Start-up macht aus Müll Wasserstoff

Aus einem Produkt, das niemand will und das im Überfluss vorhanden ist, soll einer der begehrtesten Energieträger der Energiewende werden. Was fast zu schön klingt, um wahr zu sein, will Robert Nave mit seinem Start-up GHT in die Tat umsetzen. Aus Müll soll „orangener“ Wasserstoff werden – und das emissionsarm und sehr günstig. Bislang existiert nur eine Pilotanlage, doch bald soll die Anlage zum Dauereinsatz kommen.

„In Deutschland wird heute nur etwa ein Drittel des Plastikmülls recycelt“, sagt Nave im Gespräch mit der F.A.Z. Der Rest werde thermisch verwertet, also verbrannt – mit entsprechendem CO2-Ausstoß. Dieses nicht recycelbare Plastik – im Fachjargon Ersatzbrennstoff genannt – werde einem quasi hinterhergeworfen, sagt Nave. 60 Euro pro Tonne erhalten Abnehmer auf dem Markt. In der Pilotanlage in Leoben in der Steiermark kann GHT das konfettiartige Material gut gebrauchen. Im Zentrum der patentierten, 13 Meter hohen Anlage steht ein sogenannter Flugstromreaktor, in den bis zu 1600 Grad heißes Gas gepustet wird. Gleichzeitig wird der Plastikmüll mit in den Zylinder gepustet. Der reagiert mit dem Gas, wobei die Kohlenwasserstoffketten im Plastikmüll aufbrechen und Synthesegas entsteht. Etwa ein Viertel dieses Synthesegases wird zurück in den Reaktor gepumpt, um die Vergasung des Plastiks am Laufen zu halten. Der Rest des Gases wird aufgeteilt in hochreinen Wasserstoff und flüssiges CO2. Statt Plastik kann die Anlage auch biogene Abfälle verarbeiten – also zum Beispiel Holz oder getrocknete Gärreste. „Die Technik ist relativ trivial“, sagt Nave.

Pilotanlage in Göppingen

Bisher lief die Anlage nur im Demonstrationsbetrieb. Jetzt hat GHT einen Partner für den nächsten Schritt gefunden. Auf dem Gelände des Recycling- und Entsorgungsbetriebs ETG in der Nähe von Göppingen soll die Pilotanlage aus der Steiermark aufgebaut und in den Dauerbetrieb überführt werden. ETG ist Teil des inhabergeführten Familienunternehmens Schwarz mit etwa 800 Mitarbeitern. „Mit ETG haben wir unseren Traumpartner für die kommerzielle Nutzung unserer Technologie gefunden“, sagt Nave. „Bislang waren wir vor allem eine Ingenieursbastelbude. ETG bringt die jahrzehntelange Erfahrung mit, die wir brauchen.“ Der Kontakt lief über eine Bekanntschaft aus Schulzeiten zu ETG-Geschäftsführerin Beate Schwarz.

In Göppingen soll in der Anlage zunächst Holzstaub verwertet werden, der bislang in der thermischen Verwertung landet, also verbrannt wird – mit entsprechendem CO2-Ausstoß. „Ich denke, hier wäre ein alternatives Verfahren sehr sinnvoll“, sagt ETG-Geschäftsführerin Schwarz. Aus 1200 Tonnen Holzstaub sollen in der von GHT errichteten Anlage zunächst 100 Tonnen Wasserstoff im Jahr erzeugt werden. Das reicht etwa, um täglich acht Lastwagen zu betanken. Für knapp 3 Euro je Kilogramm kann der Wasserstoff dann weiter an die Tankstellen in der Region verkauft werden. Zum Vergleich: Grüner Wasserstoff aus dem verbreiteten Elektrolyseverfahren wird derzeit für etwa 6 bis 8 Euro je Kilogramm hergestellt.

„Wir suchen immer nach innovativen Ansätzen in der Aufbereitung von Abfall. Wenn das Verfahren von GHT wirklich funktioniert, wäre das für die Branche ein Riesensprung“, sagt Schwarz. Insgesamt 50.000 Tonnen Abfall sammelt ETG im Jahr, mindestens 60 Prozent davon könnten potentiell in Wasserstoff verwandelt werden, schätzt Schwarz. Nave und Schwarz sprechen von einem „Musterbeispiel für die Kreislaufwirtschaft“. Auch das anfallende verflüssigte CO2 wird Schwarz zufolge dankbare Abnehmer finden. Die Mineralwasserproduzenten in der Region hätten schon ihr Interesse bekundet. Denn so schädlich CO2 als Gas in der Atmosphäre ist, so knapp ist es als Rohstoff in der Industrie. Die regionalen Getränkehersteller hätten wegen der heruntergefahrenen Ammoniakproduktion aktuell große Schwierigkeiten, in Deutschland Kohlenstoffdioxid zu beziehen, so Schwarz.

Wichtige Rolle in der künftigen Wasserstoffwirtschaft

Nave glaubt, dass die dezentrale Erzeugung von Wasserstoff eine wichtige Rolle in der künftigen Wasserstoffwirtschaft spielen wird. Denn nicht nur die großen Industrieunternehmen, auch der Mittelstand brauche Wasserstoff, auch wenn er nicht zwangsläufig an das geplante Kernnetz angeschlossen werde. Eine dezen­trale Erzeugung macht aus Sicht von Nave auch deshalb Sinn, weil sie die Transportwege hin zu den Abnehmern und somit den CO2-Ausstoß reduziert.

Finanziert wird GHT bislang vom österreichischen Logistikunternehmer Harald Mayer, der GHT 2020 gegründet hat. Doch seit Nave einen Partner gefunden hat, bekunden Investoren ihr Interesse, darunter eine große Versicherung, zwei Family Offices und ein Öl- und Gaskonzern. Fünf bis zehn Millionen Euro hat er für die erste Finanzierungsrunde als Ziel ausgegeben. Nave hofft, die Verhandlungen im Februar abgeschlossen zu haben. Er ist auch optimistisch, dass mit dem Umzug der Anlage jetzt alles ganz schnell geht. Wenn die Behörden die Baugenehmigung erteilen, soll die Anlage für die Synthesegasproduktion im Frühjahr aus der Steiermark nach Göppingen umziehen, für den Dauerbetrieb umgerüstet werden und im Herbst stabil laufen. Anfang 2025 soll dann der zweite Teil der Anlage installiert werden und der erste Wasserstoff produziert werden.

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