Umgang mit dem Klimawandel: Politik wird nicht besser, wenn sie autoritär ist

umgang mit dem klimawandel: politik wird nicht besser, wenn sie autoritär ist

Ökonomisch betrachtet kein Vorbild: autofreier Sonntag im Jahr 1973

Die autofreien Sonntage im Jahr 1973 hatten nur einen geringen Effekt auf die Nachfrage nach Mineralöl. Es waren schließlich nur vier Tage im Spätherbst, und wie es mit solchen Verboten so ist: Man weicht ihnen aus, fährt eben einen Tag vorher oder nachher, sofern das geht. Dumm war es vor allem für die Bürgerinnen und Bürger, die tatsächlich unbedingt an diesen Tagen mobil sein mussten oder wollten. Für sie führte das Verbot zu hohen Wohlfahrtseinbußen.

Es hat seine Gründe, dass wir Ökonomen bei solch kruden staatlichen Rationierungsmaßnahmen skeptisch sind. Der Preismechanismus kommt mit verschärfter Knappheit besser zurecht. Was heißt „besser“? Erstens freiheitsschonender, denn die Entscheidungsgewalt bleibt subsidiär beim Einzelnen. Und zweitens, damit eng zusammenhängend, auch effizienter, weil Zahlungsbereitschaft, aber nicht staatliche Rationierungswillkür entscheidet.

Nun soll es hier nicht primär um autofreie Sonntage gehen, aber Hedwig Richter hat in ihrem Beitrag vom 18. April in der F.A.Z. dieses Beispiel gewählt, um einen Politikstil zu illustrieren, den sie erstrebenswert findet. Mit den autofreien Sonntagen, so schreibt sie, gewann die damalige Regierung an Autorität. Sie habe damit das „offensichtlich Gebotene“ durchgesetzt. Und es sei ganz nebenbei noch ein schönes Gemeinschaftserlebnis entstanden, das sich ins kollektive Gedächtnis eingeprägt habe.

Die Allokation von Öl überlässt man besser dem Markt

Dass Rationierung mit Verboten hier offensichtlich geboten war, werden die meisten Ökonomen aus den oben schon genannten Gründen bestreiten. Die Allokation von Mineralöl überlässt man besser dem Markt, sogar und gerade dann, wenn es durch ein politisches Embargo plötzlich knapper wird. Letztendlich war es auch in der Ölkrise trivialerweise vor allem der gestiegene Preis, der für einen Rückgang der nachgefragten Menge Treibstoff sorgte.

Und die Gemeinschaft? Oft erscheinen Dinge im Rückblick mit großer Di­stanz angenehmer als beim tatsächlichen Erleben. In heutigen 70er-Jahre-Nostalgieshows sehen wir im Fernsehen zwar fröhliche Radfahrer auf der leeren Autobahn, aber die fluchende Familie, die nicht zu Omas Neunzigstem fahren kann, sehen wir nicht.

Jedenfalls wissen wir aber, dass es seit Jahrzehnten keinen bundesweiten autofreien Tag mehr gab. Die Vermutung liegt nahe, dass dies weniger an erfolgreichem Lobbying der Mineralölindustrie liegt als daran, dass die Wählerschaft ein erzwungenes Gemeinschaftserlebnis weniger positiv bewertet, als Hedwig Richter das tut.

Und damit kommen wir zum wirklich zweifelhaften Glied in Richters Argumentationskette: der Autorität. Vielleicht sehen wir Ökonomen die Rolle des Staates ja grundsätzlich anders, als Historikerinnen das tun. Denken wir an Staatsaufgaben, dann denken wir an klar definierte Probleme, die möglichst effizient gelöst werden sollen: an die Bereitstellung von öffentlichen Gütern, für die kein Markt existiert, an die Regulierung von Marktmacht oder an den Umgang mit bedeutsamen externen Effekten. Ein autoritärer Politikstil als Selbstzweck kommt uns Ökonomen dagegen nicht in den Sinn, jedenfalls nicht in den heute gängigen Lehrbüchern.

Entscheidungsspielräume bei Haushalten und Unternehmen belassen

Politik wird nicht besser, wenn sie autoritär ist, sondern wenn sie ihrem Ziel näherkommt und dabei möglichst geringe Wohlfahrtsverluste verursacht. Interessanterweise schafft man dies sehr oft mit politischen Instrumenten, die gleichzeitig auch freiheitsschonend sind, die also möglichst weitreichende Entscheidungsspielräume subsidiär bei den privaten Haushalten und Unternehmen belassen.

Die Debatten hierzu wurden oft genug geführt: über den einheitlichen CO2-Preis anstelle des Einsatzes von Verboten und Sektorzielen, über Verbraucherinformation statt des Verbots angeblich schädlicher Lebensmittel, über die Förderung von Grundlagenforschung anstelle einer zentralplanerischen Picking-Winners-Industriepolitik oder auch über einen regulierenden Staat, der so agieren sollte, dass er unternehmerische Aktivität und Leistungsbereitschaft nicht zu sehr mit hohen Bürokratiekosten beeinträchtigt.

