Startup: Der neue Investmentklub 2hearts investiert in Gründer mit Migrationsgeschichte
Rund 80 bekannte Start-up-Köpfe wie der Ex-Rocket-Vorstand Soheil Mirpour oder die Gründerin Sophie Chung wollen gegen Vorurteile kämpfen und dabei Geld verdienen: Sie starten einen neuen Investmentklub.
Startup: Der neue Investmentklub 2hearts investiert in Gründer mit Migrationsgeschichte
Sophie Chung (40) hat es geschafft. Für ihr Gesundheits-Start-up Qunomedical hat die Ärztin mittlerweile mehr als zehn Millionen Euro Wagniskapital erhalten. Dabei erzählten ihr Investoren und Gründerinnen zu Beginn häufig, dass sie sich lieber nicht allzu viele Hoffnungen machen sollte. Sie habe „kaum eine Chance“, hörte sie nicht nur einmal. Chung, deren Eltern in den Siebzigern aus Kambodscha nach Österreich geflüchtet waren, glaubt, dass andere ihr auch deshalb so geringe Chancen einräumten, weil sie anders aussieht als die meisten Gründer hierzulande. Ins Gesicht gesagt habe ihr das freilich keine Investorin, kein Investor. Doch Chung hat in ihrem Leben nicht zum ersten Mal die Erfahrung gemacht: „Wer Migrationshintergrund hat, für den ist es nichts Neues, unterschätzt zu werden.“ Und damit ist sie nicht allein.
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„Der Zugang kann sehr schwierig sein“, sagt auch Ex-Rocket-Internet-Vorstand Soheil Mirpour (34), der inzwischen ein KI-Start-up führt. Mirpour, dessen Familie aus dem Iran stammt, hat das am eigenen Leib erfahren. Und das trotz makellosen Lebenslaufs mit Stationen an der Business-Uni WHU und im Investmentbanking von Morgan Stanley und KKR.
Um es der nächsten Gründergeneration leichter zu machen, haben sich Mirpour und Chung nun mit rund 80 weiteren Privatinvestoren (Business Angels) zusammengeschlossen. Ihr neuer Investmentklub heißt 2hearts Angel Collective. Das Ziel: Geld verdienen – und dadurch gleichzeitig die Start-up-Szene diverser machen.
Benachteiligt bei Finanzierungen
Laut einer Analyse des Startup-Verbands stammt heute zwar bereits jeder fünfte Gründer in Deutschland aus einer Einwandererfamilie. Und bei gut 60 Prozent der deutschen Start-ups mit Milliarden-Bewertungen hat mindestens ein Gründer Migrationshintergrund.
Trotzdem bleibt es für diese Gruppe schwerer, Wagniskapitalgeber von sich zu überzeugen. Dem Report zufolge erhielten migrantische Gründer der ersten Generation 2021 im Schnitt nur 1,1 Millionen Euro externes Kapital – weniger als die Hälfte dessen, was Start-ups normalerweise im Durchschnitt einsammeln (2,6 Millionen Euro). Und das, obwohl die Gründerinnen und Gründer mit Zuwanderungsgeschichte oft besser ausgebildet sind als ihre Konkurrenten.
Der neue Investmentklub geht aus der gleichnamigen Initiative 2hearts hervor. Diese startete vor rund drei Jahren als Mentoringprogramm, um junge Menschen mit Migrationsgeschichte in der Techbranche zu unterstützen. Oder, wie 2hearts es ausdrückt: für diejenigen mit zwei Herzen in ihrer Brust, weil sie in zwei Kulturen aufgewachsen sind.
Die Idee sei eher zufällig entstanden, erzählt Investorin Gülsah Wilke (36), eine der Initiatorinnen von 2hearts. Sie und andere Mitglieder hätten bereits in Firmen investiert, die von Gründerinnen und Gründern aus dem 2hearts-Netzwerk gestartet wurden. „Und irgendwann haben wir uns überlegt, wie wir das systematischer angehen können.“
Drei ehrenamtliche Leiter für den Investmentklub hat Wilke gleich in ihrem Netzwerk gefunden: den Gründer Richy Ugwu (35), die Investorin Selma Meryem Peters (27) und den PR-Agenturchef Tolgay Azman (33). Die gesamte Gruppe organisiert sich über die Kommunikationsplattform Slack. Dort teilen die Investoren die Due Diligence der Start-ups miteinander, also die genaue Prüfung der Geschäftszahlen, des Marktes und der Gründerinnen und Gründer selbst. Wer möchte, kann dann als individueller Geldgeber investieren oder zusammen mit anderen. Aus dem Kollektiv könnte irgendwann durchaus auch ein Investmentfonds entstehen, so die Organisatoren.
