Die Helikopter-Generation kommt nicht von ihren Eltern los. Was passiert mit einer Gesellschaft, in der die Jugend nicht erwachsen wird?

die helikopter-generation kommt nicht von ihren eltern los. was passiert mit einer gesellschaft, in der die jugend nicht erwachsen wird?

Kinder erwarten heute von den Eltern, dass sie sie in jeder Lebenslage auffangen. Und die Eltern breiten ihre Arme aus. Klaus Vedfelt / Getty

Folgende Szene trug sich in einem Restaurant am Nebentisch zu: Die junge Frau war mit dem neuen Freund zum Essen verabredet. Unschlüssig wanderten ihre Augen die Speisekarte hinauf und hinunter. Schliesslich zückte sie ihr Handy und startete einen Videoanruf. Am anderen Ende meldete sich ihre Mutter. Dieser hielt die junge Frau die Speisekarte in die Kamera, mit der Frage: «Was meinst du, schmeckt mir am besten, Mama?»

Die 18-Jährige wusste nicht, was sie essen will, und hat ihre Mutter um Rat ersucht. Der öffentliche Auftritt war ihr nicht einmal peinlich. Dies mag ein grotesker Fall von Unreife sein, aber kein seltener. Immer öfter hat man mit jungen Erwachsenen zu tun, die sich nicht nur mit banalen Anliegen an ihre Eltern wenden, sondern mit ihnen auch in einer Art Symbiose leben. Das verhält sich in Deutschland, der Schweiz und andern europäischen Ländern nicht anders als in den USA.

Die sogenannte Helikopter-Generation ist inzwischen herangewachsen. Jene Kinder also, deren Eltern einem Helikopter gleich über allen ihren Schritten schweben und «zur Rettung» eingreifen – und in die Belange von Erziehern und Lehrern gleich mit. Anfangs bestand noch Hoffnung, dass es sich bei der Überbehütung um eine pädagogische Verirrung handelt, um eine Mode, die vorübergeht. Man hoffte, dass sie sich selbst abschafft – schon ob der Häme, die ihr entgegenschlägt, und der Spottliteratur: Bücher mit dem Titel «Ich muss mit auf Klassenfahrt – meine Tochter kann sonst nicht schlafen!». Und dass spätestens mit dem Schulabschluss der lieben Kleinen der Spuk ein Ende findet. Dem ist nicht so: Die Fürsorge erreicht eine neue Phase, Eltern mischen selbst im Leben ihrer Grossen munter mit.

Beide Seiten wollen es so

Das angesehene amerikanische Meinungsforschungsinstitut Pew Research Center bestätigt das in einer Studie, die aktuelle Daten mit denen von vor dreissig Jahren vergleicht. Demnach sind die Eltern sehr stark in das Leben ihrer erwachsenen Kinder (im Alter von 18 bis 34 Jahren) eingebunden. Etwa sechs von zehn Müttern und Vätern sagen, dass sie ihren Kindern im vergangenen Jahr finanziell geholfen hätten. Jeder vierte Elternteil verfolgt per GPS den Standort der Söhne und Töchter. Die grosse Mehrheit findet, dass sie mit all dem Gutes bewirkt. 77 Prozent halten die Beziehung zu ihren erwachsenen Kindern für ausgezeichnet oder sehr gut.

Und der Nachwuchs? Macht mit, bereitwillig, glücklich und aktiv. Laut Pew-Studie bewerten 59 Prozent der Zoomer, also der Generation Z, ihr Verhältnis zu den Eltern als ausgezeichnet oder sehr gut. Ein Drittel zum Beispiel verlässt sich emotional stark auf sie und bittet sie etwa per SMS oder Whatsapp um Lebenshilfe, «während ältere Generationen ihre Probleme eher selbst gelöst haben».

Das spiegelt sich im Alltag. Man erlebt Dinner-Runden, bei denen Söhne im Abitur-Alter von daheim ihre Eltern anrufen, weil sie ihre Lieblings-Sneaker suchen. Die Mütter dirigieren sie am Handy durchs Haus, und sie finden das amüsant. Die anderen Gäste finden es blamabel. Man trifft auf Boomer, die ungefragt und endlos von den Erlebnissen, Talenten und Erfolgen ihres Nachwuchses erzählen. Egal, ob man dem Nachwuchs je begegnet ist oder ob es einen interessieren könnte.

