann müssen die auch mal gewaschen werden. Es kam schon öfter vor, dass wir in Privatklamotten gearbeitet haben. Da besitzt man dann vor den Menschen, die man anspricht, maßregelt oder höflich bittet zu gehen, natürlich noch weniger Autorität.“

Laut der KVB sei das Problem bekannt und aufgrund von gestörten Lieferketten entstanden. Im Sommer solle es neue Kleidung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geben.

Es sei vor allem in den vergangenen zwei Jahren aus dem Ruder gelaufen, sagt Markus L. abschließend. Es sei öfter zu gefährlichen Situationen gekommen, demnächst sollen stichfeste Westen für die Sicherheitsleute angeschafft werden. Markus L. sagt, er habe Job-Alternativen, wolle jedoch am liebsten aber bei der KVB bleiben: „Aber es muss etwas passieren, ich möchte im Namen vieler meiner Kolleginnen und Kollegen einige Leute mal wachrütteln und zeigen, welche Stunde geschlagen hat.“

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