Alle zehn Jahre erhebt das Statistische Bundesamt, wie viele Stunden und Minuten die Bürger für Arbeit, Kindererziehung und Freizeit verwenden. Dabei wird klar, dass die traditionelle Rollenverteilung von Mann und Frau auch heute dominant ist. Familienministerin Paus (Grüne) ist unzufrieden.
Getty Images/Noel Hendrickson; Montage: Infografik WELT
Womit verbringen die Deutschen ihre Zeit? Wie viel wenden sie für Schlaf und Körperpflege, für Job und Hausarbeit, für Medienkonsum und Freizeitgestaltung auf? Und wie unterscheidet sich die Arbeitsbelastung von Müttern und Vätern mit kleinen Kindern von dem ihrer kinderlosen Altersgenossen?
Alle zehn Jahre leuchtet das Statistische Bundesamt mit seiner Zeitverwendungserhebung tief hinein in das Privatleben der Deutschen. 10.000 Haushalte mit rund 20.000 Personen ab zehn Jahren haben dafür vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 2022 akribisch Buch geführt über ihre häuslichen Gewohnheiten – Daten, die Forschern einen wertvollen Einblick in die Alltagsgewohnheiten der Menschen und die Veränderung der gesellschaftlichen Zustände geben. Nach 1991/1992, 2001/2002 und 2012/2013 ist die Zeitverwendungserhebung 2022 die inzwischen vierte dieser Art.
Im Durchschnitt aller erfassten Personen – vom Kind bis zum Rentner, vom Vollzeit-Erwerbstätigen bis zum Arbeitslosen – hat sich die Gestaltung eines ganz normalen Tages im Vergleich zu zehn Jahren zuvor nur wenig verändert. Zwischen halb elf am Abend und acht Uhr morgens sind die meisten Menschen mit Schlaf und Körperpflege beschäftigt. Um vier Uhr nachts schlafen 98 Prozent der Menschen noch tief und fest. Ab acht Uhr überwiegen dann die Aktivitäten Bildung und Arbeit, und ab 16.40 Uhr dominieren dann die Freizeitaktivitäten, die um exakt 20.50 Uhr mit 75 Prozent Beteiligung ihren Höhepunkt erreichen.
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Von den 24 Stunden des Tages verbringen die Menschen im Schnitt mehr als elf Stunden mit Schlafen, Essen und Körperpflege, drei Stunden mit Erwerbstätigkeit oder Bildung und knapp dreieinhalb Stunden mit unbezahlter Arbeit im Haushalt. Mehr als sechs Stunden entfallen auf Freizeitaktivitäten. Der größte Teil der Freizeit wird dabei mit Mediennutzung wie Fernsehen verbracht. Für Unterhaltung und soziales Leben verwenden die Menschen knapp zwei Stunden, für Sport, Hobbys und Spiele rund eine Stunde.
Gegenüber der vorherigen Erhebung gab es bei der Zeitnutzung nur leichte Verschiebungen. So leisteten die Menschen vor zehn Jahren noch sechs Minuten weniger unbezahlte Arbeit und 18 Minuten mehr Erwerbsarbeit. Ein guter Teil davon entfiel aber auf Wegezeiten zur Arbeit, die heute teilweise wegfallen, weil viele Menschen im Homeoffice arbeiten.
Betrachtet man diese Durchschnittszahlen, könnte man leicht den Eindruck gewinnen, Deutschland sei auf dem direkten Weg in die Freizeitgesellschaft. Doch das täuscht. Denn wirft man einen genaueren Blick auf die einzelnen Gruppen, zeigt sich deutlich, wie unterschiedlich die Belastungen verteilt sind.
Mehrarbeitszeit ist vor allem unbezahlt
Besonders arbeitsreich ist das Leben von Familien. Im Schnitt leisten Eltern mit 57 Stunden bezahlter sowie unbezahlter Arbeit in der Woche satte elf Stunden mehr Arbeit als Erwachsene, die in einem Haushalt ohne Kinder leben. „Die Mehrarbeitszeit ist in erster Linie durch einen größeren Umfang an unbezahlter Arbeit bedingt. Schließlich fallen zusätzliche Aufgaben wie Kinderbetreuung an, und die Haushaltsführung erfordert in einem größeren Haushalt ebenfalls mehr Zeit“, sagte Birgit Lenuweit, Leiterin der Gruppe Haushaltserhebungen und Wohnen beim Statistischen Bundesamt. Insgesamt leisten Eltern 24,22 Stunden bezahlte und 32,4 Stunden unbezahlte Arbeit pro Woche.
