Studentin der Freien Universität Berlin: „Wenn jemand meinen Davidstern sieht, habe ich Angst“

studentin der freien universität berlin: „wenn jemand meinen davidstern sieht, habe ich angst“

Vor der Mensa der FU Berlin demonstrieren am Freitagnachmittag Mitglieder von „Fridays for Israel“.

Wissenschaft lebt von Dialog und Austausch. Das ist ein Satz, der in einer Mitteilung steht, die die Humboldt-Universität Berlin (HU) in der Nacht zum Freitag veröffentlicht. Nur wenige Stunden vorher ist es im Hauptgebäude der 214 Jahre alten Einrichtung einmal mehr zu einem Eklat zwischen propalästinensischen Studenten und Israelis gekommen. Im Hörsaal schrien mehrere Menschen mit Palästinenser-Tuch „Stop the Genocide!“ und brachten so eine wissenschaftliche Veranstaltung zum Abbruch.

Geschrieben hat diesen Satz mit „Dialog und Austausch“ Cornelia Woll, die Präsidentin der Hertie School, die Co-Veranstalter der Podiumsdiskussion war. Sie schrieb auch einen Satz, der nicht gerade Mut macht: „Wenn wir nur noch unter hohen Sicherheitsauflagen in abgeschlossenen Räumen diskutieren können, führt das nicht nur die Wissenschaft, sondern auch unsere Demokratie in eine Sackgasse.“

Die beiden Universitäten hatten am Donnerstagabend unter anderen Daphne Barak-Erez eingeladen, eine Richterin am israelischen Verfassungsgericht. Sie ist auch Jura-Professorin und wollte in diesem Zusammenhang auf dem Podium über ihren Kampf für die Gewaltenteilung während der umstrittenen Justiz-Reform in Israel reden. Sie gilt als Gegnerin des israelischen Präsidenten Benjamin Netanyahu, aber das war den Demonstranten egal. Sie standen auf und verlasen ein Statement. Als die Moderatoren auf dieses Statement eingehen wollten, wurden sie jedoch, man muss es so sagen, niedergebrüllt. Eine Diskussion war nicht möglich.

Julia von Blumenthal, Präsidentin der Humboldt-Universität zu Berlin, schämt sich gegenüber ihren Gästen für diesen Abend. „Wir haben sie zu einer wichtigen Diskussion eingeladen, die nicht wie geplant stattfinden konnte.“ Sie sieht die HU als einen Ort, an dem auch äußerst kontroverse Positionen diskutiert werden können. „Aber das geht nur, wenn man sich gegenseitig zuhört“, sagt sie, „dazu gab es von Seiten der Aktivisten heute keine Bereitschaft.“

Das ist etwas, was sich derzeit wiederholt, die Bereitschaft zu diskutieren, sie schwindet auf Seiten der Propalästinenser, die auch am Freitag wieder fahnenschwingend vor dem Ministerium für Entwicklungszusammenarbeit stehen, nicht weit vom Potsdamer Platz. Als ein Reporter der Berliner Zeitung mit ihnen sprechen will, schicken sie ihn weg. Hau ab! Stattdessen brüllen sie die Losung: „Eins, zwei, drei, vier – in Frieden leben wollen wir.“

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Noam Petri, Vizepräsident der Jüdischen Studierendenunion, demonstriert am Freitag vor der FU Berlin.

Schrill ist der Ton geworden in der Debatte derzeit – und unversöhnlicher. Das liegt vor allem an einem Vorfall vor einer Woche am Rosenthaler Platz: Ein 23 Jahre alter Lehramtsstudent der Freien Universität geriet dort einer ersten Meldung der Polizei zufolge mit einem Kommilitonen in Streit über den Gaza-Konflikt. Der zweite Student ist der Bruder des jüdischen Comedian Shahak Shapira: Lahav Shapira.

Der 23-Jährige prügelte und trat schließlich so sehr auf Lahav ein, dass dieser ins Krankenhaus musste, weil er mehrere Brüche im Gesicht erlitt, und eine lebensgefährliche Hirnblutung verhindert werden musste. Shahak Shapira hat der Darstellung der Polizei nach Gesprächen mit seinem Bruder sofort widersprochen. Sein Bruder sei verfolgt und überfallen worden, ohne dass es Streit gegeben habe, sagt er.

