Bürgergeld und Rente mit 63: "Völlig zynisch" – SPD und Grüne verärgert über FDP-Forderungen
Christian Lindner von der FDP
Zwölf Punkte umfasst ein FDP-Papier “zur Beschleunigung der Wirtschaftswende”. Bei den Koalitionspartnern regt sich Widerstand.
Die FDP-Spitze hat an diesem Montag ein Konzept für schärfere Regeln beim Bürgergeld und das Aus für die Rente mit 63 beschlossen. Das Papier sorgte schon vorab für Streit in der Ampel-Koalition. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert griff den Koalitionspartner im “Tagesspiegel” (Montag) frontal an: “Die SPD lässt nicht zu, dass unser Land mit dem Fingerspitzengefühl von Investmentbankern geführt wird. Grundlage der Ampel-Koalition ist und bleibt der Koalitionsvertrag.”
Das FDP-Präsidium hat das Konzept am Montag beschlossen, am kommenden Wochenende soll der Bundesparteitag der Liberalen in Berlin darüber entscheiden. Das zweiseitige Papier sieht unter anderem vor, dass Jobverweigerern künftig 30 Prozent ihrer Leistungen sofort gekürzt werden können. Bislang ist das nur stufenweise möglich. Zu den zwölf Punkten “zur Beschleunigung der Wirtschaftswende” zählen auch die Abschaffung der Rente mit 63 Jahren, steuerliche Vorteile für das Leisten von Überstunden und ein Bürokratieabbau auf mehreren Ebenen, unter anderem auch im Bausektor.
FDP will an Bürgergeld und Rente
Tatsächlich war die Zahl von Bürgergeldempfängern, denen Leistungen wegen der Ablehnung von Arbeitsangeboten gekürzt wurden, im vergangenen Jahr überschaubar. Laut Bundesagentur für Arbeit (BA) gab es von Februar bis Dezember 2023 insgesamt 15.774 Fälle – bei insgesamt rund 5,5 Millionen Bürgergeld-Beziehern, von denen 3,9 Millionen als erwerbsfähig gelten. Für Januar 2023 liegt keine Differenzierung nach Gründen vor. Insgesamt zählten die Jobcenter im vergangenen Jahr mehr als 226.000 Fälle von Leistungskürzungen. Die meisten (84,5 Prozent) erfolgten demnach, weil die Betroffenen ohne Angabe eines wichtigen Grundes nicht zu Terminen erschienen waren.
Die SPD machte ihrem Ärger geballt Luft. Fraktionschef Rolf Mützenich nannte die Forderungen der FDP “ein Überbleibsel aus der Mottenkiste und nicht auf der Höhe der Zeit”. SPD-Chef Lars Klingbeil nannte es richtig, dass man etwas tun müsse, um die Wirtschaft anzukurbeln und Arbeitsplätze zu sichern. “Wenn die FDP aber glaubt, dass es der Wirtschaft besser geht, wenn es Handwerkern, Krankenschwestern oder Erzieherinnen schlechter geht, dann irrt sie gewaltig”, sagte er “Bild”.
Anders klangen die Töne aus der Grünen-Spitze. Der Co-Parteivorsitzende Omid Nouripour beschwichtigte bei einer Pressekonferenz am Montag: “Die Positionen der FDP sind nicht neu”, sagte er auf Nachfrage. “Parteitage sind dafür da, Beschlüsse zu fassen.” In diesen Fragen gebe es bekanntermaßen unterschiedliche Auffassungen zwischen den Koalitionspartnern. Nouripour betonte: “Wir haben einen gemeinsamen Koalitionsvertrag verabschiedet. Der gilt.”
Die Grünen-Fachpolitikerin Beate Müller-Gemmeke allerdings verurteilte die FDP-Vorschläge zum Bürgergeld scharf. “Die FDP führt eine absolute Scheindebatte”, sagte sie dem stern, “denn gerade mal ein Prozent der Erwerbslosen lehnen Arbeitsangebote ab.” Die Liberalen sollten sich um die “anderen 99 Prozent kümmern”, statt sich auf Kosten einer Minderheit zu profilieren, so die Abgeordnete weiter. “Diese FDP hat überhaupt keinen Kompass mehr und ignoriert die Fakten beim Bürgergeld. Das ist völlig zynisch.” Eine solch “kalte Politik” sei mit den Grünen nicht zu machen.
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