Carsten Maschmeyer im Interview: "Die Amerikaner lachen sich schlapp über uns"

Wirtschaftlich schwierige Zeiten hemmen Investitionen. Darunter leiden besonders Startups. “Wir sind auf dem absteigenden Ast”, warnt Investor Carsten Maschmeyer. Im Interview verrät er außerdem, warum sich Fachkräftemangel und Viertagewoche nicht widersprechen.

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Carsten Maschmeyer: Ich möchte betonen: Die digitalen Startups sind oft Corona-Sieger gewesen. Wir waren zu Hause regelrecht eingesperrt, vieles war geschlossen und diese Startups haben einen Online-Sonderboom erlebt. Solche Ausnahme-Umsätze konnten nach dem Ende der Pandemie nicht weiter erzielt werden. Zudem haben Startups mittlerweile mit den Folgen der Zinswende und der Inflation zu kämpfen. Früher waren Anleger bereit, wegen der Minuszinsen in Startups zu investieren, obwohl das Risiko vermeintlich höher war. Das ist vorbei. Anleger kriegen für Festgeld drei, vier Prozent Zinsen und sagen: ‘Das ist besser als 20 Prozent im Startup-Investment.’ Die Unternehmen müssen für die Finanzierung sehr hohe Zinsen zahlen, wenn sie ein Startup kaufen, sodass sie niedrigere Bewertungen aufrufen oder eine Vollbremsung machen. Startups, die hohe Verluste machen, sind derzeit kaum mehr zu veräußern. Und diese Kombination macht es ihnen schwer, eine Finanzierung oder einen Exit zu erzielen.

Die aktuelle Situation ist hoch spannend. Investorinnen und Investoren können sich zu deutlich niedrigeren Bewertungen an Startups beteiligen. Wir haben im Schnitt 40 Prozent niedrigere Bewertungen als im Peak im Herbst 2021. Das ist natürlich ein günstigerer Einstieg. Zusätzlich sind Gründer und Gründerinnen jetzt bereit, investorenfreundliche Bedingungen einzugehen. Das heißt: Wenn ein Startup im Wert sinkt, kriegen im Erlösfall diejenigen Investoren ihr Geld zuerst zurück, die die letzte Runde gemacht haben.

Ein Startup zu gründen, ist in Europa eigentlich leicht, aber es sind eben nicht die Vereinigten Staaten. Wir haben in jedem Land andere Regularien, andere Gesetze, andere Sprachen, andere Steuersätze, andere Sozialversicherungsbedingungen. Zudem ist Deutschland überbürokratisch. Viele junge Unternehmen gehen deshalb lieber nach Irland oder Luxemburg, Fintechs umgehen so beispielsweise die deutsche Überregulierung und die Langsamkeit der BAFIN.

US-amerikanische Startups bekommen zum Beispiel leichter Geld. In den Vereinigten Staaten haben mehr Investoren ihr Kapital schon verzehnfacht oder verzwanzigfacht. US-Geldgeber leben eine andere Risikobereitschaft und geben lieber fünf Millionen und sagen: “Wir wollen eine Weltklassefirma aufbauen, also brauchen wir auch Weltklasseleute” – was entsprechend teurer ist. In Deutschland heißt es gerade bei den Gründern hingegen eher: “Wenn wir dies oder das jetzt nicht machen, dann reicht das Geld der letzten Finanzierung länger und wer weiß, ob wir dann überhaupt neues Geld kriegen.” Die Amerikaner spielen eher “all or nothing”.

“Die Vier-Tage-Woche wäre für viele Betriebe ein Todesstoß”

Wenn ich vor 10, 15 Jahren in den USA über Deutschland sprach, wurde unser Land oft bewundert. Mittlerweile werden wir eher bemitleidet. Ich möchte es ganz offen sagen: Die Amerikaner lachen sich schlapp über uns. In den USA geht das Zehn- bis Zwanzigfache in die Innovation, in die Startups, in junge Gründerinnen und Gründer. Und wir machen hier so gut wie nichts. Wir haben sehr viel verschlafen. Und die jetzige Regierung ist sich ja überhaupt nicht einig. Wir brauchen endlich einen Durchbruchs-Gipfel – möglichst parteiübergreifend, inklusive CDU/CSU. Wir sind auf dem absteigenden Ast und das werden wir immer mehr zu spüren bekommen.

