Automobilzulieferer: IFA Gruppe investiert in Elektromobilität
Packen an: Stefan Bultmann (links) und Jan Maser haben die IFA Gruppe zurück in schwarze Zahlen geführt.
Die Autozulieferbranche steht auch in Ostdeutschland unter Druck. Unternehmen wie GKN, Marelli, Lear oder Magna haben bereits das Ende der Produktion an Standorten in der Region angekündigt. Die Transformation in Richtung Elektromobilität stockt, die Unwägbarkeiten im gesamtwirtschaftlichen Umfeld steigen, und der Planungshorizont für die Zulieferindustrie hat sich drastisch verkürzt. „Kommt die Elektromobilität, in welchem Umfang kommt sie, wann kommt sie und wer stellt sich da wie auf?“, fragt sich auch Jan Maser, Geschäftsführer der IFA Gruppe aus Haldensleben, einer der führenden Hersteller von Antriebswellen und Gelenken für die Autoindustrie.
Der größte Zulieferer aus Sachsen-Anhalt, der Hersteller wie BMW, Ferrari und Volkswagen zu seinen Kunden zählt, blickt trotzdem optimistisch in die Zukunft. „Wir sind auf beides vorbereitet, wir haben sowohl den Verbrenner als auch den Elektroantrieb in den Büchern und die dafür notwendigen Produkte und Prozesse entwickelt“, sagt Stefan Bultmann, der das Unternehmen gemeinsam mit Maser leitet. „Die Längswelle ist aktuell weiterhin unser Brot- und Buttergeschäft, da können wir gerne jeden Tag noch ein paar mehr ausliefern“, sagt Maser über Gelenkwellen für Verbrenner, die für den Großteil der zuletzt gut 650 Millionen Euro Umsatz der IFA Gruppe stehen. In Elektroautos werden für die Übertragung der Kraft vom Motor auf die Räder aber nur noch Seitenwellen benötigt. „Auch da greifen wir gerne an“, sagt Bultmann, der in der Doppelspitze für Produktion und Entwicklung zuständig ist, während sich Maser um Finanzen, Einkauf und Vertrieb kümmert.
Bislang macht das Geschäft mit Seitenwellen für Elektroantriebe 15 Prozent des Umsatzes aus. Aufträge von BMW und Mercedes mit einem Volumen von 900 Millionen Euro für Elektroantriebe hat die IFA Gruppe schon in den Büchern, und auch mit dem US-Elektroautohersteller Tesla will das Unternehmen ins Geschäft kommen. Nur in China tut sich der Zulieferer mit dem Thema Elektromobilität noch schwer. „Wir müssen unsere Marke in dem Segment weiter aufbauen und näher an die Markterwartungen rankommen“, sagt Bultmann über die Anforderungen chinesischer Elektroautohersteller. Insgesamt macht China etwa 15 Prozent des Geschäfts der Gruppe aus. Europa steht für die Hälfte der Umsätze und Nordamerika für gut ein Drittel.
Vom führenden Hersteller in die Überschuldung
Das Selbstvertrauen mit Blick nach vorne musste sich das Unternehmen mit rund 2300 Beschäftigten an sechs Standorten in Deutschland, Polen, China und den USA in den vergangenen Jahren hart erarbeiten. 2019 zogen Gläubiger, Banken und Kunden der IFA Gruppe die Reißleine, weil der Expansionskurs des Familienunternehmers Heinrich von Nathusius den Konzern in finanzielle Schwierigkeiten gebracht hatte. Nathusius erwarb den 1959 in der DDR als IFA Gelenkwelle gegründeten volkseigenen Betrieb 1992 von der Treuhand. Als Teil des Kombinats Industrieverband Fahrzeugbau produzierte das Unternehmen in der DDR vor allem Gelenkwellen für Landmaschinen und Nutzfahrzeuge wie die Lastwagenikone L60. Nathusius baute den Betrieb zu einem der international führenden Hersteller von Gelenkwellen um.
Sein Ur-Urgroßvater ist der Industriepionier Johann Gottlob Nathusius, der vor mehr als 200 Jahren einen der Vorgängerbetriebe der IFA gründete. Doch die Tradition bewahrte das Unternehmen nicht vor der Überschuldung. Im Frühjahr 2019 wurde der Wirtschaftsprüfer und Steuerberater Arndt Geiwitz als Treuhänder eingesetzt. Es folgte die Sanierung unter Führung des Restrukturierungsexperten Arno Haselhorst, die durch die Corona-Pandemie erschwert wurde und mit dem Verkauf an das Münchner Family Office Aequita 2022 zu einem erfolgreichen Abschluss kam.