Für Hedwig Richter dagegen hat eine Politik, die ihren Bürgern autoritär gegenübertritt, gerade deshalb einen intrinsischen Wert, weil sie mit Autoritätsgewinnen verbunden ist. Ihr Bezugspunkt ist die Geschichte vom Suppenkaspar, der sich vier Tage lang weigerte, seine Suppe zu essen, und am fünften Tag verhungerte. Hätte es doch nur einen benevolenten Hausvater gegeben, der dem Suppenkaspar die Brühe zwangsweise verabreicht hätte! Und so wünscht sich Richter einen Bundesverkehrsminister, der Fahrverbote verhängt, einen Ernährungsminister, der zum Vegetarismus drängt, und eine Migrationspolitik, die Mehrheitspräferenzen ignoriert. Auch Steuererhöhungen dürfen nicht fehlen.

Ob der autoritär auftretende Hausvater-Staat auch auf diesen Politikfeldern Gemeinschaftserlebnisse erzwingen kann, die sich für Jahrzehnte positiv ins kollektive Gedächtnis einprägen, ein Wir-Gefühl erzeugen und staatliche Pro­blemlösungskompetenz signalisieren, sei einmal dahingestellt. Vielleicht, wenn wir wie früher auf der Autobahn in Zukunft vor dem Fleischergeschäft zelten, um die letzten legalen Steaks zu kaufen. Aber diese Aussicht ist vage. Sehr sicher ist dagegen, dass wir es schnell mit Wahlergebnissen an den Rändern zu tun hätten, die das eine oder andere Bundesland für demokratische Parteien unregierbar machen würden.

Kaum jemand wird bestreiten, dass große Probleme auf der politischen Agenda stehen, wie das Zurückschlagen russischer Aggressionen und die Weiterentwicklung einer rationalen Klimapolitik. Leider diskutieren wir vor allem über Letztere inzwischen auf eine Art und Weise, die dem Politikstil des autoritären Hausvaters sehr entgegenkommt. Der Begriff der Transformation hat sich fest etabliert, und er signalisiert: Es geht nicht um ein begrenztes Problem, das mit einem effizienten Instrumentenkasten gezielt angegangen wird, sondern um einen umfassenden Gesellschaftsumbau. Der Transformationsbegriff wurde zu einem Einfallstor, durch das hanebüchener wirtschaftspolitischer Obskurantismus inzwischen in den Debatten-Mainstream gelangen konnte.

Die Vorschläge auf dem Marktplatz der wahnwitzigen Ideen (also auf der „Spiegel“-Bestsellerliste) reichen von Degrowth bis zur zentral geplanten Klima-Kriegswirtschaft. In unterschiedlicher Intensität geht es immer darum, individuelle Freiheit zu schleifen, die Marktwirtschaft infrage zu stellen, staatliche Autorität gegenüber bürgerlichen und wirtschaftlichen Freiheiten zu stärkten.

Wer in dieser Debattenlage auf den Erhalt der marktwirtschaftlichen Ordnung im Großen und von individuellen Freiheiten im Kleinen achtet, ist weder Suppenkaspar noch Populist. Bürgerinnen und Bürger, die über ihren Konsum und ihre Mobilität selbst entscheiden möchten, sind keine renitenten Kinder, die der Staat zu Wohlverhalten zwingen muss. Das Bestehen auf subsidiären Problemlösungen, die Bürgern Entscheidungsspielräume soweit irgend möglich erhalten, ist kein Kult des Egoismus.

Wenn man Populismus sucht, dann kann man ihn aber auch in der Transformationsdebatte finden. Etwa da, wo ein angenehmer Lebensstil und sichere Sozialsysteme bei gleichzeitiger Dreitagewoche und schrumpfendem Bruttoinlandsprodukt versprochen werden. Oder bei einem Ethikrat, der sich eine Welt mit sinkendem Einkommen in den Industrieländern bei gleichzeitiger Umverteilung an die Entwicklungsländer als politisch gangbaren Weg vorstellt. Oder bei Politikern, die das Schlaraffenland in Aussicht stellen, wenn nur die Schuldenbremse kippt oder endlich, endlich eine Vermögensteuer eingeführt wird. Der Populismus ist primär bei denen zu finden, die die Transformationsdebatte mit Forderungen nach autoritärem staatlichen Durchgreifen füttern und mit einer Gemeinschaftstümelei, die in modernen Gesellschaften keinen Platz hat.

Ein besserer Bezugspunkt als die Geschichte vom Suppenkaspar wäre daher für Diskussionen um Art und Umfang von individueller Freiheit und marktwirtschaftlicher Koordination heute vielleicht Aesops Fabel von der Gans, die goldene Eier legt. Die wird nämlich am Ende der Geschichte aus purer Dummheit geschlachtet.

Jan Schnellenbach ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus – Senftenberg.

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