Im Laufe der Woche nimmt die Berliner Staatsanwaltschaft die Ermittlungen wegen des Vorwurfs der gefährlichen Körperverletzung auf. Es geht da auf offiziell nicht mehr um einen Streit zwischen Studenten, wie ihn Propalästinenser immer noch gern darstellen wollen: Die Tat ist jetzt im Behördendeutsch „sowohl als antisemitisch als auch mit dem Nahost-Konflikt in Zusammenhang stehend eingestuft“.

Der Überfall vom Rosenthaler Platz ist ein Politikum geworden. Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) will, dass der Täter „schnell und hart“ bestraft werde. Er erwarte auch von der Hochschulleitung Konsequenzen, damit sich jüdische Studentinnen und Studenten wieder sicher fühlten. Berlins Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) sprach sich für ein Hausverbot für den mutmaßlichen Täter aus. Eine Exmatrikulation lehnte sie aber weiter ab.

Der Zentralrat der Juden hat Czyborra den Rücktritt nahegelegt. Zentralratspräsident Josef Schuster: „Ich bin der Überzeugung, dass Frau Czyborra für ihr Amt nicht mehr geeignet ist.“ Tatsächlich hatte die Senatorin den Vorgang zunächst als „Konflikt“ herunterspielt und gesagt, sie sehe keinen Anlass für eine Änderung des Berliner Hochschulgesetzes.

Am Freitag steht ein bulliger Polizist mit schwarzer Mütze vor der Mensa II der FU Berlin. Zu einem Demonstranten sagt er streng: „Bitte einmal herzeigen.“ Der Demonstrant hält dem Polizisten sein Schild entgegen. Der macht ein Foto mit seiner Handykamera und bedankt sich. Alle Schilder werden heute aufgenommen. Man geht ruhig und systematisch vor. Niemand will Ärger.

Petra G. zeigt sich am Freitag irritiert über die Protestkultur derzeit. Die 53-jährige Charlottenburgerin hat selbst am Otto-Suhr-Institut studiert und ist gekommen, um sich für jüdisches Leben an ihrer Alma Mater einzusetzen. „Früher hat man ruhiger miteinander diskutiert“, sagt sie. Die Leute damals seien zwar auch sehr kritisch und emotional gewesen. „Aber sie hatten wenigstens Humor, das fehlt mir heute.“

Die Demonstration am Freitag gilt vor allem der Unileitung: „Wir werden so lange hier stehen, bis aus den Worten des Uni-Präsidenten endlich Taten werden“, sagt Noam Petri, Vizepräsident der Jüdischen Studierendenunion. Er studiert Medizin an der Charité. „Wir erwarten, dass gegen den Täter ein Hausverbot durchgesetzt wird.“ Außerdem solle endlich systematisch gegen linksextreme Gruppen an der Uni vorgegangen werden.

Tatsächlich teilt die Universitätsleitung am Abend mit, dass für den 23-jährigen Studierenden, der seinen Kommilitonen krankenhausreif geschlagen hat, ein dreimonatiges Hausverbot gilt. Es gilt nur für Präsenzveranstaltungen, er könne also weiterhin an Online-Veranstaltungen teilnehmen, allerdings nicht das Gelände der Universität betreten. Das Hausverbot kann nach drei Monaten verlängert werden.

Das Bündnis „Fridays for Israel“ hat an diesem Freitag um 13 Uhr zu einer Mahnwache aufgerufen, es soll eine ruhige Demonstration werden. Man wolle bewusst einen Kontrast zur lauten propalästinensischen Demo vom Donnerstag. Rund 85 Menschen hatten am Vortag an der gleichen Stelle zu einer Demonstration aufgerufen, unter dem Titel „Solidarität mit Palästina“. Im Internet kursierten Videos, auf denen man eine aufgeheizte Stimmung sah. Vereinzelt ging die Polizei dazwischen.

