Ukraine: Soldaten-Training in Deutschland mit Krieg im Kopf

Auf einem deutschen Truppenübungsplatz treffen Ausbilder auf die Kriegserfahrung ukrainischer Soldaten. Die NATO-Verteidigungstheorie im Realitätscheck.

ukraine: soldaten-training in deutschland mit krieg im kopf

Besuch beim Training ukrainischer Soldaten bei der Bundeswehr in Deutschland: Der ukrainische Botschafter in Deutschland Makeiev, Verteidigungsminister Pistorius, Bundespräsident Steinmeier (Bildmitte von links)

Weit entfernt von der Frontlinie in der Ukraine trainieren ukrainische Soldaten auf einer Waldlichtung in der Nähe des kleinen Ortes Klietz mit gut 1000 Einwohnern im deutschen Bundesland Sachsen-Anhalt. Die Bundeswehr unterhält dort einen Truppenübungsplatz. Deutsche und ukrainische Soldatinnen und Soldaten zeigten sich dort Ende Februar bewaffnet mit Gewehren und schwerer Ausrüstung auf moosbewachsenem Waldboden den Kameras der Medienvertreter.

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Ukrainische Soldaten beim Kampftraining am deutschen Panzer Leopard 1 A5 auf dem Truppenplatz Klietz im Bundesland Sachsen-Anhalt

Die Gesichter der Soldaten versteckt unter Helmen und verdeckt mit Sturmhauben: Ein bedrohlicher Anblick für die angereisten Medienleute – doch es war nur eine Inszenierung im Gegensatz zur bitteren Realität im Osten und Süden der Ukraine.

Ukrainische Soldaten und deutsche Bundeswehr-Ausbilder präsentierten sich zwei Jahre nach Beginn von Russlands Großinvasion in der Ukraine prominenten Besuchern aus der Hauptstadt Berlin: Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Verteidigungsminister Boris Pistorius und der ukrainische Botschafter in Deutschland, Oleksiy Makeev, besuchten den Bundeswehrstützpunkt gemeinsam mit Medienvertretern zwei Autostunden westlich von Berlin. Der Standort ist Teil der Mission der Europäischen Union zur Ausbildung ukrainischer Streitkräfte. Rund 30.000 Ukrainerinnen und Ukrainer sollen das Programm durchlaufen, ein Drittel wurde bereits ausgebildet – an westlichem Kriegsgerät und in Verteidigungsdoktrien der NATO.

Panzermanöver mit Schießübung

Auf dem Programm stand ein Panzermanöver mit Schießübungen und die Demonstration von Wartungsarbeiten. Auf den ersten Blick waren deutsche und ukrainische Soldaten hinter ihrer Camouflage kaum zu unterscheiden.

Doch der Unterschied ist enorm: In der Ukraine herrscht Krieg. Und das schon seit zehn Jahren als der Kreml die Krim besetzte und eigene Truppen in die ukrainischen Regionen Donezk und Luhansk schickte. Mit der Großinvasion Russlands seit zwei Jahren ist es der größte Landkrieg in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg.

Ihr Land im heißen Krieg: Diese Erfahrung bringen die Ukrainer mit auf den deutschen Truppenübungsplatz. Die Bundeswehr-Infanteristen hingegen sind an das Training nach NATO-Standard gewöhnt: Der Kampf der verbundenen Waffen: Am Boden und in der Luft. Oft trainiert im Manöver.

Kluft zwischen NATO-Theorie und Praxis in der Ukraine

Doch während die Deutschen Taktiken lehren, die sie noch nie in der Praxis anwenden mussten, kommen einige der ukrainischen Auszubildenden auf dem Bundeswehr-Stützpunkt Klietz frisch von der Front. Am Ende des Trainings kehren die Deutschen in ihre Kasernen zurück. Die Ukrainer ziehen wieder in den Kampf an die Frontlinie.

Den ukrainischen Soldaten war das Gespräch mit Medienvertretern untersagt. Der ranghöchste deutsche Offizier vor Ort allerdings ließ tief blicken in den ungleichen Austausch zwischen Soldaten im Krieg und den Deutschen im Frieden. Die große Kluft zwischen NATO-Theorie und der Praxis der Gäste aus der Ukraine sei ständig präsent, sagte Generalmajor Stefan Lüth im DW-Interview.

