Nach Karlsruher Urteil: Auf alle Ministerien: Lindner weitet Haushaltssperre aus

nach karlsruher urteil: auf alle ministerien: lindner weitet haushaltssperre aus

Nächste Eskalation nach dem Haushaltsurteil. Foto: dpadata-portal-copyright=

Deutschland plagen nach dem Klimafonds-Urteil ernste Sorgen: Das Finanzministerium weitet die Haushaltssperre auf nahezu den gesamten Bundeshaushalt aus. Die Forderung nach einem Aussetzen der Schuldenbremse wird lauter.

Nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgericht stehen alle Nebenhaushalte des Bundes auf dem Prüfstand. Das Finanzministerium (BMF) hat nun zahlreiche Posten im Bundeshaushalt gesperrt. „Das BMF stoppt die Verpflichtungsermächtigungen in 2023, um Vorbelastungen für kommende Jahre zu vermeiden“, hieß es am Montagabend aus Kreisen des Ministeriums. Dies betreffe Etats aller Ministerien. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu den aktuellen Entwicklungen um den Bundeshaushalt im Überblick:

Was bedeutet die Entscheidung des Finanzministeriums zu den Verpflichtungsermächtigungen?

Eine Verpflichtungsermächtigung gibt einer Verwaltung die Möglichkeit, bereits für künftige Jahre Zahlungsverpflichtungen einzugehen, etwa bei mehrjährigen Vorhaben. Aktuelle Ausgaben in diesem Jahr sind demnach nicht betroffen. Dies wurde am Dienstagmorgen aus Ministeriumskreisen gegenüber der Deutschen-Presse-Agentur auch noch einmal bestätigt: Sperrung von Posten im Haushalt für das laufende Jahr bedeutet nach Angaben aus dem Finanzministerium keine Ausgabensperre. Die für 2023 eingestellten Gelder könnten regulär fließen, hieß es.

Weiter heißt es, bestehende Verbindlichkeiten würden weiter eingehalten, es dürften nur keine neuen eingegangen werden. „In Ausnahmefällen können Verpflichtungsermächtigungen entsperrt werden.“

Die Nachrichtenagentur Reuters zitiert aus einem Schreiben von Haushalts-Staatssekretär Werner Gatzer, das der Agentur am Montagabend vorlag. Darin heißt es: „Um weitere Vorbelastungen für künftige Haushaltsjahre zu vermeiden, beabsichtige ich daher, alle in den Einzelplänen 04 bis 17 und 23 bis 60 des Bundeshaushaltsplans 2023 ausgebrachten und noch verfügbaren Verpflichtungsermächtigungen mit sofortiger Wirkung zu sperren.“ Mit den genannten Einzelplänen sind die Einzeletats aller Ministerien betroffen. Ausgenommen sind laut der Aufzählung Verfassungsorgane wie Bundespräsident, Bundestag, Bundesrat und Bundesverfassungsgericht.

Wie kommt es zu dieser Entscheidung?

Die Ampel-Koalition ringt weiterhin um den Umgang mit dem Urteil aus Karlsruhe. Das Bundesverfassungsgericht hatte der Bundesregierung am Mittwoch 60 Milliarden Euro gestrichen, weil die Übertragung nicht genutzter Corona-Kredite auf den Klima- und Transformationsfonds (KTF) verfassungswidrig war. Das Geld fehlt der Regierung nun.

Zunächst hatte die Bundesregierung infolge des KTF-Urteils vorübergehend bestimmte Vorhaben auf Eis gelegt, die aus dem Fonds finanziert werden sollten. Dabei ging es um Verpflichtungsermächtigungen für 2024 und die Folgejahre. Bislang ist noch offen, ob Vorhaben aus dem Klimafonds in den regulären Haushalt für 2024 verschoben werden müssen. Die Experten sind unterschiedlicher Meinung, ob der Etat für das kommende Jahr unter diesen Umständen in den nächsten Tagen überhaupt beschlossen werden kann. An diesem Dienstag sollen Experten Bundestag und Bundesregierung dabei helfen, die Folgen des Karlsruher Haushaltsurteils richtig zu interpretieren. Der Haushaltsausschuss hört dazu Sachverständige an, die von den unterschiedlichen Fraktionen benannt wurden. Vor allem soll es darum gehen, ob trotz des Urteils der Haushalt für 2024 beschlossen werden kann.

Wird es in der Anhörung der Sachverständigen im Haushaltsausschuss am Dienstag eine eindeutige Antwort geben?

Die Stellungnahmen der Experten wurden am Montag bereits veröffentlicht. Die meisten von ihnen halten Auswirkungen auf das Sondervermögen für die Energiepreisbremsen für denkbar – doch sie äußern sich nicht eindeutig zu den Konsequenzen.

