Grüne Höfe in Berlin: Anwohner wehren sich gegen Wohnungsbau

grüne höfe in berlin: anwohner wehren sich gegen wohnungsbau

Zielkonflikte in der Stadt: In Berlin regt sich Widerstand.

Die Gegend um das Schloss Schönhausen im Berliner Stadtteil Pankow ist eine friedliche Gegend. Doch seit Monaten ist es mit der Ruhe vorbei. Denn eine Anwohnerinitiative namens „Grüner Kiez Pankow“ macht mobil gegen Pläne des landeseigenen Wohnungsunternehmens Gesobau, auf zwei großzügigen Innenhöfen zwischen Ossietzky- und Kavalierstraße insgesamt 99 Wohnungen für Geflüchtete zu errichten. Transparente in den umliegenden Häusern fordern „Unser Spielplatz muss bleiben“ und „Flächen entsiegeln statt versiegeln“. Derweil pa­trouillieren Wachschutzleute auf den mit mannshohen Gittern abgesperrten Höfen und bewachen die Fahrzeuge der Firma, die auf grünes Licht für die Baumfällarbeiten wartet.

Der mittlerweile von mehreren Gerichtsurteilen begleitete Konflikt in Pankow ist zwar ungewöhnlich heftig, doch keineswegs die Ausnahme. „Wohnungsbauvorhaben der Innenentwicklung“, stellte das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) schon 2018 in einer Studie fest, „sind zwar stadtpolitisch und planerisch erwünscht, verlaufen aber in den wenigsten Fällen ohne Widerstand zumindest in der Anwohnerschaft.“

In der Tat: Wenn in einer deutschen Stadt eine innerstädtische Brachfläche bebaut werden soll, gründet sich mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Bürgerinitiative, die sich gegen die Bebauung wehrt und dabei auf die große Bedeutung der Freifläche für das städtische Klima verweist. Auf der anderen Seite argumentieren Politiker und Projektentwickler mit der hohen Nachfrage nach Wohnraum und damit, dass der sogenannten Außenentwicklung, also dem Bau neuer Stadtteile am Stadtrand, Grenzen gesetzt seien – schließlich verfolgt die Bundesrepublik das Ziel, dass täglich nicht mehr als 30 Hektar für Siedlungs- und Verkehrsflächen beansprucht werden sollen.

„Rücksichtslos gegen unsere Wohn- und Lebensverhältnisse“

Wohnungsbau versus Grünfläche – in Berlin zeigt sich diese Konfliktlinie besonders deutlich. Ob im Ilse-Kiez in Karlshorst oder in der Lily-Braun-Straße in Kaulsdorf, ob bei einer ehemaligen Friedhofsfläche (dem „Emmauswald“) in Neukölln oder dem Ernst-Thälmann-Park in Prenzlauer Berg: Überall protestieren Anwohner gegen „die rücksichtslose Art des Wohnungsneubaus“, wie es in einem offenen Brief von 39 Bürgerinitiativen an Berlins Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler (SPD) heißt. Der Wohnungsbau, so die Initiativen, sei „rücksichtslos gegen unsere Wohn -und Lebensverhältnisse, rücksichtslos gegen die Stadtnatur und die Klimaveränderungen, rücksichtslos gegen die Zukunft unserer Kinder“.

Ähnlich argumentiert die Initiative „Grüner Kiez Pankow“ bei ihrem Protest in der Ossietzky- und Kavalierstraße. Darüber hinaus moniert sie, dass die Gesobau als Bauherrin und der Berliner Senat den Alternativvorschlag der Anwohner für eine weniger dichte Bebauung nicht berücksichtigt hätten. Beim Bezirk Pankow hingegen finden die Anwohner offene Ohren – was zur bemerkenswerten Situation führt, dass der Bezirk ein vom Land Berlin unterstütztes Vorhaben in dieser Form zu verhindern sucht.

Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung gehe bei allen in ihrer Verantwortung liegenden Wohnungsbauprojekten „sozial-, klima- und umweltgerecht“ vor, sagt dazu Stadtentwicklungssenator Gaebler. Auch gebe es eine Beteiligung der Bevölkerung. „Sie findet allerdings dort ihre Grenzen, wo Beteiligung als Verhinderungsinstrument gesehen wird“, betont der SPD-Politiker. „Es ist klar, dass nicht alle alles entscheiden können. Am Ende muss es jemanden geben, der oder die das letzte Wort hat.“

Innenentwicklung und Ökologie unter einen Hut bringen

Jörg Franzen, der Vorstandsvorsitzende der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Gesobau, weist darauf hin, dass im Lauf des Partizipationsverfahrens die Zahl der in der Kavalierstraße geplanten Wohnungen von rund 180 auf 99 reduziert worden sei. „Es ist also möglich, Einfluss zu nehmen, wenn man sich konstruktiv einbringt und kompromissbereit ist“, sagt der Gesobau-Chef. Die Bürgerinitiative habe jedoch auch die Option erwartet, dass auf das Bauprojekt komplett verzichtet werde. „Diese Option“, sagt Franzen, „kann es bei Partizipationsverfahren aber nicht geben, weil dann in ganz Berlin keine Neubauvorhaben umgesetzt werden könnten.“

Tatsächlich lässt ein Antrag der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus erahnen, wie schwierig andernfalls der Bau von Wohnungen in bestehenden Quartieren werden könnte. Nachverdichtungsprojekte müssten „ein transparentes und ergebnisoffenes Partizipationsverfahren“ durchlaufen, fordert die Fraktion der Linkspartei. Für Projekte, bei denen ihrer Ansicht nach ein solches Verfahren nicht erfolgte, darunter die besonders umstrittenen Vorhaben in der Kavalierstraße und im Ilse-Kiez, verlangt sie ein Moratorium. Mehr noch: Zukünftig müsse bei Vorhaben der Nachverdichtung eine Studie erstellt werden, „in der die potentielle Veränderung von Wohnumfeld- und Lebensqualität in der subjektiven Wahrnehmung der Anwohner*innen erfasst wird“. Denn für die soziale Stabilität eines Quartiers seien „Aspekte wie der Ausblick ins Grün, Vogelgezwitscher, Begegnungsräume und die empfundene Dichte oder Distanz zur Nachbarbebauung“ von entscheidender Wichtigkeit.

Dabei sehen Fachleute durchaus Möglichkeiten, die Notwendigkeit der Innenentwicklung in wachsenden Städten und die ökologische Funktion von Freiflächen unter einen Hut zu bringen. Reiner Nagel, der Vorstandsvorsitzende der Bundesstiftung Baukultur, spricht von „mehrfacher Innenentwicklung“ und meint damit, dass Städte nicht nur dichter, sondern auch grüner, schöner und verkehrsgerechter werden.

Nachverdichtung eröffnet auch Chancen

Auf Einwände von Anwohnern sollten Bauherren mit einer „Qualitätsdebatte“ reagieren, empfiehlt Nagel, der früher in der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung tätig war. Projektentwickler sollten laut Nagel deshalb architektonisch interessante Gebäude schaffen, die auch den ansässigen Bewohnern Vorteile bieten – zum Beispiel indem Wohnungsgrößen entstehen, die im Bestand fehlen. „Wenn man solche Projekte gut vorbereitet“, sagt Nagel, „kann man in meinen Augen die Dichte häufig verdoppeln, ohne dass die Nachbarn sich bedroht fühlen.“

Auch Stadtentwicklungssenator Gaebler erklärt, dass die Nachverdichtung im Bestand ebenso wie die Entwicklung neuer Stadtquartiere immer einen Mehrwert für die existierende Nachbarschaft bieten müsse – wie eine bessere Versorgung mit Schul- und Kitaplätzen oder mehr Einkaufsmöglichkeiten. Grundsätzlich eröffne Nachverdichtung die Chance, umweltfreundliche Verkehrsmittel wie Fahrräder und öffentlichen Nahverkehr zu fördern und die neuen Wohnungen mit bestehenden sozialen Infrastruktureinrichtungen zu verknüpfen. Auch zahlenmäßig ist dieser Ansatz nicht unbedeutend: Laut Gaebler wurden zwischen 2020 und 2022 in ganz Berlin rund 13.700 Wohnungen in kleinteiligen Projekten von jeweils weniger als fünfzig Wohneinheiten fertiggestellt.

Allerdings verfolgt der Senat das zuletzt deutlich verfehlte Ziel, jährlich 20.000 neue Wohnungen entstehen zu lassen. Wie dramatisch die Lage mittlerweile ist, zeigt der Umstand, dass die Gesobau nach eigenen Angaben für jede freie Wohnung eine dreistellige Zahl von Interessentenanfragen bekommt. Mit Nachverdichtung allein, sagt denn auch Senator Gaebler, lasse sich das Berliner Wohnungsproblem nicht lösen – „dafür ist auch eine Außenentwicklung, die Wohnungsbau in größerem Umfang zulässt, notwendig“.

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