Die Zürcher Grünen sind die grössten Verteidiger der Windkraftpläne ihres Baudirektors. Wenn da bloss die getöteten Vögel nicht wären

die zürcher grünen sind die grössten verteidiger der windkraftpläne ihres baudirektors. wenn da bloss die getöteten vögel nicht wären

Zugvögel lassen sich mit Sicherheitssystemen schützen, aber bei lokalen Brutvögeln ist die Wirkung umstritten: Ein ;grosser Schwarm Stare fliegt an einer Windkraftanlage vorbei. Arterra/Getty

Kathrin Jaag wendet sich zum Saal. Sie lässt den Blick über die Gesichter all dieser Männer und Frauen wandern, die eigentlich auf ihrer Seite stehen müssten: Naturliebhaber, Tierfreundinnen, Menschen mit ausgeprägtem ökologischem Gewissen. Aber an diesem Abend kann sie sich da nicht so sicher sein.

Also sagt sie mit Nachdruck: «Sie denken jetzt vielleicht: Milane haben wir ja wirklich genug in der Schweiz!» Es folgt eine dramatische Pause. Gerade lange genug, um sich vorzustellen, wie es klingen muss, wenn einer dieser stolzen Vögel vom Rotor einer Windturbine erwischt wird, der an der Spitze um die 200 km/h schnell sein kann. «Es gibt bei uns tatsächlich viele Milane, aber wir beherbergen zehn Prozent der weltweiten Population an Rotmilanen. Wir tragen also eine grosse Verantwortung.»

Jaag spricht vor der Parteiversammlung der Zürcher Grünen im Volkshaus. Die Co-Präsidentin der Vogelschutzorganisation Birdlife Zürich ist eingeladen worden für ein Streitgespräch über Windkraft, und sie weiss, dass ihre Rolle an diesem Abend jene der Spielverderberin ist.

Sie spricht über erschlagene Milane, Störche und Uhus. Und macht so eine Diskussion, die ohnehin schon kompliziert genug ist, noch etwas komplizierter. Dabei lechzen im Saal viele nach Lösungen, damit es endlich vorwärtsgeht.

Die Grünen sind die Partei des Baudirektors Martin Neukom, eines Technikers, der ganz auf die schnelle Energiewende programmiert ist. Im Oktober 2022 hat Neukom alle überrumpelt, als er eine Karte mit 46 Standorten im Kanton Zürich präsentierte, die für Windkraftanlagen infrage kommen. Dagegen formierte sich schnell Widerstand. Zuerst von Landschaftsschützern, Landgemeinden und der SVP.

Und nun also auch noch vom Vogelschutz. Eine zusätzliche Konfliktlinie, die sich mitten durch die grüne Partei und die grünen Herzen zieht.

Als im Volkshaus jemand einwirft, dass ein paar weitere tote Vögel vernachlässigbar seien angesichts der Millionen, die in der Schweiz jedes Jahr Autos, Hauskatzen und Fensterscheiben zum Opfer fielen, applaudiert der Saal. Als Jaag erwidert, dass man das eine nicht gegen das andere ausspielen dürfe, applaudiert der Saal ebenfalls.

Was taugen die Sicherheitssysteme zum Schutz von Vögeln?

Im Zürcher Kantonsrat wird bald eine Initiative diskutiert, die Vögel vor dem hunderttausendfachen Tod beim Aufprall auf Glasscheiben und spiegelnde Fassaden bewahren will. Es soll so gebaut werden, dass die Tiere die Hindernisse erkennen. Die Grünen sind selbstverständlich dabei. Wie verträgt sich diese Haltung mit dem Bau von Windturbinen?

Jahrelang war dies für Birdlife kein Thema, weil Zürich nicht als Windkanton galt. Das hat sich quasi über Nacht geändert. «Der Baudirektor hat uns mit seinen Ideen gezwungen, uns zu positionieren», sagt Jaag im Volkshaus.

Ihr Vorredner Philipp Huber, der Präsident des Vereins Pro Wind Zürich und ein Fan von Windrädern, erledigt das Thema in wenigen Sätzen. Bei Flugwetter, wenn Gefahr für Vögel oder Fledermäuse drohe, würden die Anlagen einfach abgeschaltet. Problem gelöst.

Laut einem Bericht der Schweizerischen Vogelwarte von 2019 sind tatsächlich Systeme auf dem Markt, die einzelne Vögel auf Kollisionskurs erkennen und sofort reagieren. Ihre Wirksamkeit sei aber nicht erwiesen.

Stefan Werner von der Vogelwarte, der den Bericht mitverfasst hat, hält trotz technischen Fortschritten an dieser Aussage fest. Bei eigenen Tests mit solchen Systemen seien Rotmilane zwar zuverlässig und in ausreichender Distanz erkannt worden. Da aber im betreffenden Gebiet keine Windräder gestanden hätten, lasse sich der Effekt auf die Zahl der getöteten Vögel nicht quantifizieren.

Werner ist skeptisch, ob solche Systeme für bestimmte Arten überhaupt je funktionieren können. Ein Wanderfalke etwa sei sehr klein und schnell. Da es 20 bis 30 Sekunden dauere, bis eine Windkraftanlage abgeschaltet sei, sei unklar, wie man einen solchen Vogel rechtzeitig erkennen und seinen Flugweg richtig vorausberechnen könne.

