Kolumne „Verbrechen der Woche“: Geständnis nach fünfzig Jahren

kolumne „verbrechen der woche“: geständnis nach fünfzig jahren

Seit fünfzig Jahren wurde nach Saroshi Kirishima, dem lachenden jungen Mann auf dem Fahndungsfoto, gesucht.

Vier Tage vor seinem Tod vertraute Satoshi Kirishima dem Krankenhauspersonal an, wer er in Wirklichkeit war: der Straftäter, dessen Fahndungsfoto ganz Japan seit Jahrzehnten kennt, der Mann, der vor fünfzig Jahren an einem Sprengstoffanschlag auf die Mitsubishi-Zentrale in Tokio beteiligt war, bei dem acht Menschen starben.

Kirishima war damals zwanzig Jahre alt und Mitglied einer anarchistischen Terrorgruppe, die japanische Institutionen für den früheren Imperialismus des Landes bestrafen wollte und den Tod von deren Angehörigen dabei billigend in Kauf nahm. Kurz danach tauchte Kirishima unter und lebte als Hiroshi Uchida ein neues Leben. Nun aber, so sagte er den Krankenschwestern und danach auch den Polizisten, die ihn vernahmen, wolle er mit seinem wirklichen Namen sterben. Am 29. Januar erlag er seinem Krebsleiden.

kolumne „verbrechen der woche“: geständnis nach fünfzig jahren

Ob es das Gewissen war, das ihn im Angesicht des Todes zu seinem Bekenntnis trieb, weiß man nicht. Sicher ist nur, dass er die Person, die er in den letzten Jahrzehnten dargestellt hatte, wieder mit seiner ursprünglichen vereinigen wollte.

Das Verbrechen hatte sein Leben eben auch insofern definiert, als es ihn von seinem eigentlichen Namen trennte. Mondän wie das des kaltblütigen Mr. Ripley bei Patricia Highsmith war dieses Leben nicht, eher ähnelte es offenbar der ritualisierten Existenz jenes Tokioter Toilettenreinigers, den Wim Wenders in seinem jüngsten Film „Perfect Days“ porträtiert.

Wie dieser wohnte Kirishima als Herr Uchida allein in einem Holzhaus, und ähnlich regelmäßig scheinen auch seine Gewohnheiten gewesen zu sein: Einmal im Monat ging er nach dem Besuch eines öffentlichen Bads in eine Bar, wo er ein Bier bestellte und zur Livemusik tanzte.

Er arbeitete als Angestellter bei einer Baufirma und führte aus Vorsicht kein Bankkonto. Einmal sagte er dem Barbesitzer: „Ich bin nicht der Typ Mensch, der jemanden glücklich machen kann“, doch sonst sprach er nicht viel über sich.

Wie muss man sich die Innenseite eines solchen Lebens in einer fremden Person jenseits der eigenen Schuld vorstellen? War es, wie bei Wenders’ Toilettenreiniger, ein Zen-artiges Leben, mit aller Konzentration auf den Augenblick?

Der Zen-Mönch D.T. Suzuki schrieb einmal, in Japan stehe ein „Isagi-yoku-Sterben“, also ohne Bedauern und mit klarem Gewissen, in so hohem Ansehen, dass man manchmal sogar Verbrechen milder beurteilt, wenn dem Straftäter ein solcher Tod gelingt.

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