China: Xi Jinping wird trotzdem lächeln
Trotz des freundlichen Empfangs in Ungarn und Serbien reist Chinas Staatschef mit einer gemischten Bilanz aus Europa ab. Seinem Hauptziel ist er nicht näher gekommen.
Xi hat auf seiner Reise in Europa wenig erreicht.
Was Xi Jinping wohl durch den Kopf geht, wenn er am heutigen Freitag ins Flugzeug zurück nach Peking steigt? Ein sechstägiger Europabesuch liegt dann hinter ihm – der erste seit beinahe fünf Jahren. Ob Chinas Staats- und Parteichef seine Reise als Erfolg wertet oder als Zeitverschwendung, wird er sich beim Abschied am Budapester Flughafen kaum anmerken lassen. Xi kultiviert ein maskenhaftes Dauerlächeln, das wenig Aufschluss über seine inneren Regungen gibt. Wer seine Reise mitverfolgt hat, ahnt allerdings, dass er mit gemischten Gefühlen nach China heimkehren dürfte.
In drei Ländern war Xi zu Gast: Frankreich, Serbien und Ungarn. Schon die Auswahl dieser Reiseziele ist vielsagend. Frankreich, das war gewissermaßen das Pflichtprogramm: Hier traf Xi neben dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron auch EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, um mit beiden unbequeme Gespräche über Chinas Verhältnis zu Russland und Europas Angst vor chinesischen Dumpingexporten zu führen. Was folgte, war die Kür: Erwartbar harmonisch fiel Xis Empfang in Serbien und Ungarn aus, den beiden chinafreundlichsten Ländern des Kontinents.
Erkennbar verfolgte Xi bei seinem Besuch also eine Strategie des Teilens und Herrschens, die auf gleich mehreren Ebenen ansetzt. Zum einen spielt er chinaskeptische und chinafreundliche Teile der EU gegeneinander aus. Zum anderen macht er sich die Bruchlinien zwischen Mitglieder- und Anwärterländern des Brüsseler Bündnisses zunutze. Und drittens verliert Xi bei alledem nicht sein Hauptziel aus den Augen, nämlich einen Keil zwischen Europa und die USA zu treiben.
Letztere Strategie formulierten schon zu Reisebeginn recht offenherzig die chinesischen Staatsmedien aus. “Wird die EU sich zwischen China und den USA entscheiden?”, fragte etwa ein Meinungsbeitrag des auf internationales Publikum gerichteten, staatlichen Portals CGTN. Trotz Washingtons “Anstiftung und Nötigung”, hieß es darin, sei sich “die EU im Klaren über die Bedeutung kooperativer Beziehungen”. Pragmatisch orientierte europäische Länder seien deshalb bestrebt, “im eigenen Interesse mit China zu interagieren”.
Dazu passend sprach Xi auf seinem Weg durch Europa beharrlich von einer “Multipolarität”, nach der sein Land strebe. Dieses Schlagwort verwendet Chinas Staatschef stets, wenn er den globalen Herrschaftsanspruch der USA unterminieren und gleichzeitig den eigenen verschleiern will. In Frankreich kommt derlei Hegemonialkritik traditionell sogar ganz gut an. Als Macron das letzte Mal China besuchte, erstaunte er Beobachter auf der Heimreise mit der Bemerkung, Europa solle sich in Handels- und Sicherheitsfragen nicht bedenkenlos den USA anschließen.
Ein Geschenk als Andeutung
Dass Xis Empfang beim Gegenbesuch in Frankreich nun etwas kühler ausfiel, lag weniger an Macron als an Ursula von der Leyen, die zu den China-Gipfeln europäischer Staatschefs inzwischen ziemlich routiniert als eine Art bad cop eingeladen wird. Auch diesmal fiel es ihr zu, die harten Botschaften zu überbringen, die sich Macron lieber verkniff. Als Kommissionspräsidentin lässt von der Leyen derzeit prüfen, ob Chinas Hersteller von Elektroautos von wettbewerbsverzerrenden Subventionen profitieren. Sollte die EU-Kommission dies bestätigen, würde die Union Schutzzölle einführen, um ihren Markt gegen chinesische Dumpingexporte abzuschirmen. Ein Szenario, auf das die chinesische Führung äußerst schlecht zu sprechen ist. Beim Treffen mit Xi bekräftigte von der Leyen, die EU sei bereit, ihre Wirtschaft mit allen zur Verfügung stehenden Instrumenten zu verteidigen, wenn China nicht fair spiele.
Den good cop gab dann im weiteren Verlauf Macron, der Xi am zweiten Reisetag in seine pyrenäische Heimatregion einlud – ähnlich wie Xi bei Macrons China-Besuch einen Besuch der Provinz Guangdong organisiert hatte, in der sein Vater einst Gouverneur war. Gemeinsam aßen die Präsidenten nun pyrenäischen Aufschnitt und Käse, zum Geschenk bekam Xi ein regionaltypisches Barett überreicht, eine Wolldecke für seine Mutter, ein Tour-de-France-Trikot und eine Flasche edlen Armagnac.
