Berliner Techno-Star Paul Kalkbrenner: „Es gibt Angst vor Sprechverboten“
Techno-Weltstar Paul Kalkbrenner wurde in Leipzig geboren, aber war nur ein Jahr alt, als seine Familie nach Berlin umgezogen ist. „Ich bin Lichtenberger“, sagt er der Berliner Zeitung.
Wir sind backstage bei Paul Kalkbrenner. Früher Samstagabend, Lissabon. Hier auf dem Sónar Festival startet die Welttournee der Ost-Berliner Techno-Ikone. Kalkbrenner ist ein geerdeter Typ, mit dem man sich auch gern mal in der Eckkneipe verabreden würde – zumindest, solange er da nicht von Groupies belagert würde.
Ein Gespräch über Kalkbrenners Jugend in der DDR, politische Bedenken in der Gegenwart und darüber, warum der Techno immer subversiv bleiben wird.
Herr Kalkbrenner, 30 Minuten noch, bis Ihr Live-Set beginnt.
Oh ja!
Wie ist die Stimmung bei Ihnen?
Die Stimmung – wie soll man sagen? In den letzten Jahren ist es ruhiger geworden. Man hat mehr Routine, man weiß genau, was noch zu tun ist: Wann geht man nochmal aufs Klo? Wann macht man die Schuhe zu?
Und wann geht man am besten aufs Klo vor dem Set?
Am besten zehn Minuten vorher. Und dann guckt man, ob man kurz vorher sogar noch mal kann. Wichtiges Thema bei zwei Stunden! Sonst sieht man zu konzentriert aus, weil man nicht mehr richtig mitwippt; dann kann man nicht mehr zur eigenen Musik mittanzen, wenn man pieseln muss.
Wieviel Raum für Spontaneität bleibt Ihnen überhaupt bei Ihren Live-Sets?
Heute ist sowieso ein besonderer Tag, weil ich den ganzen Tag gearbeitet habe an neuen Songs. Manche sind auch schon alt und waren Teile von Live-Sets von vor 20 Jahren. Das probiere ich heute alles so zusammen aus. Ich mache ja nie Generalprobe.
Wie geht das denn?Ich übe, stell’s mir vor, habe es den ganzen Tag vor Augen. Dann geh ich auf die Bühne, das ist besser als Generalprobe. Wenn Leute da sind, hab ich mehr Zucker im Blut. Und dann muss es auch klappen! Meistens tut es das ja auch.
Heute ist auch noch der Beginn Ihrer Tour, die Sie im September auch nach Berlin führt.
In gewisser Weise, ja. Ich hatte zwar ein paar Shows in Dubai im Februar und Anfang des Jahres, aber jetzt ist Frühling, neue Zeitrechnung.
Für Ihre Konzerte sind Sie sehr viel unterwegs. Inwiefern würden Sie sagen, dass Sie in Berlin leben? Oder leben Sie auf der ganzen Welt?
Das kann man so nicht sagen, da der Winter bei mir ganz anders aussieht als der Sommer. Im Winter gibt es nur vereinzelt Gigs. Mehr als 60 Shows pro Jahr kann ich eh nicht spielen, durch die Exklusivitätsradien, die die Veranstalter um ihre Festivals ziehen. Wenn die so viel Geld bezahlen, wollen die nicht sehen, dass ich kurz später in der Nähe noch mal spiele. So richtig geht es Ende April und so ganz richtig im Juli los. In den Sommermonaten drängt es sich dann sehr.
Und sind Sie Berlin nach wie vor stark verbunden?
Ja, ich bin Familienvater, bringe auch meine Kinder morgens zur Schule und in den Kindergarten. Ich habe mein Studio in Lichtenberg, wo ich herkomme.
Geboren sind Sie in Leipzig.
Aber ich war nur ein Jahr alt, als wir umgezogen sind. Ich bin Lichtenberger.
Was macht für Sie Lichtenberg aus im Vergleich zu anderen Berliner Stadtteilen?
Ist halt da, wo ich herkomme. Auch diese Metamorphose, die das durchhat. Wenn man überlegt, wie das war! Rathaus Lichtenberg, da hab ich gewohnt. So ein normaler Wochentag, 22 Uhr, auch im Sommer – da war nichts mehr los! Mann! Da ging auch niemand mehr so richtig lang.
Wie hat das bei Ihnen damals überhaupt mit Techno begonnen?
Ich hab Marushas Sendung gehört bei DT64. Wir haben dann angefangen aufzulegen in Ost-Berliner Jugendclubs. Freitags und samstags waren da Veranstaltungen, von 18 bis 24 Uhr.
Was haben Sie damals gelernt, das Ihnen heute noch hilft bei den Shows?
Immer alles zu geben, auch wenn nur drei Leute da sind.
Was war der erste größere Club, in dem Sie in Berlin dann aufgetreten sind?
Damals gab es noch das Exit, Ahornblatt. Davon der After-Hour-Club war The Kitchen. Mit 15 bin ich da morgens hingegangen. Dort hab ich von 9 bis 11 Uhr aufgelegt vor den ganzen Erwachsenen, die noch wach waren. 1995 hab ich im Bunker aufgelegt. Und auch im Walfisch.