Für die Gründerinnen und Gründer, die bei den 2hearts-Angels um ein Investment pitchen, gibt es zwei Vorgaben: Es muss mindestens eine Person mit Migrationsgeschichte im Gründungsteam geben. Und es muss ein klassischer Fall für Wagniskapitalgeber sein, sich also um ein Geschäftsmodell handeln, das exponentiell wachsen kann.
“Keine Mitleidsveranstaltung”
In den letzten Jahren haben sich in Deutschlands Start-up-Szene vor allem Frauen-Netzwerke herausgebildet. Der weibliche Anteil der Gründer stagniert seit Jahren bei lediglich rund 20 Prozent. Ein lebendiges Beispiel: Encourage Ventures. Das Netzwerk hat die ehemalige SAP-Topmanagerin Ina Schlie (56) ins Leben gerufen, zusammen mit anderen prominenten Frauen aus der Wirtschaft wie der heutigen Weleda-Chefin und Ex-Douglas-CEO Tina Müller (55), Bahn-Vorständin Sigrid Nikutta (54) oder Mulit-Aufsichtsrätin Simone Menne (63). Nach eigenen Angaben haben sich mittlerweile 550 Geldgeberinnen registriert, die über das Netzwerk in mehrere Hundert Start-ups investiert haben.
Nach den Plänen von Gülsah Wilke soll auch der 2hearts-Klub schnell auf eine dreistellige Zahl von Investments pro Jahr kommen. Idealerweise sollten die rund 80 Geldgeberinnen und Geldgeber zwei bis drei Deals jährlich abschließen, so Wilke. „Sie sollen keine Karteileichen werden.“
Auch Ex-Rocket-Vorstand Soheil Mirpour hat entsprechende Vorsätze. Jetzt, da er das bröckelnde Samwer-Imperium verlassen hat, will er verstärkt privat investieren. In seiner Zeit bei Rocket Internet verantwortete er nach eigener Aussage rund 50 Investments für den Fonds. Mirpour attestiert sich selbst eine „strenge Investmentdisziplin“. Die Kriterien, warum er bei einer Firma einsteige, blieben dieselben, beteuert er: egal ob er via 2hearts oder anderweitig investiere.
„Das ist keine Mitleidsveranstaltung“, stellt auch Qunomedical-Chefin Sophie Chung dar. Für sie stehen die wirtschaftlichen Vorteile, Teil des Investmentklubs zu sein, im Fokus. Sie hofft, dadurch Zugang zu interessanten Unternehmerteams zu bekommen. Viele Gründerinnen und Gründer mit Migrationsgeschichte machten „die Erfahrung, sich stets beweisen zu müssen, immer etwas härter zu arbeiten als andere oder auch mit knappen Ressourcen umgehen zu können“. Das sind Persönlichkeiten, auf die Chung auch als Investorin wetten wolle. Die eigentliche Frage für sie sei: „Wenn es trotz all dieser Schwierigkeiten schon so viele Unternehmer mit Migrationsgeschichte gibt – wie viele gäbe es dann erst, wenn es für sie nicht so hart wäre?“
Co-Investorin Wilke betont, dass 2hearts sich für eine offene und freie Gesellschaft einsetze – und die deutsche Wirtschaft es sich schlicht nicht leisten könne, entsprechende Talente nicht zu heben. Die correctiv-Enthüllungen über Pläne zur Abschiebung von Menschen mit ausländischer Herkunft, die im AfD-Umfeld geschmiedet werden, alarmieren die Investorinnen und Investoren des neuen Klubs. Sie verweisen darauf, dass der Standort Deutschland schon jetzt bei ausländischen Fachkräften immer unbeliebter werde. „Wenn wir wollen, dass Deutschland konkurrenzfähig bleibt, müssen wir um jeden Einzelnen kämpfen“, sagt Soheil Mirpour.