Das hilft natürlich. Aber in den ganz großen amerikanischen Startup-Fonds stecken zig Milliarden. So etwas gibt es nicht in Deutschland. Macron hat angekündigt, 30 Milliarden in französische Hightech-Startups zu stecken. Auf der Consumer Electronics Show gab es eine riesige Halle mit 80 Ständen aus Frankreich. Und Deutschland? Nichts. Frankreich hatte einen Nachwuchswettbewerb ausgerufen und gesagt: Wir zahlen die Flüge, wir zahlen die Mieten für die Stände. Deutschland muss auch endlich ganz neu denken, ganz groß denken. Wir kommen immer weiter ins Hintertreffen, das ist schon peinlich.

“Nur die wenigsten wollen ihre Macht im Job teilen”

Wir sind in einem “War for Talent” und einem “War for hold the Talent”. Das ist Angebot und Nachfrage. Wenn es darum geht, wo arbeite ich, wann arbeite ich, geht es für mich immer darum, Ergebnisse zu erreichen. Manche Führungskräfte misstrauen ihren Mitarbeitern, wenn sie nicht fünf Tage pro Woche im Büro sind und unterstellen ihnen, sie würden nicht genug arbeiten. Im “War for Talent” müssen Unternehmen Mitarbeitern aber attraktive Konditionen bieten. Nehmen wir mal die Generation Z. Die haben sich noch nie richtig bewerben müssen. Bei denen müssen sich vielmehr Firmen bewerben und sagen, welche attraktiven New-Work-Modelle sie anbieten.

Es geht nicht um Viertagewoche oder Fünftagewoche. Das Resultat ist eine Nulltagewoche, weil Unternehmen die Leute sonst gar nicht mehr bekommen. Ich war kürzlich bei Microsoft. Denen ist egal, ob oder wann die Mitarbeiter ins Büro kommen. Es geht um Zielerreichung. Auch ich bin der Meinung: Mitarbeiter sollen, wenn es geht, frei entscheiden, wann und von wo sie arbeiten wollen.

Maschmeyer würde Viertagewoche begrüßen

Der Damm ist gebrochen. Als ich noch zur Schule ging, hatten wir die Sechstageswoche. Ich erinnere mich, dass mein Stiefvater auch am Samstag arbeiten musste. Damals hieß es: Oh Gott, Deutschland wird durch die Einführung der Fünftagewoche wirtschaftlich zusammenbrechen. Falsch! Die Produktivität ist gestiegen. Wir haben die wirtschaftlichen Probleme in Deutschland doch nicht, weil die Viertagewoche ausprobiert wird. Ich bin überzeugt: Die Menschen sind kreativer, sie sind weniger krank, sie haben weniger Stressfaktoren, sie schlafen besser, sie sind ausgeglichener. Viertagewoche heißt auch, ich kann mich fortbilden, ich kann meinen Horizont erweitern, ich kann Familie und Beruf besser vereinbaren. Die Viertagewoche bietet so viele Chancen. Wir sollten Ergebnisse erzielen wollen und nicht nur darauf pochen, Zeit im Büro abzusitzen.

Nein, ich arbeite fünfeinhalb Tage. Aber ich bin beseelt von Zielen und habe Spaß an meinem Tun. Und wenn ich merke, ich habe es mit der Arbeitsmenge übertrieben, dann streiche ich auch mal zwei eigentlich geplante Termine und bin erst mittags im Büro oder mache eine längere Pause.

“Wir verlieren unsere wirtschaftliche Position”

Das wird wie vieles andere in Deutschland nicht so schnell gehen, obwohl erste Studien positiv sind. Auch das Pilotprojekt in Großbritannien war erfolgreich. Es gibt zum Beispiel in den Niederlanden längst das Recht auf Homeoffice und in Belgien ist es Pflicht, die Viertagewoche anzubieten. Es wird davon abhängen, wie objektiv über die Erfahrungen berichtet wird. Haben die Unternehmen dann weniger Fehltage? Sind die Mitarbeitenden wirklich auf kreativere Lösungen gekommen, die sie vorher in der Hamsterrad-Routine nicht gehabt hätten?

Ich glaube, dass sich 2030 das Problem Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt noch verschärft haben wird. Haben Unternehmen drei Stellen offen und 100 Bewerber, können sie mit Bewerbern natürlich anders umgehen und ihre traditionelle Vorstellung von Anwesenheitskontrolle umsetzen. Haben Unternehmen drei offene Stellen und einen Bewerber, sind sie gezwungen, den zeitgemäßen Forderungen nachzugeben, sonst stehen sie am Ende ganz ohne neues Personal da.

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