Ihre erste Platte kam bei Ellen Alliens Label BPitch Control heraus. Welche Rolle spielte damals Ellen Allien in der Berliner Techno-Welt? Sie hat ja einige Karrieren angestoßen.
Sie hat zu der Zeit damals sehr viele junge Berliner Künstler mit dem Label versammelt. Wir hatten wirklich einen Team-Spirit. Das war gut! Das hatte genau seine Zeit.
Damals war Techno Underground, heute spricht man oft von Business-Techno. Wie kann Techno subversiv bleiben?
Techno wird immer subversiv bleiben. Es wächst doch alles nach. Während wir hier sitzen und über meine mittlerweile ganz schön großen Shows sprechen, geht es in Berliner Clubs, deren Namen ich wahrscheinlich nicht mal kenne, weil es sie erst seit ein, zwei Jahren gibt, einfach weiter mit den 15- bis 25-Jährigen.
Machen Sie noch Party in Berlin?
Nee. Nee.
Weil Sie dort zu oft angequatscht werden?
Auch. Aber ein wichtiger Punkt ist die Nacht.
Wie meinen Sie das?
Das ist ja mit der größte Gewinn, den ich inzwischen habe, weil ich so berühmt geworden und aus dem Clubkontext herausgewachsen bin: dass ich nicht mehr drei bis fünf Uhr ran muss. Heute zum Beispiel, 20 bis 22 Uhr – genial! Danach ist noch Zeit. Wenn ich ins Hotel gefahren bin, lese ich manchmal noch bis Mitternacht. Und dann fühlt es sich fast so an, als ob ich gar nicht gespielt hätte.
Wir haben über Lichtenberg gesprochen. Aber Ihre erste EP, die heißt „Friedrichshain“.
Als ich mit 20 ausgezogen bin, bin ich ins etwas szenigere Friedrichshain gezogen.
Welche Rolle spielt es für Sie, dass Sie aus dem Osten kommen?
Ich war schon mit 13 ein aufmerksamer Junge. Es hat einen Vorteil, in beiden Systemen zu leben. Man kann bestimmte Sachen vielleicht ein bisschen früher erkennen.
Woran denken Sie da?
Es gibt eine gewisse Scheu, die Dinge auszusprechen, die einem auf der Zunge liegen. Keiner sagt mehr so richtig, was ist. Das ist doch dumpf. Es gibt Angst vor Sprechverboten und Worten, die du nicht benutzen sollst.
Warum meinen Sie, lassen sich Menschen einschüchtern?
Weil Menschen anscheinend so sind. Man schlägt verschiedene Zeitungen auf und bei gewissen Themen ist es so, als hätte, wie damals, die ZK-Pressestelle angerufen mit der Direktive für den Tag. Aber das passiert ja nicht. Es kann also nur daran liegen, dass gewisse Menschen sehr schwarmmäßig unterwegs sind. Dass sie quasi über die Seitenlinie mitkriegen, wo der Schwarm sich hinbewegt. Das kann auch immer wieder passieren, dass eine größere Gruppe von Menschen eine kleinere ausschließen möchte – oder denen ans Leder will. Egal, ob da ein Hakenkreuz drüber steht oder zwei Kringel oder sonst was. Deshalb fand ich das immer falsch, sich auf bestimmte Symbole zu konzentrieren statt auf die menschliche Methodik, die dahintersteckt.
Inwieweit ist für Sie Partymachen eigentlich auch politisch oder nicht?
Partymachen ist sehr unpolitisch. Ich denke mal, die DDR hätte, wenn sie weiterbestanden hätte, in den 1990ern Techno stark gefördert.
Ach wirklich?
Ja, aber nichts mit Systemkritik, sondern einfach: Pillen her und jippie!
Mit verschiedenen anderen Genres aus dem Westen, von Jazz bis Rock, hat man sich auch arrangiert.
Wenn die erstmal ungefährlich waren.
Sogar Heavy Metal gab es.
Stimmt, dazu gibt’s ja jetzt diese Ausstellung! Aber auch diese Pop-Acts wie Stern-Combo Meißen. Oder Ralf „Bummi“ Bursy, wer kannte ihn nicht? Viele Berliner-Zeitung-Leser werden ihn noch kennen.
2014 haben Sie vor dem Brandenburger Tor zu 25 Jahren Einheit gespielt.
Oh ja. Eine halbe Million Menschen waren da, wie man sagt. Das war mein größter Gig.
Wie fanden Sie den damals? Und wie sehen Sie es heute? Ist die Wiedervereinigung gelungen?
Ja, 2014 sah es noch geglückt aus. Heute werde ich traurig, wenn ich bestimmte Sachen sehe. Zum Beispiel auf den Podien der Einheitsfeiern sieht man komischerweise niemanden der echten Montagsdemo-Bewegung von damals. Stattdessen Leute, die heute in Staatsnähe arbeiten – und auch damals eher auf der Staatsseite standen.
Ging das alles zu schnell mit der Wiedervereinigung, was denken Sie?
Das führt jetzt zu weit, es geht doch um Techno.