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Bundespräsident Steinmeier (li.) mit Generalmajor Stefan Lüth auf dem deutschen Truppenübungsplatz

“Also die Erkenntnisse, dass wir das ganz anders machen. Wir setzen Systeme ganz anders ein”, so Lüth bezogen auf NATO-Standards vor Russlands Großinvasion in der Ukraine. Allerdings fließen schon jetzt westliche Analysen des Kriegsgeschehens in der Ukraine in das Training in Deutschland ein. “Insofern ist der Austausch hier auch wichtig, auch für die deutschen Streitkräfte”, so Lüth gegenüber der DW.

Lernen von der Kriegserfahrung in der Ukraine

Die ukrainischen Auszubildenden lernen NATO-Standardmethoden mit den von Deutschland und anderen Ländern bereitgestellten Waffen. Doch die deutschen Ausbilderinnen und Ausbilder lernen etwas vom Kriegsgeschehen in der Ukraine, hören sehr genau zu: Bei den zum Teil bitteren Erzählungen über den schwierigen Kampf der Ukrainer gegen die an Artilleriemuniton und schierer Masse an Soldaten überlegenen Russen an der Front in der Ukraine.

Der mittlerweile weit verbreitete Einsatz von Drohnen – aber auch die Schwachstellen in der Versorgungskette in der Ukraine zwingen die westlichen Berater der Ukraine dazu, viele Annahmen zu überdenken.

Die Ukrainer “erleben das, wie das jetzt plötzlich passiert”, so Lüth. Von diesen Erfahrungen würden die Deutschen lernen.

In Deutschland und Polen trainieren die meisten Ukrainer in der EU

Die militärische Unterstützungsmission der Europäischen Union in der Ukraine (EUMAM) besteht inzwischen seit zwei Jahren. Deutschland und Polen haben den größten Anteil, beteiligt sind die meisten EU-Staaten und Drittländer. Unter Führung der USA unterstützen mehr als 50 Nationen die Ukraine, die meisten davon in Europa.

Nach EU-Angaben wurden bisher 10.000 ukrainische Soldaten ausgebildet, bis Ende 2024 sollen insgesamt 30.000 Soldaten das Programm absolvieren. Die USA und Großbritannien führen eigene Ausbildungsprogramme durch.

Dabei stößt die Einhaltung des Versprechens der Ukraine-Unterstützer, dem angegriffenen Land “so lange wie nötig” zu helfen auf innenpolitische Hindernisse. In den USA blockieren die Republikaner im Repräsententantenhaus weiterhin 60 Milliarden Dollar Militärhilfe für die Ukraine.

In Deutschland rühmt Bundeskanzler Olaf Scholz das neue bilaterale Sicherheitsabkommen mit der Ukraine und die in absoluten Zahlen führende Position seiner Regierung bei der finanziellen Unterstützung. Allerdings drängt Deutschland darauf, seinen Anteil am EU-Fonds für die Ukraine mit den bilateralen Hilfen gegenzurechnen.

Am Tag vor dem Steinmeier-Pistorius-Truppenbesuch hat die Regierungsmehrheit einen Oppositionsantrag abgelehnt, der ausdrücklich die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern mit einer Reichweite von 500 Kilometern forderte.

Scholz lehnte die Taurus kürzlich ab, da er befürchtete, dass Deutschland dadurch in einen Krieg verwickelt werden könnte. Der Einsatz dieser Waffe würde eine direkte deutsche Beteiligung an der Zielauswahl in der Ukraine bedeuten, so die Argumentation des Bundeskanzlers.

