Borussia Dortmund befördert eine Legende: Lars Ricken wird Sportgeschäftsführer – und sticht dabei einen alten Kumpel aus

Wer ist Lars Ricken? Für die Fans von Borussia Dortmund ist diese Frage schnell beantwortet: eine Ikone des Ruhrgebietvereins. Der ehemalige Offensivspieler hat seine Fussballerkarriere vom 14. Lebensjahr an bei der Borussia verbracht. Unvergesslich ist jene Szene aus dem Mai 1997, als Ricken von seinem damaligen Trainer Ottmar Hitzfeld im Final der Champions League gegen das turmhoch favorisierte Juventus Turin um Zinedine Zidane eingewechselt wurde.

Ricken war erst ein paar Sekunden auf dem Feld, da schickte ihn Andreas Möller, der genialische Spielmacher, auf die Reise zum gegnerischen Tor. Und Ricken lupfte den Ball über den Juventus-Keeper Angelo Peruzzi zum 3:1. Der Aussenseiter triumphierte.

Ricken hat sich mit diesem Tor verewigt. Unterdessen ist er 47 Jahre alt, noch immer ist er bei der Borussia, und er wird schon Anfang Mai eine bedeutende Rolle im Verein einnehmen, wie letzte Woche bekanntwurde. Ricken steigt im BVB zum Geschäftsführer Sport auf – und übernimmt damit einen Teil des Jobs, den Hans-Joachim Watzke bisher ausgefüllt hat, der CEO der Dortmunder, der seinen im Herbst 2025 auslaufenden Vertrag nicht verlängert. Somit wird Ricken die Halbfinal-Partien in der Champions League gegen Paris Saint-Germain, von denen die erste am kommenden Mittwoch stattfindet, in neuer Funktion anschauen.

So feierte Lars Ricken das 3:1 gegen ;Juventus Turin beim Dortmunder Gewinn der Champions League 1997. Sven Simon / Imago

Rickens Erfolge mit der BVB-Jugend lassen die Bayern neidisch nach Dortmund blicken

Rickens Berufung ist nicht bloss seiner langen BVB-Vita wegen interessant, sondern auch, weil er einem anderen namhaften Protagonisten vorgezogen wurde: dem Sportdirektor Sebastian Kehl, der lange als Favorit auf diese Position gegolten hatte. Wer möchte, der kann darin einen signifikanten Schritt auf dem Weg zur Erneuerung der Dortmunder Führungsspitze sehen.

Watzke, der mächtige Mann der Borussia, will die Weichen für seine Nachfolge stellen. Dass Ricken dabei eine Schlüsselrolle zukommen wird, hat nicht bloss mit seiner gloriosen Karriere als Spieler und der engen Beziehung zum Klub zu tun. Ricken verantwortet seit einem Jahrzehnt die Nachwuchsarbeit der Borussia – und die ist in einem Masse erfolgreich, dass man beim Konkurrenten Bayern München neidisch in Richtung Westfalenpark blickt.

Sieben Meisterschaften gewannen die U-17- und U-19-Teams des BVB, der bayrische Rekordchampion kommt in diesem Zeitraum gerade auf einen einzigen Titel. Als leidenschaftlicher Verfechter des Leistungsgedankens auch beim Nachwuchs ist Lars Ricken aufgetreten, der einst selber in der Jugend der Borussia sozialisiert wurde.

Wenn er sich heute im Gespräch an diese Zeit erinnert und Vergleiche zur Gegenwart zieht, spricht Ricken von unterschiedlichen Welten: Als die Borussia noch im Dortmunder Hoeschpark trainierte, erschien ein komfortables Trainingszentrum mit mehreren Fussballplätzen, wie es nun in Dortmund-Brackel existiert, wie eine Illusion. «In den Duschen kam damals noch der Pilz von der Decke», sagte Ricken der NZZ. Heute, wo leicht der Eindruck entstehen kann, dass jeder Juniorenspieler einen eigenen Medienberater hat, wirken die Verhältnisse von damals geradezu possierlich. Seinerzeit musste noch der Trainer Hitzfeld die Interviews für den Jungstar Ricken verabreden.