Umstritten ist unter den Experten, was mit dem Haushalt für 2024 passieren soll. Wirtschaftswissenschaftler Jens Südekum sieht den Kernhaushalt nicht betroffen. Er rät: Der Bundestag soll den Etat normal beschließen, auch weil bis Jahresende gar nicht alle offenen Fragen zum Urteil geklärt werden können. Im kommenden Jahr könne es dann einen Nachtragshaushalt geben.

Steuerrechtler Hanno Kube von der Universität Heidelberg dagegen rät scharf davon ab. „Der vorliegende Entwurf des Haushaltsgesetzes 2024 könnte verfassungswidrig sein“, warnt er. Der Bundesrechnungshof hält nicht nur den kommenden, sondern auch den Haushalt dieses Jahres wegen der schon ausgegebenen Energiepreisbremsen-Mittel „in verfassungsrechtlicher Hinsicht für äußerst problematisch“.

Einig sind sich die Sachverständigen in ihren vorab veröffentlichten Stellungnahmen aber in einem: Das Urteil wird weitreichende Konsequenzen haben – wahrscheinlich nicht nur für den Klimafonds, sondern auch für weitere Sondervermögen. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sieht Kredite für die Energiepreisbremsen wackeln – und warnt vor Kosten für die Bürger.

Welche Reaktionen gibt es aus der Politik auf die aktuelle Situation?

Das vom Grünen-Politiker Robert Habeck geführte Bundeswirtschaftsministerium hat die vom Finanzministerium verfügte Haushaltssperre für den Bundeshaushalt begrüßt. „Der Schritt entspricht der Notwendigkeit der Situation“, sagte eine Ministeriumssprecherin am Dienstag der Nachrichtenagentur Reuters. Damit würden weitere Vorbelastungen für künftige Haushaltsjahre vermieden. „Das ist in der jetzigen Situation richtig“, sagte die Sprecherin. „Die Bundesregierung arbeitet intensiv an Lösungen.“

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert hat für ein Aussetzen der Schuldenbremse plädiert. Mit Blick auf das Erklären einer sogenannten Haushaltsnotlage sagte er am Dienstag im ZDF: „Wenn die SPD alleine regieren würde, dann wäre das sicherlich etwas, was wir tun würden, und auch nicht aus Trickserei, sondern weil die Notlage objektiv gegeben ist.“ Darüber werde in der Koalition gesprochen. Die Regierung kann gemäß dem Gesetz eine Notlage erklären und die Schuldenbremse aussetzen, wenn sie unverschuldet in eine Krise geraten ist.

Um die Auswirkungen des Haushaltsurteils abzumildern, hält auch SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich ein Aussetzen der Schuldenbremse für notwendig – mindestens für das Jahr 2024. „Wir werden aus meiner Sicht nicht darum herumkommen, für 2024 die Ausnahmeregel zu ziehen – womöglich auch länger“, sagte Mützenich dem Magazin „Stern“. „Die Aufgaben, die vor uns stehen, sind ja nicht nächstes Jahr erledigt. Vor uns liegen gewaltige Herausforderungen, bei der Klimawende, der neuen Industriepolitik, aber auch außenpolitisch.“ Zuvor hatte bereits SPD-Chefin Saskia Esken dafür plädiert, die Schuldenbremse 2023 und 2024 nicht anzuwenden.

Der CDU-Haushaltsexperte Christian Haase hat der Ampelkoalition eine konstruktive Mitarbeit an der Aufstellung des Bundeshaushaltes für 2024 zugesagt, stellt zugleich aber wichtige Projekte infrage. Man müsse nun in Ruhe schauen, wie man den Etat hinbekomme, sagte Haase am Dienstag im Deutschlandfunk. Haase machte deutlich, dass es in dem sogenannten Klima- und Transformationsfonds (KTF) sehr wichtige Projekte gebe, die auch über die Legislaturperiode hinaus fortgesetzt werden müssten. „Denn wir alle wissen, Investitionen in die Wirtschaft gibt es nur bei stabilen Rahmenbedingungen“, betonte der CDU-Politiker. Zugleich stellte Haase wichtige Projekte der Ampel-Regierung infrage. Dabei nannte er die Kindergrundsicherung, das Bürgergeld und das Heizungsgesetz. Die Union wolle keine Sozialleistungen massiv kürzen, hinterfrage aber den zusätzlichen Aufwuchs, sagte Haase.

Linksfraktionschef Dietmar Bartsch forderte im Zuge der aktuellen Debatte eine „Klimareichensteuer“. „Nach dem Urteil aus Karlsruhe darf es keine Sozialkürzungen geben, um das 60-Milliarden-Loch zu stopfen“, sagte Bartsch dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Dienstag). Nicht die „kleinen Leute“, sondern Multimillionäre und Milliardäre sollten herangezogen werden, um Deutschland zu modernisieren.

