Nachhaltigkeit: Wie Unternehmen den ökologischen Fußabdruck nutzen können
Sebastiaan Krol könnte es sich einfach machen. Als Vertreter der Kreislaufwirtschaft hat der Geschäftsführer von Interzero ohnehin einen Nachhaltigkeitsaufkleber auf der Stirn. Sein Unternehmen, das der gebürtige Niederländer seit Anfang 2022 führt, unterstützt andere Hersteller dabei, ihre Stoffströme zu schließen. Verpackungen in Form von Papier, Folien und Plastik, IT-Equipment wie Schaltanlagen oder Zwölf-Gang-Getriebe in der Autoindustrie: In diesen Feldern versprechen Krol und seine Mitarbeiter Fortschritt für Kunden.
Auch gebrauchte Handys lassen sich noch von anderen nutzen.
Dabei besitzt Interzero Circular Solutions, das spezialisierte Geschäft von Interzero, das Krol als Vorstandsvorsitzender führt, selbst kaum Anlagen. Stattdessen kauft es Anlagekapazitäten anderswo hinzu und stellt aus den Reststoffen wieder Produkte her, die für die Wertschöpfung anderer relevant sind.
2 Millionen Tonnen Rohstoffe führt das Unternehmen, das über die Holding auch mit dem Entsorger Alba verbunden ist, in den Kreislauf zurück. Darunter ist ein Drittel der insgesamt 2,8 Millionen Tonnen Abfall aus dem Gelben Sack. Also wie gesagt, einen Nachhaltigkeitsaufkleber hat Krol ohnehin auf der Stirn.
Der ökologische Fußabdruck ist die Grundlage
Mathis Wackernagel hat mit William Rees das Konzept des ökologischen Fußabdrucks entwickelt.
Doch als er vor zweieinhalb Jahren ins Unternehmen wechselte, reichte ihm das nicht aus. „Ich dachte, das ist das weltbeste Unternehmen, aber die Leute hatten kein Gefühl für ihre Leistung“, sagt er. Er suchte also nach einer Maßzahl, auf die sich mit Stolz verweisen ließe, wenn man das Unternehmen vorstellte. An einem Rotwein-seligen Abend kam ihm der Gedanke: Warum nicht die Leistung von ICS in Bezug setzen zu einer Kennzahl, die die Übernutzung der Ressourcen auf der Erde wissenschaftlich beschreibt.
Unsortierter Müll läuft in der Sortieranlage für Leichtverpackungen des Umweltdienstleistungsunternehmens Interzero über verschiedene Förderbänder
Regelmäßig berichten Medien über den „Earth Overshoot Day“, also den Tag, an dem rechnerisch die Ressourcen verbraucht sind, welche die Erde innerhalb eines Jahres zur Verfügung stellen kann. „Diese Zahl trifft den Nerv, ich wollte nicht nur Greenwashing“, sagt Krol.
Basis dieser Berechnungen ist der ökologische Fußabdruck. Entwickelt wurde er vor drei Jahrzehnten von dem kanadischen Ökologieprofessor William Rees der University of British Columbia in Vancouver und seinem damaligen Assistenten Mathis Wackernagel, einem Schweizer. Anders als das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), das sich auf die Treibhausgasemissionen konzentriert, wollten die beiden Wissenschaftler eine Maßzahl, in der die ökologische Abnutzung des Planeten vielschichtig abgebildet ist.
Der Energiedienstleister Techem sucht nach Mitteln und Wegen, um Investoren und Kunden nahezubringen, wie viel sie zur Erderwärmung beitragen.
Die Kritik am Konzept des Fußabdrucks
Ein Mann tauscht einen Funkheizkostenverteiler von Techem aus.
„Sie wollten nicht nur die Treibhausgasemissionen ansehen, sondern die Welt als Ökosystem betrachten“, sagt Steven Tebbe, der nach Wackernagels Ausscheiden aus der operativen Verantwortung des von ihm im Jahr 2003 gegründeten Global Footprint Network dort die Geschäftsführung übernommen hat. „Wie viel Verschmutzung produzieren wir im Verhältnis zu dem, was die Welt aufnehmen kann?“
Die Kalkulation liegt einigen Rechnern zugrunde, mit denen Konsumenten ihren Einfluss auf das globale Klimaproblem, auf den Verlust an Artenvielfalt und die Übernutzung der Böden bestimmen können. Greenpeace und der Worldwide Fund for Nature etwa stützen sich auf dieses Konzept.
