Scholz in China: Kein Land für Handelsreisende

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Hat es schwerer als seine Vorgänger: Scholz bei einem früheren Chinabesuch in der Hebeihalle der Großen Halle des Volkes.

Wer deutliche Worte zu China hören will, für den lohnt ein Anruf bei Reinhard Bütikofer. Der deutsche Grünen-Politiker ist im Europäischen Parlament eine außenpolitische Stimme mit Chinaerfahrung. Wie er auf die Reise von Bundeskanzler Olaf Scholz nach China blicke, lautet die Frage. „In Peking hält man Scholz für die Fortsetzung von Merkel mit sozialdemokratischen Mitteln und findet das gut“, sagt Bütikofer. Er richtet sein Urteil nicht daran aus, dass seine Partei in Berlin mit der sozialdemokratischen Kanzlerpartei regiert. China mache gerade „eine Art Freundschaftstest“, sagt er. Freund sei, wer nicht zu den Anhängern des De-Riskings gehöre. Mit dem Begriff ist Risikominimierung gemeint, indem die wirtschaftliche Abhängigkeit von China verringert wird. Den Kanzler sähen die Chinesen jedenfalls nicht in diesem Lager, sagt Bütikofer.

Da stimmt der Grüne mit dem CDU-Bundestagsabgeordneten und Außenpolitiker Norbert Röttgen überein. Auch der sagt, Scholz mache so weiter wie Merkel. Die am Samstag beginnende Reise des von einer Wirtschaftsdelegation begleiteten Kanzlers sei eine „große Verkaufstour“, sagt Röttgen der F.A.S.

In der Bundesregierung sieht man das naturgemäß differenzierter. Man wolle, so heißt es am Tag vor Reisebeginn in Berlin, weiterhin gute Geschäfte mit China machen. In der im vorigen Jahr beschlossenen Chinastrategie der Regierung stehe schließlich nicht, dass man den Handel mit China runterfahren wolle. Dennoch gebe es genügend Beispiele für ein De-Risking, das auch in der Strategie auftaucht. Genannt wird der Aufbau einer größeren Chipindustrie in Deutschland.

In China hält man große Stücke auf Scholz

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Juli 1987: Kanzler Kohl und seine Frau Hannelore in Tibet

Spätestens als Russland die Gaslieferungen eingestellt hat, hat Deutschland begriffen, wie dringend es seine Abhängigkeiten von anderen Ländern verringern muss. Mit China sind die Verflechtungen viel weitgehender als mit Russland. „Wenn der Kanzler die Chinastrategie der Bundesregierung ernst nähme, wäre schon mal ein Anfang gemacht“, sagt Bütikofer.

In Peking hält man große Stücke auf den „Pragmatiker“ Scholz, insbesondere im Vergleich zu den Grünen von Außenministerin Annalena Baerbock. Dieser werfen die Staatsmedien vor, dass sie die bilateralen Beziehungen „potentiell untergräbt“. Cui Hongjian, Europaspezialist der Pekinger Fremdsprachenuniversität, wird deutlich: „Insbesondere die Grünen in dieser Bundesregierung versuchen, die politische Tradition der vorherigen deutschen Regierung zu ändern, einschließlich der Chinapolitik“, sagt der Professor zur F.A.S. Genau beobachtet Peking etwa die „ungewöhnliche“ Mitreise der drei Minister Cem Özdemir, Steffi Lemke und Volker Wissing, die am Montag in die chinesische Hauptstadt reisen: zwei Grüne und ein Liberaler. Manche sprechen von einer Umarmungsstrategie des Kanzlers, der sich so gegen koalitionsinterne Kritik absichern wolle.

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Oktober 2001: Zu Zeiten von Gerhard Schröder wurden in Peking noch gemeinsame Wirtschaftsverträge unterzeichnet.

Größere Abkommen werden auf dieser Kanzlerreise nicht unterzeichnet, ist in Peking zu hören. „Wenn ein deutscher Regierungschef nach China kam, war einer der Höhepunkte die Unterzeichnung von Handelsabkommen und Verträgen“, sagt Cui. „Das ist Vergangenheit.“ Jetzt gehe es um eine Neugewichtung der internationalen Beziehungen. Derzeit will China seine Außenbeziehungen stabilisieren. Im Winter reiste Xi Jinping zu Joe Biden nach Amerika, und nach der Scholz-Visite wird er im Mai nach Frankreich, Ungarn und Serbien kommen, um anschließend Wladimir Putin in Peking zu treffen.

