Beginnt nun eine neue Offensive?: Großer russischer Angriff auf Grenzregion bei Charkiw
Im Nordosten der Ukraine brechen heftige Kämpfe aus. Zuvor wurde wochenlang über einen neuen russischen Großangriff spekuliert.
10.05.2024, Ukraine, Charkiw: Nach einem russischen Raketenangriff im Nordosten der Ukraine sind Rettungskräfte bei der Arbeit in einem Haus zu sehen.
Die russische Armee hat nach ukrainischen Angaben einen großen Angriff in der Grenzregion bei der Stadt Charkiw begonnen. Am Freitagmorgen ab 5.00 Uhr Ortszeit (4.00 Uhr MESZ) seien feindliche Bodentruppen im Schutz von Panzerfahrzeugen vorgerückt, um die Verteidigungslinien zu durchbrechen, teilte das ukrainische Verteidigungsministerium mit.
Ziel der Angriffe war demnach die ukrainische Stadt Wowtschansk, die etwa 40 Kilometer nordöstlich von Charkiw dicht an der Grenze liegt. Bislang seien die Angriffe abgewehrt worden, die Kämpfe dauerten in unterschiedlicher Intensität an, teilte das Militär mit. Unabhängig waren diese Angaben nicht zu überprüfen.
Einem hochrangigen ukrainischen Militärvertreter zufolge stießen die russischen Truppen um rund einen Kilometer in ukrainisches Gebiet vor. Ihr Ziel sei es, eine zehn Kilometer breite Pufferzone einzurichten, sagte er.
Über eine mögliche russische Offensive bei Charkiw wird seit Wochen spekuliert. Es gibt Berichte, dass die russischen Truppen dort mehrere Zehntausend Mann zusammengezogen haben.
Für den Ernst der Lage spricht, dass das Verteidigungsministerium in Kiew sich dazu äußerte, nicht wie sonst der Generalstab. „Zur Verstärkung der Verteidigung an diesem Frontabschnitt werden Reserven herangeführt“, teilte das Ministerium mit.
Nach Angaben des Gouverneurs der Region Charkiw, Oleh Synehubow, versuchten die russischen Truppen, die Grenze zur Ukraine zu durchbrechen. Sie hätten den Beschuss von Wowtschansk verstärkt, erklärte Synehubow auf dem Kurzmitteilungsdienst Telegram.
Die Angriffsversuche seien abgewehrt worden, die ukrainischen Streitkräfte hätten „selbstbewusst ihre Stellungen gehalten und keinen einzigen Meter verloren“. Russland habe nicht die Mittel, um auf die zweitgrößte ukrainische Stadt Charkiw vorzurücken. Die Aktionen der russischen Truppen an der Grenze seien eine „Provokation“.
Russland bombardiert schon länger
Schon am Tag zuvor sei der Frontabschnitt bei Wowtschansk laut ukrainischem Verteidigungsministerium von russischen Kampfflugzeugen aus der Luft mit Gleitbomben bombardiert worden. Über Nacht habe dann die russische Artillerie die vordersten ukrainischen Stellungen beschossen, zur Vorbereitung des Angriffs. Auch der russische Militärblogger Rybar beschrieb die Kämpfe bei Wowtschansk: Es gehe zunächst darum, die Kampfzone auszuweiten und im Gefecht die feindlichen Stellungen aufzuklären.
Die Grenzregion um die Großstadt Charkiw im Nordosten der Ukraine ist schon seit einigen Wochen erneut unter verstärktem russischem Beschuss.
Russland versuchte seit Beginn seiner Invasion im Februar 2022, die Grenzregion Charkiw zu erobern; im Herbst 2022 musste sich seine Armee von dort zurückziehen. Doch wie überall an der Front sind es auch in dieser Region seit dem Scheitern der ukrainischen Gegenoffensive im Sommer 2023 die russischen Streitkräfte, die derzeit die Initiative haben. (dpa, AFP, Reuters)