Zudem stelle sich die Frage der Wirtschaftlichkeit, wenn Windräder in Gebieten, wo viele Vögel leben, immer wider abgeschaltet werden müssten. Entscheidend bleibe es daher, eine solche Anlage nicht am falschen Ort aufzustellen.

die zürcher grünen sind die grössten verteidiger der windkraftpläne ihres baudirektors. wenn da bloss die getöteten vögel nicht wären

Zu schnell für die Frühwarnsysteme? Ein Wanderfalke mit Beute. Ralf Kistowski / Imago

Kathrin Jaag sagt darum im Volkshaus vor den Grünen, es sei leider nicht so einfach, wie ihr Vorredner glauben gemacht habe. Die Warnsysteme taugten zum Schutz von Zugvögeln, wo es sonst «zum grossen Gemetzel» käme. Den lokalen Brutvögeln sei damit aber nicht geholfen.

Zudem würden kleinere Arten und Fledermäuse auch ohne direkte Kollision von den Wirbeln der Rotoren erfasst und davongeschleudert. Das impliziert: Die Dunkelziffer der getöteten Tiere ist womöglich höher als gedacht, weil die Kadaver nie am Fuss eines Windrads entdeckt werden.

Viele Fragezeichen zu Neukoms Karte

«Gemetzel» – das Wort ist Jaag nicht bloss herausgerutscht, sie verwendet es mehrmals an diesem Abend. Sie will etwas bewegen, die Zeit drängt.

Die Zürcher Baudirektion ist zurzeit damit beschäftigt, aus den 46 Gebieten mit Potenzial jene auszuscheiden, die definitiv in den kantonalen Richtplan eingetragen werden sollen. Damit wird Verbindlichkeit geschaffen. Der Entscheid, ursprünglich schon im letzten Herbst erwartet, verschiebt sich voraussichtlich in den Frühling. Grund dafür sind nicht näher beschriebene «Abklärungen».

Um Vögel dürfte es dabei eher nicht gehen.

Die Schweizerische Vogelwarte hat zwar den zuständigen Zürcher Behörden früh Daten darüber geschickt, wo im Kanton «windkraftsensible Arten» vorkommen. In einem Expertenbericht, der die Grundlagen für die Richtplanung umreisst, steht aber explizit, dass der Schutz von Zugvögeln, Brutvögeln und Fledermäusen erst zu einem späteren Zeitpunkt gegen energiepolitische Interessen abgewogen werden soll: dann, wenn konkrete Bauvorhaben beurteilt werden.

Eine Ausnahme sind die Winterschlafplätze des Rotmilans: Schon auf der Stufe des Richtplans soll um sie herum eine fünf Kilometer breite Pufferzone erwogen werden. Und die Kerngebiete, in denen das stark bedrohte Auerhuhn lebt, waren laut dem Bericht von Anfang an tabu.

Den Vogelschützern von Birdlife Zürich genügt das nicht. Sie verlangen vom Kanton, dass kein Windkraftgebiet in den Richtplan eingetragen wird, bevor nicht sorgfältig geklärt wurde, ob dort seltene oder gefährdete Arten vorkommen.

Durch den Norden des Kantons zum Beispiel zieht sich eine nach internationalen Kriterien definierte «Important Bird Area», Heimat vieler Milane, Spechte und Turmfalken.

Kathrin Jaag zeichnet auf Neukoms ursprünglicher Windpotenzialkarte von 2022 hinter jedes dritte Gebiet ein Fragezeichen – und das sei nur das, was ihr auf die Schnelle auffalle.

Die Gegend um den Hüttchopf an der Grenze von Wald und Fischenthal etwa kommt für Jaag wegen des Auerhuhns partout nicht infrage. Auch im Norden des Kantons und im Knonauer Amt ist sie bei diversen Zonen skeptisch, weil dort der Rotmilan und die Feldlerche beheimatet sind.

Von letzterer ist laut Jaag bekannt, dass sie in der Nähe von vertikalen Strukturen wie dem Turm einer Windkraftanlage nicht brütet. Das bedeutet: Die Lerche droht selbst dann zu verschwinden, wenn sie nie von einem Rotor getroffen wird.

Um genauer zu wissen, welche Gebiete problematisch sind, braucht es laut Jaag systematische Abklärungen. Vom Pult aus geht so etwas nicht, dazu müssen erfahrene Ornithologen nach draussen ins Feld geschickt werden. Eine seriöse Erhebung kostet Geld und dauert in der Regel mindestens ein Jahr, wie einem Bericht der Vogelwarte zu entnehmen ist.

Das würde Neukoms Planung noch einmal stark verzögern. Mehr Zeit für die Windkraftgegner, den Widerstand zu formieren.

Im Zürcher Volkshaus versichern die Grünen darum, dass es im Prinzip keinen Konflikt gebe: Selbstverständlich werde es eine sorgfältige Interessenabwägung geben. Eine sorgfältige Planung um sensible Gebiete herum – das verspricht auch der Kanton. Ob alle so locker bleiben, falls sich zeigen sollte, dass der Vogelschutz den Plänen des grünen Baudirektors entscheidend im Weg steht?

Die Schlafplätze von Rotmilanen mögen ein Nebenschauplatz sein. Aber wenn die politischen Mehrheiten knapp sind, wird ein Kampf nicht selten genau dort entschieden.

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