Daran gibt es immer wieder Kritik, vor allem weil die Daten nicht immer konsistent sind. Doch Tebbe verweist darauf, dass die Methode im Gutachterverfahren strengste Kriterien der Wissenschaft erfordere. „Modelle wie die des IPCC geben uns einen Ausblick, wohin die Veränderungen des Ausstoßes führen“, sagt er. „Unser Ansatz ist anders: Wir geben eine Momentaufnahme auf Basis echter Fakten.“
„Wir kaufen dem Planeten durch unsere Aktivitäten 7:16 Minuten zurück“
Von diesem Konzept ist auch Krol überzeugt. Er ist einer der ersten Manager, die aus der Logik des ökologischen Fußabdrucks ein Instrument zur Steuerung des eigenen Unternehmens gemacht hat. Vor allem die emotionale Komponente helfe, weil man mit den herkömmlichen Daten an Grenzen stoße.
„Absolute Zahlen sind nett für Verfahrenstechniker. Ich wollte aber unsere Wirkung nach außen und nach innen sichtbar machen“, sagt Krol. Mit dem Global Footprint Network hat er eine Maßzahl entwickelt, die zeigt, um wie viel durch den Einsatz seiner Mitarbeiter der „Earth Overshoot Day“ nach hinten verschoben wird.
Für Kunden berechnet ICS inzwischen die globale Quadratmeterzahl, die durch Umweltengagements vom Planeten zurückgewonnen wird. Auch die Fläche des Waldes, den man brauchte, um den eigenen Treibhausgasausstoß nichtig zu machen, lässt sich in Quadratmetern bemessen. Doch am plakativsten ist die Kennziffer für sein eigenes Unternehmen.
„Wir kaufen dem Planeten durch unsere Aktivitäten 7:16 Minuten zurück“, sagt Krol. Während der zunehmende Konsum dazu führte, dass der „Overshoot Day“ sich seit den frühen Siebzigerjahren vom 31. Dezember auf Ende Juli verschoben hat, können die Interzero-Mitarbeiter darauf verweisen, dass sie ihn global um 0,005 Tage zurückschieben.
Die verschienenen Ebenen von Emissionen
Doch der Einsatz einer vermeintlich exotischen Metrik ist nicht üblich. „CO2-Äquivalente statt aggregierte Metriken sind die entscheidende Maßzahl“, sagt Peter Spiller, Partner der Unternehmensberatung McKinsey. Zwar gebe es Versuche, auch das zweite globale Ökoproblem Biodiversität in ein Umweltlabel zu fassen, aber Kohlendioxid sei in diversen Regulierungen als zentrales Problem adressiert. „Allein diese Arbeit hinzubekommen ist eine solch komplexe Aufgabe für Organisationen, dass ich nicht erwarte, dass zeitnah weitere Metriken mit ähnlichen regulatorischen Anforderungen folgen werden“, sagt er.
Auf der Ebene der Treibhausgasemissionen preschen die Unternehmen voran. Den Goldstandard für alle hat der World Business Council for Sustainable Development mit dem „Greenhouse Gas Protocol“ geschaffen, das von Unternehmen in der Partnership for Carbon Transparency umgesetzt wird. Seit drei Jahren bemühen sich die Akteure darum, auf Basis von Primärdaten den Treibhausgas-Fußabdruck durch die gesamte Wertschöpfungskette sichtbar zu machen.
Als Scope-1-Emissionen wird der Ausstoß bezeichnet, auf den die Unternehmen einen direkten Einfluss in der Produktion haben. Scope 2 bezeichnet solche Emissionen, die Energieträger auslösen, die sie verwenden. Am kompliziertesten zu ermitteln ist Scope 3 – also der Ausstoß, der in der Wertschöpfungskette vorgelagert durch Lieferanten und nachgelagert durch die Verwendung eigener Produkte entsteht. 900 Unternehmen von BASF bis Unilever , von SAP und Microsoft bis IBM arbeiten mit dieser Logik.