Weitere Einsparungen wären beim Sondervermögen für die Bundeswehr möglich, das die Linke ablehnt. Es solle auf den Prüfstand gestellt und relevant reduziert werden, forderte Bartsch.

Welche Sondervermögen hat der Bund überhaupt?

Einer Aufstellung des Bundesrechnungshofs zufolge unterhält der Bund aktuell 29 Sondervermögen. Diese Nebenhaushalte sind keine Erfindung der Ampel-Regierung: Das älteste stammt aus dem Jahr 1951 und förderte den Bau von Wohnungen für Bergarbeiter. Es gibt zum Beispiel auch Fonds zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben, einen Binnenschifffahrtsfonds, ein Sondervermögen zum Ausbau von Kita-Plätzen und eins für digitale Infrastruktur.

Die neuesten Sondervermögen sind Wirtschaftshilfen wegen der Coronakrise, Aufbauhilfen für Flutopfer, der 100 Milliarden Euro schwere Sondertopf für die Bundeswehr und der Topf für die Energiepreisbremsen nach dem russischen Angriff auf die Ukraine.

Könnten alle vom Karlsruher Urteil betroffen sein?

Nein – und das aus mehreren Gründen. Zum einen äußerte sich das Bundesverfassungsgericht nur zu schuldenfinanzierten Sondervermögen. Es gibt aber auch Töpfe, die sich durch eigene Einnahmen finanzieren. Ein Beispiel ist das sogenannte ERP-Sondervermögen, das ursprünglich mit Mitteln aus dem Marshall-Plan ausgestattet wurde. Laut Rechnungshof ist aber der überwiegende Teil der Sondervermögen kreditfinanziert – Ende 2022 gab es demnach noch ein Verschuldungspotenzial von rund 522 Milliarden Euro.

Ausgenommen vom Haushaltsurteil dürften im Grunde auch solche Sondervermögen sein, die vor Einführung der Schuldenbremse entstanden. Denn Artikel 143d des Grundgesetzes regelt, dass nur Kreditermächtigungen für die Schuldenbremse angerechnet werden, die nach 2010 bewilligt wurden.

Was ist mit dem Geld für die Bundeswehr?

Auch das ist nach bisheriger Auffassung in der Ampel-Koalition nicht betroffen. Grund ist, dass der Bundestag den mit Krediten in Höhe von 100 Milliarden Euro gefüllten Topf separat im Grundgesetz verankerte. Mit Zustimmung der Union wurde in der Verfassung nicht nur festgeschrieben, wofür das Geld genutzt werden darf, sondern auch, dass die Schuldenbremse hier nicht greift. Darauf hatte besonders die FDP bestanden, um die Mittel extra gut abzusichern.

Was passiert, wenn der Fonds für die Energiepreisbremsen, der „Doppelwumms“, betroffen ist?

Ähnlich wie der vom Bundesverfassungsgericht kritisierte Klima- und Transformationsfonds wurde der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) quasi mit Krediten auf Vorrat ausgestattet. Der Bund bewilligte im Jahr 2022 Kredite in Höhe von 200 Milliarden Euro, um die hohen Strom-, Gas- und Fernwärmepreise abzufedern. Das konnte er, weil die Schuldenbremse durch die Notlage Corona und Ukraine-Krieg in diesem Jahr ausgesetzt war. Das Geld sollte aber nicht nur 2022, sondern auch 2023 und 2024 genutzt werden. Daher fürchtet Wirtschaftsminister Habeck, dass auch der WSF wackelt.

Das könnte noch viel problematischer sein als die Klima-Milliarden, denn allein in diesem Jahr wurden nach Angaben aus dem Wirtschaftsministerium 67 Milliarden Euro an WSF-Krediten ausgezahlt. Rund 103 Milliarden hätten nach den Plänen des Finanzministeriums ins kommende Jahr übertragen werden sollen.

Müssen die Kunden die Hilfen aus dem KTF womöglich zurückzahlen?

Dass in diesem Jahr gewährte Hilfen zurückgezahlt werden müssen, ist unwahrscheinlich. Denn Bundesregierung und Bundestag haben die Energiepreisbremsen beschlossen – wie sie sie finanzieren, ist ihr Problem. Es ist aber denkbar, dass die Bundesregierung die Strom- und Gaspreisbremsen nun vorzeitig streicht. Eigentlich sollten sie nämlich zur Absicherung auch im Frühjahr 2024 noch gelten, obwohl die Preise aktuell nicht so hoch sind. Sollten die Energiepreise nun im Winter erneut anziehen, könnten sie nicht mehr staatlich gebremst werden. „Dann werden wir höhere Gas- und Strompreise und Fernwärmepreise haben“, warnte Habeck.

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