„Ich kann mich ganz genau erinnern, wie es war, als das Ausmaß der Rückstände gegenüber Kunden klar wurde“, erinnert sich Bultmann, der vor zwei Jahren zusammen mit Maser von Aequita nach Haldensleben entsandt wurde, an die ersten Wochen im Unternehmen. Hunderttausende Komponenten und Wellen mussten dringend an die Hersteller geliefert werden, um einen Bandabriss bei Kunden zu verhindern. Dabei fielen Sonderfrachtkosten in einer Größenordnung von 20 Millionen Euro an, weil viele Teile in eigens gecharterten Maschinen ausgeflogen wurden. Parallel starteten die Gespräche mit Finanzierungspartnern. „Das war 2022: das Unternehmen bilanziell auf neue Füße stellen und die Lieferfähigkeit stabilisieren“, sagt Maser.
Investitionen in die Elektromobilität
Im vergangenen Jahr wurde auch die Ertragskraft stabilisiert, und die IFA Gruppe schrieb nach sechs Jahren mit Verlusten trotz schwieriger Rahmenbedingungen mit hohen Energiekosten schwarze Zahlen. Jetzt investiert das Unternehmen trotz der Unsicherheit im Markt verstärkt in die Transformation zur Elektromobilität. In den kommenden drei Jahren sollen dafür insgesamt 110 Millionen Euro in die eigenen Standorte fließen. Der Finanzierungsrahmen bis 2026 steht, ein Großteil der Investitionen soll aus dem Cashflow finanziert werden. Auf der Ebene des Ergebnisses vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) peilt Maser eine Marge im oberen einstelligen Prozentbereich an.
„Wir sind zuversichtlich, dass wir weiter auf diesem Niveau unterwegs sind. Da ist aber viel Druck drauf, weil auch unsere Kunden unter Druck sind“, sagt Bultmann über die Fortschritte mit der Profitabilität. Eingeschränkt werde der Finanzierungsspielraum durch die Spätfolgen früherer Expansionspläne. „Da steht man zum Teil vor Anlagen, die keiner unserer Wettbewerber in dieser Größe und mit diesen Kosten hat“, sagt Bultmann über den Abschreibungsbedarf für überdimensionierte Anlagen.
Doch Finanzmittel sind nicht die einzige Ressource, mit der der Konzern haushalten muss. „Wir haben enorme Anstrengungen unternommen, um Leute an den Standort zu bekommen, vom Fertigungsmitarbeiter bis zu den indirekten Bereichen“, sagt Bultmann über den Fachkräftemangel am Stammsitz. Das Unternehmen hat deshalb auch schon geprüft, Teile der Produktion aus Sachsen-Anhalt nach Polen auszulagern, um den Anteil der Leiharbeit in Haldensleben reduzieren zu können.
„Intel spüren wir heute schon“
Das Stammwerk mit rund 900 Beschäftigten soll auch für die Entwicklung das Herzstück des Unternehmens bleiben. Der Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt dürfte in der Region aber noch schärfer werden. „Intel spüren wir heute schon“, sagt Bultmann über die Ansiedlung des US-Halbleiterkonzerns im 30 Kilometer entfernten Magdeburg. Die geplante Chipfabrik hat in den vergangenen Monaten andere Unternehmen in die Region gelockt, die mit der Rekrutierung von Fachkräften beginnen. Die Wettbewerbsfähigkeit der IFA Gruppe am Standort sei nicht gefährdet. „Aber wir müssen genau schauen, was wir mit einer begrenzten Zahl an Fachkräften machen können“, sagt Bultmann.
Was Aequita als Eigentümer am Ende mit der IFA Gruppe machen wird, ist noch nicht ausgemacht. „Aequita ist kein klassischer Fonds mit einem festgelegten Zeithorizont“, sagt Maser über die Pläne des Family Office, das 2018 von Christoph Himmel und Axel Geuer gegründet wurde. Geuer hatte zehn Jahre zuvor schon die börsennotierte Beteiligungsgesellschaft Mutares aus der Taufe gehoben, für die auch Himmel tätig war. Aequita investiert Gelder vermögender Familien vor allem in Autozulieferer in Sondersituationen wie 2022 bei der IFA Gruppe. Zum Portfolio zählen unter anderem Willi Elbe, ein Hersteller von Antriebswellen aus der Nähe von Stuttgart, sowie die auf Gummidichtungen spezialisierte Meteor aus Niedersachsen.
Im vergangenen Jahr hat die Gesellschaft mit ihrem bisher größten Deal den Bremsbelaghersteller TMD Friction aus Leverkusen von der japanischen Nisshinbo Holdings erworben. Für den Erwerb der IFA Gruppe, die bislang zweitgrößte Transaktion von Aequita, wurde laut Insidern eine Unternehmensbewertung in dreistelliger Millionenhöhe inklusive Schulden angesetzt. „Der Fokus liegt jetzt darauf, unsere Hausaufgaben zu erledigen“, sagt Maser.