Baden-Württemberg: Der Elternwille reicht nicht mehr für das Gymnasium
Nur noch nach Empfehlung: Schüler im Gymnasium Ostfildern
Das Schulsystem in Baden-Württemberg ist seit mehr als zehn Jahren in Unordnung. Es gibt zu viele Schultypen. Die teure und ineffiziente Vielfalt hat mehrere Ursachen: Der Versuch der CDU, mit der Werkrealschule das Imageproblem der Hauptschulen zu lösen, scheiterte. Grün-Rot führte mit der Gemeinschaftsschule einen neuen Schultyp ein, doch den Mut, gleichzeitig die Hauptschulen abzuschaffen, hatte man damals nicht.
Die ebenfalls von Grün-Rot beschlossene Abschaffung der verbindlichen Schulempfehlung machte die Gymnasien zur beliebtesten Schulart und schadete den Realschulen und den Gemeinschaftsschulen. Zuletzt führte das lange Festhalten am achtjährigen Gymnasium zu massivem Elternprotest. Weil die Elterninitiative „G9 jetzt“ die Regierung mit ihrem erfolgreichen Volksantrag zur Rückkehr zu G9 zwang, mussten sich Grüne und CDU jetzt auf ein Reformpaket verständigen. Es soll helfen, die Realschulen vor einem Schülerverlust und die künftig weniger anspruchsvollen Gymnasien vor einem Ansturm zu bewahren.
Angst vor „negativem Kompositionseffekt“
Auf Wunsch der CDU wird es wieder eine verbindliche Ansage beim Wechsel auf die weiterführende Schule geben: Ausschlaggebend sind die Empfehlung des Klassenlehrers, der Wille der Eltern und eine Lernstandserhebung. Wenn zwei der drei Voten fürs Gymnasien sprechen, kann das Kind dorthin. Gibt es einen Dissens, wollen also beispielsweise nur die Eltern ihr Kind aufs Gymnasium schicken, soll es einen zweiten Test am Gymnasium geben. Die Grünen hatten sich ein unverbindliches Beratungsgespräch gewünscht, mussten aber nachgeben.
Bisher haben 14 Prozent der Gemeinschaftsschüler und 25 Prozent der Realschüler eine Gymnasialempfehlung, letztere wählten bislang – auch aus Angst vor den Leistungsanforderungen von G8 – die Realschule. Wie die verbindliche Empfehlung auf diese Gruppen wirkt, ist unklar. Bildungsfachleute fürchten einen „negativen Kompositionseffekt“, also den Wechsel zu vieler starker Gemeinschafts- und Realschüler auf das Gymnasium.
Unterschiedliche Wege zum Abitur
Die Grünen konnten sich bei der Entwicklung der künftigen Schulstruktur durchsetzen: Alle 229 Werkreal- und Hauptschulen sollen in Schulverbünden mit den Realschulen zusammengeschlossen werden. Der Werkrealschulabschluss wird abgeschafft. In den Realschulen wird es nur noch eine einjährige Orientierungsstufe geben, dann streben die Schüler wie schon jetzt in getrennten Klassen den Haupt- oder den Realschulabschluss an.
Es ist anzunehmen, dass die vollständige Integration der Werkreal- und Hauptschulen und wohl auch der Gemeinschaftsschulen in die neuen Verbundrealschulen erfolgen wird.
So läuft die Entwicklung in vielen anderen Bundesländern. Realschulen und Gemeinschaftsschulen unterscheiden sich aber in einem entscheidenden Punkt: An den 337 Gemeinschaftsschulen werden alle Leistungsklassen gemeinsam „binnendifferenziert“ unterrichtet, an den Verbundrealschulen erfolgt der Unterricht von Haupt- und Realschülern „außendifferenziert“, also in unterschiedlichen Klassen. Sowohl die Real- als auch die Gemeinschaftsschule soll einen Weg zum Abitur aufzeigen, vor allem über die beruflichen Gymnasien.
Gibt es Bedarf für G8?
Beim Konzept zur Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium konnten sich die CDU-Bildungspolitiker durchsetzen: Nach ihren Vorstellungen soll an den Gymnasien, wenn es bei den Eltern eine entsprechende Nachfrage gibt, auch weiterhin ein schneller G8-Zug angeboten werden. Allerdings soll das „ressourcenneutral“ sein, darf also kein zusätzliches Geld oder Personal kosten.
Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) sah ein nahezu flächendeckendes G8-Angebot aus Kostengründen skeptisch. Die aus Füssen stammende Politikerin hätte das bayerische Modell bevorzugt, wonach von Klasse acht an begabte Schüler und Schülerinnen die Möglichkeit bekommen hätten, eine Klasse zu überspringen.
Konsens gegen Grüne möglich
Ob es einen Bedarf für G8-Züge geben wird, etwa in vom Bildungsbürgertum geprägten Städten wie Heidelberg, werden die nächsten Jahre zeigen. Vom Schuljahr 2025/2026 ist die reguläre Gymnasialschulzeit wieder neun Jahre. Außerdem kamen die Regierungsparteien überein, an den Grundschulen das verbindliche Ganztagsangebot auszubauen.
Für eine überparteiliche Bildungsallianz, über die die Regierungsparteien Grüne und CDU und die Oppositionsparteien SPD und FDP auf zwei Sitzungen in Bebenhausen verhandelt hatten, ließ Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) keine Verhandlungsmasse. Kretschmann sagte zu Beginn der Woche, die Regierung habe sich auf die „ganz wichtigen Fragen“ geeinigt. Das übertreffe seine Erwartungen.
Die Prognose für eine Einigung mit der Bildungsallianz dämpfte er: „Es gibt eine Regierung, es gibt eine Opposition, das ist konstitutiv für die parlamentarische Demokratie.“ Das taktische Interesse an der Bildungsallianz lag vor allem bei FDP und SPD, die zeigen wollten, dass sie gegen die Grünen mit der CDU einen Konsens finden könnten. Denn bei CDU, FDP und SPD ist das Interesse an einer sogenannten Deutschlandkoalition 2026 groß.
2016 waren Grüne und CDU der Überzeugung, eine grün-schwarze Koalition werde nur funktionieren, wenn man sich in der Schulpolitik auf einen Burgfrieden des Stillstands verständige. Diese These ist widerlegt – die Aufgaben in der Bildungspolitik sind zu groß. Besser wäre es gewesen, sie früher abzuarbeiten.