Spionage: Luftwaffen-Chef: Unterwegs mit dem Mann, der abgehört wurde

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02.03.2024, Lettland, Lielvarde: Oberstleutnant Swen Jacob (r), deutscher Kontingentführer, spricht data-portal-copyright=

Bloß nicht einschüchtern lassen, sagt der Luftwaffen-Chef Ingo Gerhartz. Militärgeheimnisse wurden offenbar nicht verraten – politisch aber ist die Sache heikel.

Eigentlich ist es ein Routinetermin, soweit sich bei deutschen Kampfjets unweit der russischen Grenze überhaupt von Routine sprechen lässt. Luftwaffen-Inspekteur Ingo Gerhartz besucht an diesem Sonnabend die knapp 200 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, die von der lettischen Air Base Lielvarde aus den Nato-Luftraum über dem Baltikum schützen. Erst am Freitag ging das neue Einsatzkontingent gleich wegen eines russischen Spionagefliegers in die Luft.

Ob dem Gast an diesem Tag der Sinn danach steht, ist fraglich. Schließlich ist Gerhartz über Nacht ins Zentrum einer Spionageaffäre gerückt, die das Potenzial hat, die Republik noch eine Weile zu beschäftigen, und Fragen zu seiner Person aufwirft. Wegen seiner Aussagen hat Ex-Kremlchef Dmitri Medwedew „Tod den deutschen Faschisten“ gewünscht und Deutschland zum „Erzfeind“ erklärt.

///Über Zerstörung der Kertsch-Brücke gesprochen // .

Über russische Kanäle war am Freitagnachmittag ein etwa halbstündiger Mitschnitt eines Gesprächs veröffentlicht worden, in dem Gerhartz mit drei weiteren Offizieren Einsatzmöglichkeiten des Taurus-Marschflugkörpers durch die Ukraine diskutiert. Unter anderem geht es darum, dass etwa 20 von ihnen nötig sein könnten, um – wenn überhaupt – die Kertsch-Brücke zu zerstören.

Nach Informationen des Tagesspiegel ist die abgehörte Aufnahme vom 19. Februar authentisch – in diese Richtung geht auch die offizielle „Einschätzung“ des Verteidigungsministeriums. Entgegen dem kommunikativen Dreh der russischen Propaganda, wonach deutsche Militärs selbst einen Angriff planen, ging es in der Webex-Schalte um Optionen dafür, unter welchen Bedingungen die Ukraine den Taurus wie nutzen könnte.

Hintergrund der Besprechung war, dass gerade der Entwurf für den drei Tage später beschlossenen Koalitionsantrag zu „weitreichenden Waffensystemen“ bekannt geworden war. Die politische Taurus-Debatte hatte wieder Fahrt aufgenommen – und die Luftwaffe wollte gewappnet sein, falls sich Kanzler Olaf Scholz (SPD) nun doch zur Lieferung entscheiden sollte, was er aber nicht tat.

Für die Bundeswehr selbst besteht der Skandal vor allem darin, dass sie abgehört wurde. Der Militärgeheimdienst ist eingeschaltet, der Kanzler will die „sehr ernste Angelegenheit“ nun „zügig“ aufgeklärt haben. Dass die Truppe nicht über genug abhörsichere Kryptotelefone verfügt, ist das Eine, in einer viel schwächer geschützten Schalte über so heikle Themen zu sprechen, das Andere.

Auf diese Weise sind aus Sicht des deutschen Militärs nach Informationen des Tagesspiegels jedoch keine Staatsgeheimnisse verraten worden. Dazu hätte etwa das Frequenzband gehört, über das die Kommunikation mit der Taurus-Rakete erfolgt. Die Russen hätten den Mitschnitt nicht veröffentlicht, wenn er wirklich sensible Informationen enthalten würde, sondern diese selbst genutzt.

Am ehesten kritisch könnte dieser Einschätzung nach sein, dass eine kleine britische Militärpräsenz in der Ukraine verraten wird, um deren Marschflugkörper zu betreuen. Das hat freilich diese Woche auch Scholz selbst getan, als er zum Ärger Londons sein Taurus-Nein damit begründete, dass „in Deutschland nicht gemacht werden“ könne, was „vonseiten der Briten und Franzosen gemacht wird“.

Politisch noch relevanter ist die Frage, ob das deutsche Militär in irgendeiner Weise an Scholz vorbei tätig werden wollte – oder die Lage zumindest anders einschätzt als der Kanzler. An dieser Frage könnte sich entscheiden, ob der Inspekteur der Luftwaffe im Amt bleiben darf oder nicht.

///Von einem „Trick“ und einer „roten Linie“ // .

Aufhänger für Letzteres könnte sein, dass in der Aufnahme diskutiert wird, wie Kiew mit den für Taurus nötigen Geodaten oder exakten Zielkoordinaten für die Pfeiler der Brücke versorgt werden könnte. Eine Autofahrt durch Polen wird angesprochen und von Gerhartz der „Trick“, dass Luftwaffenexperten für die Taurus-Herstellerfirma MBDA auftreten könnten – womit es keine direkte Verbindung zum Militär und somit auch keine Kriegsbeteiligung gebe.

Zu seiner Verteidigung kann Gerhartz vorbringen, dass alle Gedankenspiele im Gesprächsverlauf verworfen wurden, weil damit, wie er in der Aufnahme sagt, „die rote Linie“ des Kanzlers überschritten würde. Inzwischen ist bekannt, dass Scholz nicht nur Bodentruppen in der Ukraine, sondern auch eine niedrigschwellige Taurus-Unterstützung aus der Ferne ablehnt.

Deshalb kommen Gerhartz und seine Leute zum Schluss, dass Taurus bei einer entsprechenden politischen Entscheidung nur mit einer längeren Ausbildung ukrainischen Personals in Deutschland zum Einsatz gebracht werden könnten – dies allerdings weniger effektiv als bei einer Beteiligung der Bundeswehr.

Einschüchtern lassen will sich Gerhartz an diesem Sonnabend jedoch nicht. Er reist wie geplant nach Lettland – und hält dort eine kurze Rede, in der er von den Letten die anhaltende „Wachsamkeit der Allianz“ im Luftraum an der Nato-Ostflanke verspricht. Zur Wachsamkeit in Bezug auf seine eigene Kommunikation äußert er sich an diesem Tag aber wie vereinbart.

Dieser Artikel ist zuerst im Tagesspiegel erschienen

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