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Unter den  Demonstranten: Grünen-Politiker Ricarda Lang und Volker Beck.

Die Gruppe an Demonstranten ist sehr divers: ältere Menschen, junge Studierende, eine Frau im Rollstuhl. Die Farben Blau und Weiß dominieren auf den Plakaten, es sind auch die Farben der Flagge Israels. Unter den Demonstrierenden sind einige Polit-Prominente: der Juso-Vorsitzende Philipp Türmer, der Grünen-Politiker Volker Beck und Ricarda Lang, Bundesvorsitzende der Grünen.

Lang ist besorgt: „Man hat zu lange weggehört“, sagt die Grünen-Politikerin. „Man hat nur nach rechts und in seinen linken Freundeskreisen vielleicht nicht genau genug geschaut.“ Zur Frage nach Exmatrikulationen hält sie sich bedeckt: „Wenn es zu antisemitischer Gewalt kommt, muss es auch Konsequenzen haben.“ Welche genau, sagt sie nicht.

Eine klare Meinung zu Exmatrikulationen hat Anan Zen, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit der israelischen Botschaft in Berlin: „Jede Gewalttat muss Konsequenzen haben. Dieser Gewalttäter muss von der Universität ausgeschlossen werden.“ Er solle an keiner deutschen Universität mehr studieren dürfen. „Ich hoffe, dass die Universität eine klare Haltung dazu bezieht.“

Die Demonstration ist nicht von Studierenden organisiert. „Ich bin berufstätig“, erklärt Clara Nathusius (28) aus Mitte. Sie ist Mit-Initiatorin des Bündnisses „Fridays for Israel“. „Aus jeder Gesellschaftsschicht ist heute jemand da“, sagt Nathusius, die auch im Bundesvorstand der CDU Jugendorganisation Junge Union sitzt. Mit Anan Zen von der israelischen Botschaft verabredet sie sich noch auf einen Kaffee für die Woche nach der Münchner Sicherheitskonferenz. Man kennt sich, scherzt miteinander.

Auch einige Studierende sind gekommen. Eine 25 Jahre alte Frau aus Steglitz studiert Kunstgeschichte und Publizistik an der FU. „Ich bin heute hier, weil ich jüdisch bin“, sagt sie, ihren Namen möchte sie nicht nennen. „Jedes Mal, wenn mein Davidstern unter meinem T-Shirt herausfällt, habe ich Angst, dass ihn jemand sieht“, sagt sie.

Wie sehr der Hass im Internet noch einmal schlimmer wurde in den vergangenen Tagen, konnte man an den Antworten auf Posts von Shahak Shapira ablesen. Mehrmals täglich schrieb er etwas zum Zustand seines Bruders oder darüber, wie sehr es ihn schockiert, dass Menschen einen körperlichen Angriff zu rechtfertigen versuchen. Immer wieder wurde er mit Täter-Opfer-Umkehr konfrontiert, immer wieder hieß es, sein Bruder Lahav sei selbst schuld, dass er angegriffen wurde.

Da macht es Hoffnung, dass ausgerechnet ein palästinensischer Israeli diese Relativierung genauso furchtbar findet, und sich für „Dialog und Austausch“ einsetzt. Jules El-Khatib setzt sich in den sozialen Medien für Menschenrechte und einen Waffenstillstand in Gaza ein, Shahak Shapira hat er durch diese Arbeit nach dem Attentat vom 7. Oktober kennengelernt. „Es gibt keinerlei Rechtfertigung für Gewalt“, sagt er am Freitag der Berliner Zeitung. „Das ist unser gemeinsamer Nenner und das muss er auch bleiben.“

Die Zahl der Menschen, die sich für Frieden und Sicherheit für alle einsetzen, sei zu gering, dies zeigen leider auch Kommentare in den sozialen Medien. Er sagt: „Wenn ich für einen Waffenstillstand und gegen Gewalt im Nahen Osten auf die Straße gehe, dann lehne ich diese selbstverständlich auch hier ab und verurteile es, wenn Menschen in Berlin angegriffen werden.“

Er wünscht Lahav Shapira, dass er schnell gesund wird und sich erholen kann.

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