Hotel Mama aus Geldnot

Die Gegebenheiten tragen zu dieser phänomenalen Eltern-Kind-Symbiose bei. Vielerorts zwingen Wohnungsnot und hohe Mieten die jungen Leute, weiter daheim zu wohnen. Die Schulden, die sich gerade Amerikaner mit College- und Uni-Gebühren aufhalsen, nötigen manche sogar, nach dem Studium aus Geldnot wieder daheim einzuziehen. Laut Pew leben 57 Prozent der 18- bis 24-Jährigen im Elternhaus.

Sie heiraten auch später als die Generation ihrer Eltern, 29 Prozent der 25- bis 29-Jährigen waren 2023 verehelicht, 1993 waren es noch 50 Prozent. Und sie vermehren sich später: Nur 27 Prozent der 30- bis 34-Jährigen hatten 2023 ein Kind im Haushalt, verglichen mit 60 Prozent 1993. Ähnlich in Italien und Spanien: Dort zwingen hohe Jugendarbeitslosigkeit und prekäre Jobverhältnisse selbst 30-Jährige, noch im ehemaligen Kinderzimmer zu leben.

Viele mögen sich nach eigenen vier Wänden sehnen, vielen gefällt die Nesthockerei aber auch. Es erweist sich als durchaus billig und bequem, wenn einem Mama weiter das Essen und die Wäsche macht. Und in post-prüden Zeiten, in denen locker mit Sexualität umgegangen wird, stört es auch kaum, wenn beim Frühstück die Bettpartner auf die Eltern treffen. Es ist noch nicht lange her, da galt eine solche Begegnung als Albtraum.

Überhaupt ist es noch nicht lange her, da waren die Eltern einem Teenager grundsätzlich peinlich. Mit der Pubertät kommt eigentlich der Wunsch, sich von den Eltern abzugrenzen und sein eigenes Ding zu machen. Jugendlicher Trotz bedingt Erwachsenwerden. Nur wer Grenzen auslotet und überschreitet, geht voran, kann einen eigenen Willen, eine eigene Meinung entwickeln, sich in Diskurs, Logik, Ironie üben. Adoleszenz erfordert Aufsässigkeit, und Eltern erweisen sich als ideale, weil greifbare Sparringpartner.

Doch diese Phase verkehrt sich zunehmend in ihr Gegenteil. Mittzwanziger fahren mit ihren Eltern in die Ferien, sie verabreden sich mit ihnen zum Shoppen, besuchen gemeinsam Rockkonzerte. Rock-kon-zer-te! Wir erinnern uns: Das waren einst Orte, an denen sich die Jungen ihren Unmut über die Spiesser und die «Alten» aus der Seele grölten. Inzwischen klatschen sie dort mit diesen Alten den Takt mit. Es herrscht ein Kumpelverhältnis. Mütter betrachten sich als beste Freundin der Tochter, Väter nennen ihre Söhne «Buddy», und zwar von der Wiege bis zum Master und manchmal darüber hinaus.

Grosse Ideen bedingen Rebellion

Die Gesellschaft hilft fleissig mit. Hochschulen veranstalten Tage der offenen Tür, an denen sich Eltern schlaumachen können, was ihre Grossen so studieren. Professoren berichten von Eltern, die mit ihren Kindern in den Sprechstunden auftauchen. Früher hätten sich die Kommilitonen über so viel Anteilnahme lustig gemacht, heute findet man sich ab mit dieser Art betreutem Studium, ja, betreutem Leben.

Hinzu kommen die modernen Medien. Sie verführen zur Dauerteilhabe am Leben der Kinder. Wenn jede Lappalie via Handy kundgetan wird («Ich steige jetzt in den Zug»), intervenieren besorgte Mütter und Väter über Chats und Messenger und dank Flat Rates ständig beim Nachwuchs.

Harmonie ist etwas Schönes, das gilt auch für das Verhältnis zwischen den Generationen. Wenn sich aber Junge bequem einnisten und lediglich das Leben der Alten kopieren, droht Stillstand. Erwachsenwerden heisst ausprobieren, sich mit Gleichaltrigen messen, Niederlagen und Siege einfahren – ohne dass die Älteren einen stets beobachten, begleiten, bewerten. Eigenständig denkende und unabhängig handelnde Menschen treiben eine Gesellschaft voran, sie sorgen für neue Ideen, Produkte und Stile.

Pablo Picasso, Steve Jobs oder Jane Goodall wurden erfolgreich, weil sie wie andere berühmte Künstler, Unternehmer oder Forscher früh mit Konventionen in ihrem Fach brachen. Rebellion ist Aufgabe und Privileg der Jugend. Sie möge Bestehendes infrage stellen und Unerhörtes wagen. Man nennt das Fortschritt, und bisher tat er der Menschheit ganz gut.

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