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Mai 2018: Kanzlerin Merkel besucht ein chinesiches Start-up

Scholz ist nicht der erste Bundeskanzler, der gegenüber China den Balanceakt zwischen guten Wirtschaftsbeziehungen und einer gesunden Distanz zu bewältigen hat. Das war schon immer ein schmaler Grat, auf dem die Regierungschefs des exportstarken Deutschlands wandeln mussten. Aber früher war es leichter. Als Helmut Kohl schon fast ein Jahrzehnt Kanzler war, lag der chinesische Anteil am deutschen Außenhandelsvolumen bei etwas mehr als einem Prozent. Als Angela Merkel 2021 von Bord ging, waren es fast zehn.

Zwar sah auch Kohl sich der Kritik von Menschenrechtlern ausgesetzt, wenn er sich eng an der Seite der Machthaber in China zeigte. Doch hielt ihn das nicht davon ab, 1987 als erster westlicher Staatsführer in Begleitung von Pekinger Politikern nach Tibet zu reisen. Zwei Jahre später kam es zur Niederschlagung der Proteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens durch das chinesische Militär. Das hinderte Kohl wiederum nicht daran, wenige Jahre später eine Einheit der Volksbefreiungsarmee zu besuchen.

Wie sein Vorgänger packte sich auch der Sozialdemokrat Gerhard Schröder das Flugzeug Richtung China immer voll mit Wirtschaftsführern. Dass der „Genosse der Bosse“ keine Hemmungen hatte, China vor allem als Markt und Quelle für billige Produkte und Rohstoffe zu betrachten, verwundert nicht. Schließlich hat ihn im Falle Russlands nicht mal ein Angriffskrieg davon überzeugen können, auf Distanz zum russischen Potentaten Wladimir Putin zu gehen. Staatsmänner machen eben vor allem Geschäfte miteinander.

Doch selbst Angela Merkel hat letztlich nichts daran geändert, China in erster Linie als großen Wirtschaftspartner zu sehen. Sie habe befürchtet, so sagt ihr Parteifreund Röttgen, andernfalls würde es Deutschland Wohlstand kosten. Dabei sah es zunächst so aus, als würde die Kanzlerin die Gangart ändern. Als sie zwei Jahre im Amt war, kündigte sie zum Missfallen der Führung in Peking an, den Dalai Lama zu empfangen. Doch letztlich stieg auch in ihrer Amtszeit der Anteil Chinas am deutschen Export immer weiter. In 16 Kanzlerinnenjahren war Merkel 14 Mal in China.

„Bei den Bundeskanzlern haben wir zu China eine extrem gute Kontinuität“, sagt Jörg Wuttke, Präsident emeritus der Europäischen Handelskammer in Peking. „Das fing schon mit Schmidt an, das ging mit Kohl weiter bis hin zu Schröder und Merkel, die immer versucht haben, China als Partner wahrzunehmen und für die Wirtschaft da zu sein.“ Der Austausch habe durch die Covid-Beschränkungen gelitten, man habe sich im Grunde auseinanderentwickelt, sagt Wuttke der F.A.S. in Peking. Vor allem aber habe Scholz jetzt mit einer neuen Lage zu kämpfen, mit der die anderen Bundeskanzler nicht konfrontiert waren.

Da ist etwa das Pro­blem der weltmarktbedrohenden chinesischen Überkapazitäten. Chinas Wirtschaft leidet, zwölf Provinzen sind mehr oder weniger pleite, die Bevölkerung konsumiert weniger, während das Land zu viel produziert und seine Güter anderswo verkaufen will. Hinzu kommen der Systemkonflikt zwischen China und Amerika und nicht zuletzt Pekings Bündnis mit Putin.

Scholz müsse sich im Vergleich zu seinen Vorgängern breiter aufstellen, sagt Wuttke: „Zum einen weiterhin die deutsche und europäische Wirtschaft fördern und schützen vor den Überkapazitäten, und zum anderen hat er mit dem geopolitischen Problem umzugehen, dass China immer enger mit Russland verbunden ist und wir einen Krieg in der Ukraine haben.“ Der Kanzler habe ein schwierigeres internationales Umfeld als seine Vorgänger. „Scholz hat den schwersten Job von allen Kanzlern, was China angeht. Weil China sich so stark verändert hat“, sagt Wuttke.

