Boeing: Whistleblower berichtet von gravierenden Mängeln in der Produktion
Ein Boeing-Insider ist mit schweren Vorwürfen gegen den Flugzeugbauer an die Öffentlichkeit gegangen. Der Mann berichtete von gravierenden Mängeln bei Bauteilen. Nach seinen Warnungen sei er unter Druck geraten.
Es sind vor allem die Aussagen von Insidern, die die Vorwürfe um Sicherheitsmängel bei Boeing ins Rollen gebracht haben. In diesem Zusammenhang haben zwei Todesfälle zuletzt für Aufsehen gesorgt. Binnen weniger Wochen sind zwei Männer gestorben, die Boeing mit Aussagen über Qualitätsprobleme in der Produktion in Bedrängnis gebracht haben.
Nun hat sich ein weiterer Whistleblower in einem Fernsehinterview öffentlich geäußert. Santiago Paredes arbeitete für den Boeing-Zulieferer Spirit AeroSystems. Er sagte der britischen BBC (hier gelangen sie zum Original-Beitrag) und dem US-Sender CBS, er habe bei Bauteilen, die bereits für die Auslieferung gedacht waren, teils bis zu 200 Fehler gefunden.
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Sein Spitzname sei »Showstopper« gewesen, weil er versucht habe, seine Bedenken geltend zu machen und damit die Produktion verlangsamt habe, berichtete der Mann. Er sei es gewohnt gewesen, »zwischen 50 und 100, 200« Mängel an den Rümpfen – dem Hauptteil des Flugzeugs – zu finden, die an Boeing geliefert werden sollten. »Ich fand eine Menge fehlender Befestigungselemente, viele verbogene Teile, manchmal sogar fehlende Teile«, sagte Paredes dem Sender.
Einige der Mängel, die er während seiner Zeit bei Spirit festgestellt habe, waren demnach geringfügig, andere jedoch schwerwiegender.
Den Angaben zufolge arbeitete Paredes von 2010 bis 2022 bei Spirit AeroSystems. Das Unternehmen wies die Aussagen von Paredes zurück. »Wir verteidigen uns energisch gegen seine Behauptungen«, sagte ein Sprecher von Spirit. Boeing lehnte den Sendern zufolge eine Stellungnahme ab.
Paredes warf der Firma vor, seine Hinweise als störend empfunden zu haben. »Sie haben sich immer darüber aufgeregt, warum ich es gefunden habe, warum ich es mir angesehen habe«, sagte er. »Sie wollten nur, dass das Produkt ausgeliefert wird. Sie haben sich nicht um die Konsequenzen gekümmert, die sich aus der Auslieferung schlechter Rümpfe ergeben. Sie konzentrierten sich nur darauf, die Quoten, den Zeitplan und das Budget einzuhalten«, warf er der Firma vor. »Wenn die Zahlen gut aussahen, spielte der Zustand der Rümpfe keine Rolle«, behauptete er.
Paredes hat laut BBC ein Inspektorenteam bei der Produktionslinie der 737 Max geleitet. Seine Aussagen flossen demnach auch bereits in Klagen ein, die Aktionäre gegen Boeing eingereicht haben. In juristischen Unterlagen sei er jedoch einfach als »ehemaliger Mitarbeiter 1« bezeichnet worden. Nun habe sich der ehemalige Luftwaffentechniker erstmals öffentlich geäußert.
Erst im April war ein anderer Boeing-Whistleblower mit weitreichenden Anschuldigungen vor dem US-Senat aufgetreten. Der Ingenieur Sam Salehpour berichtete dort von »ernsthaften Bedenken hinsichtlich der Sicherheit der Flugzeuge 787 und 777«.
Zwei weitere Whistleblower, Josh Dean und John »Mitch« Barnett, waren binnen weniger Wochen gestorben.
Barnett wurde am 9. März mit einer Schusswunde tot aufgefunden, sein rechter Zeigefinger steckte am Abzug einer Handfeuerwaffe.
Dean starb kürzlich mit nur 45 Jahren völlig überraschend an einer bakteriellen Infektion, die mit Antibiotika nicht zu behandeln war.
Boeing steckt in einer schweren Krise. Erst im Januar hatte eine 737 Max 9 von Alaska Airlines im Flug ein Rumpfteil verloren, weil es von Boeing in der Fabrik nicht wie erforderlich befestigt worden war.
Dieser Vorfall ruft nun auch die US-Wertpapieraufsichtsbehörde SEC auf den Plan. Sie prüfe Aussagen des Unternehmens über seine Sicherheitspolitik nach dem Zwischenfall mit der Maschine im Januar, berichtete die Nachrichtenagentur Bloomberg unter Berufung auf drei mit der Angelegenheit vertraute Personen.
Die SEC untersuche, ob die Kommentare von Boeing und deren Managern Investoren fehlgeleitet hätten, hieß es in den Kreisen weiter. Dies würde gegen die Regeln an der Wall Street verstoßen.
Derartige Untersuchungen führen zwar nicht immer zu Maßnahmen gegen das betroffene Unternehmen. Sie können aber zu Strafen für die Firma oder deren Vertreter führen, wenn die Behörde falsche oder irreführende Stellungnahmen feststellt.
Weder Boeing noch die SEC wollten sich laut Bloomberg zu dem Bericht äußern.
Die Untersuchung reiht sich in diverse rechtliche Probleme für Boeing ein. Die Boeing-Aktie hat im laufenden Jahr fast ein Drittel ihres Wertes verloren.