In einem Werbespot gab er den Kommerzkritiker

Ricken wurde Zeuge der Transformation. Und kommentierte diese bisweilen öffentlich. In dem Jahr, in dem Borussia Dortmund die Champions League gewann, kursierte ein Werbespot, der für viel Aufsehen sorgte: Der junge Ricken streift am Abend durch das leere Westfalenstadion und beklagt, was der Kommerz aus dem Fussball gemacht habe: «Ich sehe VIP-Logen, wo früher Stehplätze waren. Ich sehe Spieler, die öfter mit der Presse reden als mit ihrem Coach. Ich sehe Vereine, die teure Profis kaufen, statt den Nachwuchs zu fördern. Ich sehe Typen in Nadelstreifen und Geschäftemacherei ohne Ende. Und dann sehe ich, was mir wirklich wichtig ist.»

Wäre dieser kurze Einspieler nicht vom Sponsor Nike veröffentlicht worden, hätte man darin ein kleines Manifest wider die ausufernde Kommerzialisierung sehen können – und zwar von einem, der die Geschehnisse trotz seiner Jugend kritisch reflektierte. So aber wirkte Rickens Fundamentalkritik an jener Dekadenz, die gerade den BVB im Speziellen befallen hatte (der Klub stand 2005 am Rande der Insolvenz), nicht gerade unschuldig. Und hätte sein zauberhaftes Tor gegen Juventus nicht mässigend auf die Kritiker gewirkt, wäre ihm diese Einlassung vielleicht noch ein wenig länger verübelt worden. Zumal die Karriere des jungen Angreifers auch wegen vieler Verletzungen nicht den erhofften Verlauf nahm.

Aber vielleicht prädestinierte ihn gerade dies für seine Funktion als Nachwuchschef der Borussia. Den steten Wandel und die damit einhergehenden Ansprüche an junge Spieler hat Ricken nicht nur intensiv beobachten können, er hat die Auswirkungen am eigenen Leib erfahren. Womöglich ist es dem BVB auch wegen Leuten wie Ricken immer wieder gelungen, junge, hochbegabte Spieler für den Klub zu gewinnen, die sich dort für Klubs vom Schlage Real Madrids oder des FC Barcelona empfehlen konnten, man denke nur an Ousmane Dembélé oder Jude Bellingham.

Die Arbeit des neuen Sportgeschäftsführers war somit Teil des Dortmunder Geschäftsmodells, das Segen und Fluch zugleich ist. Wer den besten Talenten des Kontinentes eine Rampe bietet, der mag an den Transfers der gefragten Jungprofis gut verdienen – bei hoher Fluktuation aber fällt es eben schwer, das sportliche Niveau zu konsolidieren.

Der Scout Sven Mislintat kehrt zurück

Rickens Berufung kann jedenfalls als ein Indiz dafür angesehen werden, dass der Klub sich seiner Stärke in der Talentförderung besinnt. Eine weitere Personalie deutet ebenso darauf hin: Sven Mislintat, der lange Zeit als Scout für viele hervorragende Verpflichtungen verantwortlich zeichnete, ist in den Klub zurückgekehrt. Er hatte Dortmund 2017 im Streit mit dem damaligen Trainer Thomas Tuchel verlassen, nachdem er zuvor neunzehn Jahre lang für den BVB tätig gewesen war.

Geht es um das Erspähen von Talenten, so werden Mislintat geradezu übernatürliche Fähigkeiten nachgesagt. Allerdings hat er nirgends so erfolgreich wirken können wie in Dortmund. Im FC Arsenal blieb er nur zwei Jahre, im VfB Stuttgart wurde sein Vertrag vorzeitig aufgelöst. Zudem gilt sein Verhältnis zu Sebastian Kehl als nicht gerade unbelastet: Mislintat hatte sich einst für den Posten des Sportdirektors ins Gespräch gebracht, den Kehl gegenwärtig bekleidet.

Fraglich ist, wie es um Kehls Zukunft bei der Borussia bestellt ist, da ihm Ricken als Geschäftsführer vorgezogen wurde. De facto wird Kehls Kompetenzbereich durch die Engagements von Ricken und Mislintat deutlich eingeschränkt.