US-Historiker Snyder: Ukraine kann gewinnen

Die EU konnte ihr Versprechen, der Ukraine bis März eine Million Artilleriegranaten zu liefern, nicht halten. Seit der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar gibt es allerdings Bewegung: Der tschechische Präsident Petr Pavel hatte erklärt, Fachleute seines Landes hätten Chargen aus tschechischer Produktion identifiziert, die weltweit zurückgekauft werden könnten. Er forderte allerdings eine Finanzierung zum Beispiel durch die EU. Frankreich hatte lange darauf gepocht, dass mit EU-Geld Munition und Waffen nur in den EU-Staaten gekauft werden sollten. Doch diese Position gibt Paris bezogen auf die Artilleriemunition gerade auf.

In den USA ist der Historiker und Ukraine-Kenner Timothy Snyder überzeugt: “Ganz sicher kann die Ukraine gewinnen. Das Problem sind nicht die Ukrainer, das Problem sind wir – Europa und Nordamerika”, sagte Snyder zuletzt in einem Interview mit der deutschen Zeitung taz (die Tageszeitung).

Ende Februar hatte die französische Regierung eilig zu einem hochrangigen Treffen der europäischen Ukraine-Unterstützerstaaten nach Paris eingeladen. Der französische Präsident Emmanuel Macron wird immer wieder kritisiert, weil sein Land viel weniger Kriegsgerät an die Ukraine liefert als Deutschland oder – gemessen an der Wirtschaftsleistung – die baltischen Staaten oder Polen.

Schlagzeilen machte Macrons Äußerung, die Entsendung von Bodentruppen in die von Russland angegriffene Ukraine nicht mehr auszuschließen. Unklar aber ist, was daraus folgt.

Umfrage: Europas Bürger gespalten

Ähnlich schwankt auch die öffentliche Meinung in Europa. Zumindest nach einer neuen Umfrage der Denkfabrik ECFR (European Council on Foreign Relations). Demnach schlägt sich die Zurückhaltung in Europas Hauptstädten der Ukraine alles zu geben, um gegen Russland gewinnen zu können auch auf die öffentliche Meinung nieder.

Nach einer neuen ECFR-Umfrage sind mehr Menschen in der EU dafür, auf Frieden zu drängen, als auf die Rückeroberung der an Russland verlorenen Gebiete zu drängen. Deutschland liegt mit 41 zu 32 Prozent fast genau in diesem Durchschnitt.

Demgegenüber lehnen eine Gebietsaufgabe zugunsten der Besatzer aus Russland 91 Prozent der Ukrainerinnen und Ukrainer nach einer Umfrage der Münchner Sicherheitskonferenz ab.

“Russland rückt langsam aber allmählich vor”

“Die Menschen neigen dazu, die Situation als Patt zu beschreiben. Tatsächlich ist das nicht der Fall. Entlang der Frontlinie konnten die russischen Truppen sehr langsam und allmählich weiter vorrücken”, sagte András Rácz, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), Ende Februar bei einem Pressegespräch in Berlin.

Die ukrainischen Streitkräfte verfügen im Vergleich zu Russland über weniger Soldaten. Das führe nach der gescheiterten Gegenoffensive 2023 jetzt zu einer “aktiven Verteidigung”. Die Ukraine versuche die Frontlinie zu halten, bis sie militärisch stark genug sei, um einen weiteren Angriff zu wagen. Dies würde mehr und modernere Waffen erfordern, die die größten Waffenlieferanten der Ukraine verweigert oder verzögert haben, so der DGAP-Analyst.

Weit weg von den schwankenden politischen Debatten in Europas Hauptstädten, trainieren die ukrainischen Soldaten und ihre Ausbilder auf dem deutschen Truppenübungsplatz in Klietz weiter.

“Das ist ein wichtiger Auftrag hier, der einen Beitrag leistet, der sicher nicht alles löst, aber der die Ukraine aktiv unterstützt”, sagte Generalmajor Lüth beim Trainingsbesuch im ostdeutschen Bundesland Sachsen-Anhalt. Lüth verbreitete Zuversicht: Die politische Diskussion wie der Ukraine künftig geholfen werden kann entwickle sich weiter, so Lüth: “Ich glaube, wenn wir alle, also auch Journalisten, Politiker darüber aktiv reden und das im Bewusstsein halten, dann ist das für uns in der Umsetzung kein Problem.”

Dieser Beitrag erschien zunächst auf Englisch.

Autor: William Glucroft

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