Britische Konservative erleiden heftige Wahlschlappen
London. Seit 14 Jahren regieren die Torys, und seit dem Brexit-Referendum 2016 war die Regierungsführung oft chaotisch. Der Wunsch, die Konservativen abzustrafen, ist groß, wie man jetzt an den Ergebnissen der Kommunalwahlen sehen kann.
Die Wähler kommen ins Wahllokal in der St. Alban’s Church im Süden Londons, um ihre stimme bei der Oberbürgermeisterwahl in London abzugeben.
Als in den frühen Morgenstunden des Freitags das Ergebnis verkündet wurde, war die Sensation perfekt. In einer Nachwahl zum Unterhaus im britischen Seebad Blackpool gewann Labour deutlich mit einem 26-prozentigen Wählerumschwung vor den Konservativen, die den Sitz 2019 errungen hatten. Chris Webb, der frischgebackene Abgeordnete, erklärte: „Die Menschen in Blackpool haben für Großbritannien gesprochen.“ Er sprach den Premierminister Rishi Sunak direkt an: „Seien Sie anständig, geben Sie zu, dass Sie versagt haben und setzen Sie Parlamentswahlen an!“
Rishi Sunak wird sich hüten. Es liegt im Benehmen des Premierministers, den Zeitpunkt für die Unterhauswahlen zu bestimmen, aber der letzte große Stimmungstest spricht nicht für einen frühen Termin. Die Ergebnisse in den verschiedenen Wahlen, die am Donnerstag stattgefunden haben – von der Nachwahl in Blackpool, bis zu den Kommunalwahlen in England und den Bürgermeisterwahlen in elf Metreopolregionen – sind für die konservative Regierungspartei wahrlich schlecht ausgefallen. Als „nahezu katastrophal“ bezeichnete sie der Wahl-Guru Professor John Curtice.
Der angesehene Politologe von der Universität Strathclyde prophezeite den Torys den Verlust der Hälfte ihrer knapp tausend Gemeinderatssitze. Die Wahlergebnisse bestätigen, so Curtice, „dass die Partei versagt hat, in den letzten zwölf Monaten die Lücke zu Labour zu schließen“, die immerhin in den nationalen Meinungsumfragen konstant um 20 Prozent vor den Torys liegen. Mit britischem Understatement attestierte Curtice den Konservativen, „in tiefen Schwierigkeiten an der Wahlurne“ zu stecken. Seit 14 Jahren regieren die Torys, und seit dem Brexit-Referendum 2016 war die Regierungsführung oft chaotisch, von Partygate unter Boris Johnson bis zu den eine Finanzkrise auslösenden Steuerplänen der nur 49 Tage im Premierminsteramt weilenden Liz Truss. Kein Wunder also, dass die Wechselstimmung im Land weit verbreitet ist. Die Leute regt auf, dass viele Kommunen vor der Pleite stehen, dass die Wasserwerke munter Fäkalien in Flüsse einleiten dürfen und dass die Straßen vor Schlaglöchern nur so strotzen. Man macht die Torys für den Brexit, für die schwächelnde Wirtschaft und für die Lebenshaltungskostenkrise verantwortlich. Der Wunsch, die Konservativen abzustrafen, ist somit groß.
Von der Wechselstimmung profitiert auch die Partei Reform UK, die klar rechts von den Konservativen aufgestellt ist und von „Mister Brexit“ Nigel Farage gegründet wurde. Sie hat in den letzten Monaten in den Meinungsumfragen immer mehr an Zuspruch erfahren, liegt mittlerweile bei rund zwölf Prozent in der Wählergunst und nimmt den Konservativen die Stimmen weg. Deutlich wurde das bei der Nachwahl in Blackpool, wo Reform nur 117 Stimmen weniger als der Tory-Kandidat David Jones erzielte. „Das war mit deutlichem Vorsprung unser bestes Nachwahl-Resultat“, freute sich der Reform-Chef Richard Tice, „hier im Norden werden wir die wirkliche Opposition zu Labour.“
Solche Töne und Resultate jagen den Abgeordneten der Regierungsfraktion einen Schauder über den Rücken. Der Gefahr von rechts wollen sie mit einem eigenen Rechtsruck begegnen, um eine katastrophale Niederlage bei den kommenden Parlamentswahlen doch noch abzuwenden. Daher werden die gerade erlittenen Wahlschlappen zu einer Gefahr für den Premierminister. Das Politmagazin „Spectator“ hatte Rishi Sunak für dieses Wochenende „den Moment seiner größten Verwundbarkeit“ attestiert. Wenn der Leidensdruck für die Fraktion zu groß wird, muss der Premierminster mit einem Fenstersturz rechnen.
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