Letzterer war kein ganz zufälliges Präsent. Als Reaktion auf die Subventionsuntersuchung der EU lässt China derzeit die angeblichen Dumpingstrategien französischer Cognac-Hersteller prüfen. Für die ist China einer der wichtigsten Exportmärkte, weshalb die Branche im Vorfeld des Xi-Besuchs lautstark forderte, Macron möge den Streit beilegen. Der verkündete nach ersten Gesprächen vage, Xi habe sich offen für eine Lösung gezeigt. Konkrete Beschlüsse aber folgten nicht – und dürften auch kaum folgen, solange Xi den Cognac als Hebel für die europäisch-chinesische Schutzzolldebatte braucht.
In dieser aber wurden letztlich nur altbekannte Positionen ausgetauscht, von denen weder Xi noch von der Leyen abrücken wollten. Lediglich an einer Stelle kam Bewegung in die Diskussion. Unmittelbar vor Xis Besuch ließ Frankreichs Wirtschaftsminister Bruno Le Maire Kaufprämien für E-Autos auf Modelle beschränken, die den strengsten nationalen Umweltnormen entsprechen – womit chinesische Fabrikate praktisch ausgeklammert sind. Xi dürfte es als Signal interpretieren, dass im Streit um Chinas Exporte nicht nur die EU hart bleibt, sondern auch einzelne Mitgliedsstaaten noch einiges an Abwehrinstrumenten aufbieten könnten.
Umso erleichterter dürfte Xi weitergereist sein, nach Serbien und Ungarn, wo ihm ein völlig anderer Ton entgegenschlug. Als Führer einer Großmacht werde Chinas Präsident überall auf der Welt respektiert, erklärte Serbiens Präsident Aleksandar Vučić in seiner Willkommensansprache. “Aber die Verehrung und Liebe, die er in Serbien findet, findet er sonst nirgends.”
Nicht zufällig besuchte Xi Serbien auf den Tag genau 25 Jahre nach dem US-Bombardement der chinesischen Botschaft in Belgrad, bei dem während des Kosovo-Krieges drei chinesische Journalisten getötet wurden. Aus westlicher Sicht war es ein tragischer Unfall, aus chinesischer Sicht ein nicht verziehenes Trauma. “Das chinesische Volk liebt den Frieden”, hieß es in einem Gastbeitrag, den Xi während seines Besuchs in der serbischen Zeitung Politika platzieren ließ. “Aber wir werden keine Wiederholung dieser historischen Tragödie zulassen.”
Sollten zwischen China und den USA tatsächlich noch einmal Bomben zum Einsatz kommen, wäre der wahrscheinlichste Auslöser der Konflikt um die Insel Taiwan – und bei seinem Serbien-Besuch konnte sich Xi davon überzeugen, dass Europa im Kriegsfall gespalten reagieren würde. “Taiwan ist China und Punkt”, erklärte Vučić im serbischen Fernsehen. Peking hat sich diese Haltung quasi politisch erkauft: Aus chinesischer Sicht ist auch Kosovo bis heute Serbien.
Ungarn wirbt um chinesischen Investoren
Auch in Ungarn, Chinas wichtigstem Bündnispartner innerhalb der EU, kündigte Xi sein Kommen mit einem Gastbeitrag an. Die “langjährige Freundschaft” zwischen beiden Ländern, schrieb er in der regierungsnahen Zeitung Magyar Nemzet, sei “weich und reichhaltig” wie der ungarische Tokajer-Wein. Regierungschef Viktor Orbán revanchierte sich mit warmen Empfangsworten: Innerhalb der letzten 20 Jahre, erklärte er, sei aus einer unipolaren Weltordnung eine multipolare geworden. “Und eine der Hauptsäulen dieser neuen Weltordnung ist China.”
Gemeinsam bekräftigten Xi und Orbán die umfangreiche Wirtschaftskooperation, mit der Chinas Unternehmen in den letzten Jahren Ungarns chinafreundliches Lobbyieren in den Gremien der EU honoriert hat. Der chinesische Batterieproduzent CATL baut derzeit ein Werk in Debrecen, auch Chinas größter E-Autobauer BYD will seine erste Europafabrik in Ungarn errichten. Sollte die EU tatsächlich Schutzzölle für chinesische Autoimporte verhängen, könnten bald weitere Hersteller Teile ihrer Produktion aus China nach Europa verlagern. Ungarn, erklärte Orbán während des Xi-Besuchs, werde “chinesischen Unternehmen, die in unserem Land investieren, auch weiterhin faire Bedingungen bieten”.
Xi wird in dem Wissen nach Hause fliegen, dass er in Europa Verbündete hat. Chinas europäische Widersacher allerdings, auch das dürfte ihm klar geworden sein, sind nicht nachgiebiger geworden in den fast fünf Jahren, die seit Xis letztem Besuch vergangen sind.