Na gut, dann noch mal zur Musik: Wo finden Sie Inspiration für neue Tracks?
Bei mir selber. Ich höre mir nichts anderes an, ich bin ja autark.
Sie hören gar keine anderen Künstler, kann das sein?
Ich bin ja kein DJ. Für DJs sollte es natürlich die vorrangige Aufgabe sein, sehr gut informiert zu sein. Über alle mögliche Musik, die es gibt. Aber ich habe das Privileg, genau das nicht tun zu müssen. Ich kann wie der größte Ignorant durchs Leben gehen.
Aber Sie haben schon Remixe gemacht: Moby, Rammstein …
Ganz genau. Das ist dann manchmal so, dass mir das zugetragen wird. In vieles höre ich kurz rein und denke: Nein, danke. Aber wenn da was ist, das mir gefällt und bei dem ich zusätzlich auch noch denke, dass ich etwas dazugeben kann; also wenn es mir Spaß machen würde, mit den Spuren dieses Songs rumzumurkeln – dann sag ich ja und mache das dann auch.
„Sky And Sand“ ist einer der langlebigsten deutschen Chart-Erfolge aller Zeiten: Mehr als zwei Jahre hielt er sich. Wann war Ihrem Bruder Fritz und Ihnen klar, dass Sie da was ganz Besonderes kreiert haben?
Fritz wusste das gar nicht. Der hatte mal für eine Frau, eine Freundin, „Sky And Sand“ als eine Art Rocksong gesungen. Das Vocal war schon einige Jahre alt. Und das war auch anders gesungen. Ich hab das dann verschnitten – und den Song drumherum komponiert. Der Song war erstmal einfach nur wichtig für den Film.
„Berlin Calling“.
Wenn man da Musik macht und nicht richtig seinen Durchbruch hat, wie ich damals, hofft man ja von jedem Track, wo einer singt, dass er mal ein bisschen mehr Durchschlagskraft hat.
Also hatten Sie doch das Gefühl, dass das Ihr Durchbruch werden könnte?
Nee. Dafür war das alles erst mal viel zu unerfolgreich. Auch der Film, im Jahr, in dem er rauskam. Erst im Jahr danach haben ihn weltweit viele Leute auch online geguckt. In den ersten zwei Wochen an der Kinokasse galt der Film mit den gängigen Analyse-Tools als versunken.
Was haben Sie beide gemeinsam, dieser DJ Ickarus, den Sie im Film spielen, und Sie als Paul Kalkbrenner? Ickarus ist ja nicht 1:1 Sie, oder?
Nein, gar nicht. Aber was ich mit Ickarus gemeinsam habe: dass er sein Ding durchzieht, gegen Widerstände. Aber ich hab mich davon nicht in die Klapse treiben lassen.
Und wie ist das mit dem High-Sein?
Ich rauche nur noch. Ich hab mit allem anderen aufgehört.
Und dieses Wissen, dass viele im Publikum drauf sind?
Das ist halt so. Die sind ja ein Stück von mir weg, mittlerweile.
Wenn man eine Fortsetzung von „Berlin Calling“ drehen würde – was könnte das für ein Film werden?
Kein guter. Wie bei allen Filmen, die so einen Kultstatus haben. Den kann man nur zerstören. Da gibt’s auch keine Idee. Was soll der Ickarus jetzt machen? Vor allem: Wer soll den spielen? Ich mit meinen 47 Jahren?
Gleich müssen Sie auf die Bühne. Was haben Sie heute vor bei Ihrem Set?
Ich werde mich da durchwühlen heute Abend. Das ist eigentlich die Generalprobe vor Leuten.
Tonträger haben Sie keine in der Tasche hier.
Nein, ich spiele live.
Mit Ableton 12?
Was ich spiele, könnte ich auch mit Ableton 2 machen. Ich mische die einzelnen Spuren neu zusammen. Das ist kein DJ-ing.
Berliner Techno steht nun auf der Liste als Immaterielles Kulturerbe. Ist das eine Ehre? Oder der Ausverkauf von Techno?
Drauf gepfiffen!
Was wünschen Sie sich für die Zukunft von Techno?
Das klingt ja schon so, als ob Techno hilfsbedürftig wäre. Aber Techno funktioniert auf allen Ebenen. Hier oder ich oder noch größer. Oder in der Wilden Renate. Überall wollen Leute zum Tanzen gehen, gerade jetzt. Das ist so groß geworden!
Warum machen die Leute das?
Warum die Leute ausgehen und tanzen? Es hat mit Bumsen zu tun, mit Sex. Nicht dass es da die ganze Zeit stattfindet, aber im Nightlife könnte es eben dazu kommen. Das treibt sie in die Nachtclubs. Vorwiegend sind es ja Leute zwischen 15 und 25, machen wir uns nichts vor.
Geht’s nicht auch drum, von den ganzen Sorgen draußen abzuschalten?
Das auch. Mal die Schlosserlehre vergessen! Natürlich. Und es sind auch Freaks dabei.
Und können Sie selbst auch abschalten bei Ihrem Set gleich?
Ich hab ‘ne Menge zu tun. Abschalten wär schlecht.