China bleibt ein riesiger Markt

Cui Hongjian preist die große Zeit der Kanzlerbesuche. „Am Anfang der deutsch-chinesischen Beziehungen ging es vor allem darum, Geschäfte zu machen, Geld zu verdienen, indem man zusammenarbeitet“, sagt der Professor. China wie Deutschland und die Europäische Union hätten alle von der Globalisierung profitiert. Das habe bis Ende 2020 gereicht, als Merkel in Brüssel noch das EU-China-Investitionsabkommen erfolgreich ausverhandelte, das vom Europäischen Parlament aber nie ratifizierte wurde.

Peking trauert dem bis heute nach. Das Abkommen wäre die „größte Frucht“ der gemeinsamen Wirtschaftsbeziehungen gewesen, sagt Cui. Jetzt aber habe eine „geopolitische Zeit“ begonnen. Sicherheit sei für alle Seiten, „einschließlich China“, zur Priorität geworden, „aber China versucht, das Gleichgewicht zwischen Entwicklung und Sicherheit zu wahren“.

Für deutsche Großunternehmen bleibt China bis auf Weiteres ein riesiger Markt. In der Chemie etwa macht China die Hälfte des Weltmarktes aus, bei Autos ist es rund ein Drittel. Die großen deutschen Akteure dieser Wirtschaftszweige haben sich im Gegensatz zu Firmen aus anderen Staaten entschieden, in der Volksrepublik weiter mitzuspielen. BASF etwa, Bosch, Daimler, Volkswagen. Dabei geht es auch um Arbeitsplätze, eine zentrale Frage insbesondere für einen sozialdemokratischen Kanzler.

Putins Krieg wird ein zentrales Thema sein

Sofern nicht andere Krisen in den Tagen der Scholz-Reise eskalieren – etwa der Konflikt zwischen Iran und Israel –, wird Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine ein zentrales Thema des Besuchs sein. Spätestens wenn der Bundeskanzler am Dienstag in Peking von Xi Jinping und von Ministerpräsident Li Qiang empfangen wird. In Berlin ist man überzeugt, dass Putin seinen Krieg nur deshalb so führen kann wie bisher, weil er dabei von Peking unterstützt wird. Das will der Gast aus Deutschland deutlich ansprechen und hofft auf Gehör.

China steht felsenfest an der Seite Russlands und macht auch keine Anzeichen, von Putin abzurücken. Daran haben die bislang gegenüber Xi persönlich vorgetragenen Appelle westlicher Politiker, allen voran des amerikanischen Präsidenten Joe Biden, nichts ändern können. Die persönliche Ansprache Xis gilt als immens wichtig, da man in den westlichen Hauptstädten die Beobachtung teilt, dass Xi Jinping seine Macht so weit konzentriert hat, dass sein Führungszirkel zur Echokammer geworden ist, in die Kritik und Zweifel nur mehr schwer durchdringen.

Dass Peking seine Haltung gegenüber Russland nicht zu ändern gedenkt, zeigte sich erst vor wenigen Tagen wieder, als Xi Jinping persönlich den russischen Außenminister Sergej Lawrow empfing. China unterstütze Moskau bei der „Aufrechterhaltung der sozialen Sicherheit und Stabilität“, sagte Xi und wies auf das gemeinsame Bestreben beider Länder hin, die Weltordnung zu „reformieren“, die für Peking zu westlich dominiert ist.

China glaubt, sich den schwierigen Spagat leisten zu können, gleichzeitig eine Partnerschaft mit Russland als auch mit Europa zu haben. Dabei ist Peking auf Europa immer stärker angewiesen, je weniger es auf Amerika zählen kann und je mehr es selbst in einer Wirtschaftskrise steckt. Peking aber zeigt keine Verhaltensänderung. So beginnen Autos, Solarmodule und andere Produkte zu Dumpingpreisen den europäischen Markt zu überfluten. China wartet ab, auch wegen der Präsidentschaftswahl in Amerika, dem außenpolitischen Fixpunkt Pekings.

„Verstehen sie, dass ihr Nichtagieren dazu führt, dass wir unsere politische Tool-Box, die wir erarbeitet haben, irgendwann auch einsetzen?“, fragt Chinakenner Wuttke. Die Rede ist von Strafzöllen und anderen Antidumpingmaßnahmen der Europäer. Wuttke glaubt, dieses Bewusstsein gebe es in Peking nicht. „Sie haben nicht verstanden, dass die Europäer auch abdrücken können.“

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