Brexit-Kontrollen: Die Thüringer Rostbratwurst wird zum raren Gut in London
Woher stammt das Fleisch für die Thüringer Bratwurst? Die Auflagen für den Import der Waren nach Großbritannien sind seit dem Brexit gestiegen.
In Großbritannien sind neue physische Sicherheits- und Gesundheitskontrollen auf Agrarprodukte und Lebensmittel aus dem Ausland einschließlich EU-Ländern in Kraft getreten. Wirtschaftsvertreter warnten, dass diese zu höheren Kosten für Verbraucher und einer reduzierten Auswahl führen können, etwa für manche Wurstwaren oder Käse.
Am neuen Grenzzollzentrum in Sevington, ein paar Kilometer hinter Dover, wurden seit Dienstag vereinzelt Lastwagen, die über den Ärmelkanal kommen, kontrolliert. Stichprobenartig müssen Fahrer für ihre Agrar- und Lebensmitteltransporte Gesundheitszertifikate vorweisen. Das von manchen befürchtete Chaos mit langen Warteschlagen und gestörten Lieferketten blieb diese Woche indes aus.
Regierung will unschöne Bilder vermeiden
„Bislang fühlt es sich ganz ruhig an“, sagt Liam Challenger, Sprecher des Kühlwaren-Logistikverbands Cold Chain Federation. „Die Regierung will auf jeden Fall Bilder von einem riesigen Laster-Chaos an der Grenze vermeiden.“ Ob es aber doch zu Störungen in der Lieferkette kommen werde, könne man erst in ein paar Wochen sagen.
Die neue Hürde an der Grenze bedeutet für viele Unternehmen zusätzliche Kosten und Bürokratie. In einer aktuellen Umfrage der Britischen Handelskammer in Deutschland gaben 34 Prozent der grenzüberschreitend tätigen Unternehmen an, dass die Einführung des neuen Zollsystems in diesem Jahr ihre größte Sorge sei. Die seit Dienstag berechnete „Common User Charge“ (Nutzergebühr) dürfte vor allem kleinere Händler abschrecken.
Für einzelne Produkte tierischen Ursprungs mit „niedrigem Risiko“ wird eine Gebühr von 10 Pfund je Warenart fällig, für Produkte in der Kategorie „mittleres Risiko“ wie Wurst und Fleisch sind es 29 Pfund, ebenso für „Hochrisikowaren“ – maximal 145 Pfund (169 Euro) je Lieferpalette mit unterschiedlichen Produkten. Für einen Lastwagen voll gekühlter Waren würden schnell 1000 Pfund Zusatzkosten fällig, schätzt Phil Pluck, der Chef des Logistikverbands CCF.
Extrakosten in Millionen- oder Milliardenhöhe?
Die britische Regierung behauptete nach einer internen Berechnung, dass die neuen Zoll- und Importkontrollen die Volkswirtschaft nur 330 Millionen Pfund im Jahr kosteten. Andere Handelsexperten kommen auf sehr viel höhere Schätzungen. Laut einer Überschlagsrechnung der Ökonomin Ana Boata von Allianz Trade könnten die Kontrollen jährlich 2 Milliarden Pfund (2,3 Milliarden Euro) Extrakosten verursachen. Sie beträfen 150 Agrargüter im Importwert von rund 21 Milliarden Pfund, was etwa 3 Prozent der britischen Wareneinfuhr und rund 8 Prozent der Einfuhren aus der EU darstelle. Die Extrakosten von bis zu 10 Prozent des Importwerts werden die Inflation in Großbritannien anheben.
Laut der Berechnung von Allianz Trade könnte die britische Teuerungsrate im April um 0,15 Prozentpunkte steigen. Ein anderer Handelsexperte errechnete für den Fernsehsender ITV, dass die neuen Zollregeln einen durchschnittlichen britischen Haushalt durch höhere Ausgaben für Lebensmittel im Schnitt etwa 8 Pfund im Monat kosten würden.
Weniger Produkte, höhere Preise
Was die neuen Kontrollen in der Praxis gerade für Kleinunternehmen bedeuten, schildert Susann Schmieder von German Deli. Das Handelsunternehmen für deutsche Lebensmittel und Feinkost in Ost-London importiert etwa Thüringer Rostbratwürste und andere deutsche Wurst. „Früher hatten wir 26 Sorten Würste im Angebot, jetzt nur noch fünf“, sagt Schmieder. Außerdem bestelle sie nur noch selten Paletten mit Waren.
Der bürokratische Aufwand für die Gesundheitszertifikate koste das Unternehmen im Jahr wohl mehrere Tausend Pfund. Für manche Produkte wie den Schwarzwälder Schinken bekomme sie gar kein Gesundheitszertifikat, erklärt Schmieder.
„Der Aufwand ist echt hoch“, stöhnt sie. Damit German Deli die Bratwürste aus Thüringen nach Großbritannien einführen darf, muss eine Amtstierärztin beim Wurstproduzenten in Schmalkalden detailliert dokumentieren, woher das Fleisch stamme, wo die Tiere geboren, aufgezogen und geschlachtet worden seien und wie das Fleisch verarbeitet worden sei, berichtet Schmieder. Jedes Zertifikat koste künftig rund 160 Euro.
„Das Ergebnis wird sein, dass wir weniger Waren importieren, weniger Produkte anbieten und die Preise steigen.“ Eine Sechserpackung Rostbratwürste werde dann die Endverbraucher nicht mehr 7,50 Pfund, sondern 10 Pfund kosten. Andere Unternehmen haben den Import aufgegeben. „Wir haben künftig in London wohl ein Monopol auf die Thüringer Bratwürste“, sagt Schmieder. Nur sei unklar, wie die Kunden auf den Preissprung reagieren.
Die Regierung in London hatte die Einführung des neuen Grenzkontrollsystems nach dem Brexit Ende 2020 fünfmal verschoben, weil sie selbst die höheren Kosten für Unternehmen und Verbraucher fürchtete. Die EU ihrerseits kontrolliert schon seit Längerem. Die Briten sind besonders für Fleischwaren ein großer Importeur. Nach Angaben des Verbands der Fleischindustrie (BMPA) führt das Land 22 Prozent seines Rindfleischs, 21 Prozent des Schaf- und 49 Prozent des Schweinefleischs aus dem Ausland ein. Der Großteil davon kommt aus der EU.
Der britische Bauernverband begrüßte diese Woche die neuen Kontrollen. Diese seien nötig, „um die Lebensmittelsicherheit der Nation sicherzustellen“, sagte die National Farmers Union. Die britischen Bauern beklagten, dass ihre Agrarexporte in die EU seit dem Brexit unfairerweise schärfer kontrolliert worden seien als bislang EU-Lieferungen auf die Insel.