Wie sich die Berechnungen immer wieder verändern
Doch die CO2-Äquivalente sind so abstrakt, dass ein Manager wie Krol von Interzero sagt, sie seien gut für Verfahrenstechniker, aber nicht zum Veranschaulichen. „Niemand hat ein Gefühl dafür, ob eine Million Tonnen CO2 viel oder wenig ist“, sagt auch McKinsey-Berater Spiller.
Und die Scope-3-Emissionen in der eigenen Wertschöpfungskette genau zu ermitteln sei äußerst herausfordernd. Die heutige Praxis entspricht eher der Erstellung von Unternehmensbilanzen basierend auf Durchschnittsumsätzen und -kosten einer Industrie. Damit könne man zwar Unternehmensaktivitäten mit hohen Emissionen erkennen, aber keine CO2-Fußabdruck-basierten Entscheidungen treffen, sagt Spiller.
Das haben die Äquivalente mit dem ökologischen Fußabdruck gemeinsam. Immer wieder werden Daten präziser bestimmt, sodass Werte aus der Vergangenheit an Bedeutung verlieren. Bei der Umrechnung der diversen Umweltkategorien in Flächen müssen Ausgleichs- und Umrechnungsfaktoren genutzt werden, die die Ergebnisse verfälschen. In die Zielgröße Biokapazität fließen nicht alle Gebiete ein, die Ökodienstleistungen erbringen. Auch der Komplexität von Habitatverlusten wird die Metrik nicht gerecht.
Damit Verbraucher wissen, woran sie sind
Davon abgesehen hat der Fußabdruck noch ein ganz anderes Problem: Der Mineralölkonzern BP hat ihn vor zwei Jahrzehnten stark in seiner Öffentlichkeitsarbeit propagiert. Das hat das Instrument auch in Kreisen diskreditiert, in denen es eigentlich eine Aufgeschlossenheit für Ökopolitik gibt.
BP habe den ökologischen Fußabdruck genutzt, um die Verantwortung von großen Emissionsverantwortlichen wie der eigenen Industrie auf die Individuen zu verschieben, wird kritisiert. „BP hat das nicht in Absprache mit uns gemacht. Wir wollen aufzeigen, wo wir stehen. Das ist das Gegenteil davon, die Schuld aufs Individuum abzuschieben. Individuen können zum Teil nicht anders konsumieren“, sagt Network-Geschäftsführer Tebbe.
Doch die etwas plakativeren Metriken, die komplexe Daten zu CO2-Äquivalenten übersetzen, erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Auch Matthias Hartmann nutzt sie. Als er vor zweieinhalb Jahren Vorstandsvorsitzender des Energiedienstleisters Techem wurde, hatte er mit derselben Herausforderung wie Krol von Interzero zu kämpfen: Er fand ein gut aufgestelltes Unternehmen vor, das aber kein Gefühl dafür hatte, wo es in der Ökofrage steht. In der Steuerung setzt auch er auf global verbreitete Dekarbonisierungsstandards, die komplizierte Scope-Logik.
„Das ist aber alles abstrakt und für Menschen schwer zu greifen“, sagt Hartmann. „Es fehlt der Transmissionsriemen, damit Menschen das begreifen.“ Das liefere dagegen eine Metrik, die in fünf Schritten die Ziele übersetzt in eine Kennziffer, die das eigene Handeln in eine Temperaturveränderung in Relation zum 1,5-Gradziel ausdrückt.
Entwickelt hat sie das Frankfurter Start-up Right based on science. „Right misst nur die Emissionen in Bezug auf mein Geschäftsmodell. Ich kann zeigen, wie weit ich vom 1,5-Gradziel weg bin. Das ist kommunikativ sehr wichtig“, sagt Hartmann.
Auch er setzt sich dem Druck der Investoren aus, die Anlageentscheidungen auf Basis von Nachhaltigkeitskriterien treffen. Im dritten Nachhaltigkeitsbericht nach dem Verfahren der Ratingagentur Sustainalytics zähle sein Unternehmen zu den führenden 2 Prozent aller Teilnehmer. Doch der Verweis auf den Temperaturanstieg lasse sich besser im Unternehmen nutzen, sagt Hartmann. Als nächstes will er diesen Ansatz für die eigenen Dienstleistungen nutzen. 13 Millionen Wohnungen besäßen seine Kunden. „Wenn ich jeder Liegenschaft ein Gradziel zumessen kann, weiß jeder Kunde genau, wo er steht.“
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