Besonders groß sei dabei der Unterschied zwischen Vätern und ihren kinderlosen Geschlechtsgenossen. Väter arbeiten im Schnitt zwölf Stunden mehr pro Woche als Männer ohne Kinder. Sie leisten laut Erhebung 4,5 Stunden mehr Erwerbsarbeit (im Schnitt 32 Stunden) und 7,5 Stunden mehr unbezahlte Arbeit als Kinderlose.
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Der Unterschied zwischen Müttern und Frauen ohne Kinder beträgt 10,5 Stunden pro Woche. Dabei leisten Mütter 15 Stunden mehr unbezahlte Arbeit pro Woche, aber 4,5 Stunden weniger Erwerbsarbeit als Frauen ohne Kinder.
Der Umfang der Erwerbstätigkeit hängt dabei stark vom Alter des jüngsten Kindes ab. Mütter von Kindern im Schulalter sind mit 21,5 Wochenstunden im Schnitt nur eine Stunde weniger in der Woche erwerbstätig als Frauen ohne Kinder; zehn Jahre zuvor betrug der Abstand noch 4,5 Stunden. Mütter von Kindern unter sechs Jahren leisten mit 13 Wochenstunden hingegen 9,5 Stunden weniger Erwerbsarbeit pro Woche als Frauen ohne Kinder im Haushalt; hier ist der Abstand gegenüber 2012/2013 um eine Stunde geringer geworden.
Paus unzufrieden mit den neuen Zahlen
Einen genauen Blick warfen die Statistiker auch auf die Verteilung der Arbeit zwischen Männern und Frauen generell. Durchschnittlich arbeiten Erwachsene 44,5 Stunden in der Woche, wovon 19 Stunden auf Erwerbsarbeit und 25,5 Stunden auf unbezahlte Arbeit wie Haushaltsführung, Kinderbetreuung, Pflege oder Ehrenamt entfallen.
Hier zeigt sich aber zwischen Männern und Frauen nach wie vor ein erheblicher „Gender Care Gap“, wie die Wissenschaftler es nennen. Frauen arbeiten demnach nicht nur insgesamt 1,5 Stunden mehr pro Woche als Männer – sie leisten auch nach wie vor den Löwenanteil der unbezahlten Arbeit im Haushalt. Fast zwei Drittel ihrer 45,5-Stunden-Woche besteht aus unbezahlter Arbeit. Dies entspricht knapp 30 Stunden. Bei Männern sind es mit knapp 21 Stunden weniger als die Hälfte ihrer 44-Stunden-Woche.
Insgesamt leisten Frauen also 43,8 Prozent mehr unbezahlte Arbeit als Männer. Vor zehn Jahren betrug dieser „Gap“ noch 52,4 Prozent. „Die Lücke zwischen Frauen und Männern bei der unbezahlten Arbeit wurde im Zeitvergleich kleiner, sie ist aber nach wie vor beträchtlich“, sagte Ruth Brand, die Präsidentin des Statistischen Bundesamtes.
Einen Hinweis darauf, dass sowohl Männer als auch Frauen sich eigentlich eine andere Aufteilung wünschen, ergab die von den Statistikern gestellte Frage nach dem Zeitempfinden. Demnach empfand jede vierte erwerbstätige Mutter die für den Job zur Verfügung stehende Zeit als zu knapp. Umgekehrt hatte ebenfalls jeder vierte berufstätige Vater das Gefühl, zu viel Zeit auf der Arbeit zu verbringen.
Familienministerin Lisa Paus (Grüne) zeigte sich unzufrieden mit den Zahlen. „Wenn Frauen fast 44 Prozent mehr an unbezahlter Care-Arbeit leisten als Männer, dann ist das deutlich zu viel“, sagte Paus. Für Frauen bedeute das meist ein geringeres Gehalt, weniger berufliche Chancen und eine prekäre Alterssicherung. „Frauen sollen wirtschaftlich auf eigenen Beinen stehen können. Das gelingt aber nur, wenn Frauen und Männer unbezahlte Sorgearbeit gemeinsam übernehmen“, so die Ministerin. Ihr sei der faire Ausgleich bei unbezahlter Sorgearbeit daher ein „wichtiges Anliegen“.
Die von Paus geplante „Familienstartzeit“ – eine zehntägige bezahlte Vaterschaftsfreistellung nach der Geburt, die eine partnerschaftliche Aufteilung der Sorgearbeit erleichtern soll – liegt derzeit allerdings noch auf Eis.
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